Im Herbst steht endlich meine gut dreiwöchige Interrail-Tour an und nachdem mir zahlreiche Interrailer versichert haben, dass mit der Routenplanung sei nicht so wichtig, und ich auch Vertrauen in allerlei Übernachtungsgelegenheiten gewonnen habe, blieb als schwierigste Frage: Wie zum Teufel transportiere ich das ganze Gepäck?! Die einzige zulässige Antwort ist hier wohl: Ich werde einen dieser riesigen Trekking-Rucksäcke brauchen.
Nach "Kauf Deuter, danach kaufst du nie wieder einen anderen" war der häufigste Ratschlag "probier ihn auf jeden Fall gründlich aus vor der Reise". Mein Deuter-Wunschmodell (ACT Lite 65+10) gibt es nur in den USA, abgesehen vom geringeren Gewicht und möglicherweise geringerer Haltbarkeit unterscheidet es sich aber kaum von dem in Deutschland verbreiteten Modell Aircontact 65+10. Daher bestellte ich letzteres für atemberaubende 210€. Außerdem stattete ich Decathlon einen Besuch ab, die in Chemnitz ihre einzige Filiale Sachsens haben und Partner von Quechua sind, mit denen ich bei Zelten bereits gute Erfahrungen sammeln konnte. Die Mitarbeiter dort konnten ähnlich wenig Auskunft geben wie die Website, aber man kann sich ja selbst helfen. Bei Quechua konkurrierten nach der Vorauswahl noch der Forclaz Easyfit 72 (100€) und der Forclaz Symbium Access 70+10 (130€). Der Easyfit ist der einzige, der deutlich unter dem für Rucksäcke dieser Größe üblichen Leergewicht von knapp 3kg liegt.
Allen Rucksäcken gemeinsam ist, dass sie leer gar nicht so groß aussehen, dafür aber umso mehr mit zahlreichen Schnallen und Gurten verwirren. Letzteres gibt sich aber beim Ausprobieren sehr schnell.
Im Bild (großklickbar) von links nach rechts: Deuter Aircontact 65+10 mit angeschnallter Isomatte, mein Tagesrucksack Compu Daypack von LowePro und der Quechua Forclaz Symbium Access 70+10.
Der Deuter Aircontact kam als erster. Es handelt sich zwar nicht um Deuters Flaggschiff, aber durchaus um ein Modell einer sehr hochwertigen Reihe - falls man da bei Deuter überhaupt differenzieren kann. Von der Ausstattung schien er zunächst dem Quechua Symbium Access sehr ähnlich zu sein, wodurch natürlich direkt die Frage aufkam, was denn die 80€ Mehrpreis rechtfertigt, zumal Quechua auch noch 10 Jahre Garantie gibt. Den Easyfit testete ich zunächst nicht, da schon der Stoff spürbar dünner war als beim Deuter und das Ergebnis des Symbium auch Rückschlüsse auf den Easyfit zulassen sollte, da beide letztlich der Forclaz-Reihe entstammen (aber wer sagt schon Quechua Forclaz Symbium Access 70+10 zu seinem Rucksack?).
Da es enorm wichtig ist, seinen Rucksack richtig einzustellen, beschäftigte ich mich erstmal stundenlang zuhause mit den beiden Modellen. Das beginnt mit der Anpassung an die Körpergröße. Deuters VariFlex-System ist etwas fummelig einzustellen und bringt keine Angaben mit, welche Einstellung für welche Körpergröße gedacht ist, aber wenn man es raus hat, sitzt es stabil, sicher und bequem (es dauert auch nicht wirklich Stunden). Quechua hat sich an einem anderen Ansatz versucht: Die Höhenverstellung der Schultergurte ist mit Körpergrößen gekennzeichnet, der Brustgurt lässt sich intuitiv verstellen. Leider sind die Beschriftungen in meinem Fall Unfug; ich bin 1,91m groß, aber der Hüftgurt sitzt nur dann gut, wenn ich die Schultergurte auf 1,60m einstelle. Der Brustgurt schnürt mir immer den Hals ab, egal was ich wie einstelle.
Der Hüftgurt erfüllt bei beiden seinen Zweck - wenn man sich traut ihn kräftig zu zu ziehen, entlastet er die Schultern enorm. Der Brustgurt soll vor allem die Schultergurte auf Position halten, damit einem nicht plötzlich 25kg herunter rutschen. Das fällt beim Symbium aus oben beschriebenen Gründen weg und damit rutschen die Schultergurte auch direkt. Bei Deuter kann man dann noch den Abstand vom Rücken einstellen (mehr Kontrolle oder mehr Schulterentlastung), das ist ziemlich cool, aber eigentlich ist jede Einstellung angenehm. Beim Quechua-Rucksack fehlt dieses Feature und der ganze Sack wabbelt an meinem Hintern herum.
Beim Beladen bekam ich auch einen guten Eindruck der Verarbeitung; diesbezüglich unterscheiden sich die Rucksäcke kaum. Bei beiden wirken die verwendeten Stoffe sehr hochwertig. Quechua verwendet einen anderen Schnallentyp, der zwar auf den ersten Blick weniger stabil wirkt, aber ebenfalls sehr fest schließt. Allerdings wurde an der Polsterung gespart; der Hüftgurt ist dadurch eher ein Gürtel, die Polsterung reicht nur für die Seiten, vorne ist nichts mehr übrig (und ich bin wirklich schlank). Auch die Schultergurte sind deutlich schmaler. Außerdem halten die Kompressionsriemen beim Verstellen nicht so gut. Während sich beim Aircontact alle Gurte und Riemen intuitiv mit wenig Aufwand spannen und lockern lassen, ohne zu leicht zu verrutschen, flutscht einem beim Symbium schonmal ein Riemen komplett aus der Halterung, wenn man ihn nur lockern wollte. Das passiert leider öfter und ist nach dem unglücklichen Sitz des Brustgurtes der zweite wirklich negative Punkt. Insgesamt erweisen sich die Kompressionsriemen als praktisch, um ein Herumfliegen des Inhalts im Rucksack zu vermeiden; Deuter hat davon ein paar mehr vernäht.
Mit 65+10 bzw. 70+10 Litern unterscheiden sich die beiden Rucksäcke nicht wesentlich im Volumen, trotzdem habe ich ausprobiert, wie gut sich die beiden beladen lassen. Der Deuter glänzt dabei vor allem durch nützliche Nebenfächer, während Quechua viel Wert auf einfache Beladung des Hauptfaches gelegt hat. Dieses lässt sich bei beiden nicht nur mit dem typischen Sackverschluss von oben, sondern auch von vorne öffnen; bei Quechua jedoch komplett und von der Mitte her wie bei einer Reisetasche (Bild links), bei Deuter kann man nur ein Stück der Front weg klappen (Bild unten). Dadurch kann man den Symbium gut in mehreren Schichten packen - schwere Dinge rückennah (beim Packen unten), leichte weiter weg. Anschließend schließt man die Front, richtet den Rucksack auf und kann von oben nochmal kräftig zusammendrücken. Dadurch habe ich unfassbare Mengen in den Rucksack bekommen - hier ist der Symbium klar überlegen. Bei Deuters Modell funktioniert dieses Verfahren zwar auch, aber eben nicht so schön und effektiv.
Der Aircontact ist eher der Typ "und hier passt auch noch was rein". So lassen sich in den Außennetzen problemlos zwei 1,5l-Wasserflaschen verstauen, während die Außenfächer beim Symbium unbrauchbar werden, wenn das Innenfach bereits gefüllt ist. Das ist zwar auch bei Deuter der Fall, aber nicht bei allen Fächern. Im Deckel lässt sich auch noch ein bisschen Gepäck unterbringen. Vor allem aber bietet der Aircontact mehr Möglichkeiten, sperriges Gepäck außen anzubringen: Meine wuchtige selbstaufblasende Isomatte lässt sich ganz problemlos an den Boden schnallen. Quechua hat dafür leider nichts passendes mitgebracht - es gibt zwar zwei Ösenpaare am Boden, für die ich aber keine passenden Spanner besitze, und einen Gummihalter auf dem Deckel, aus dem die Isomatte aber bei erster Gelegenheit wieder rausfällt. Mehr als eine einfache Isomatte ohne Luftfüllung ist hier eindeutig nicht vorgesehen und erst recht kein weiteres Gepäck wie z.B. ein Fotostativ. Dagegen bietet der Aircontact außer den Kompressionsriemen für die Isomatte auch noch Ösen auf dem Deckel wie beim Symbium unten und zahlreiche weitere Halterungen, um einzelne Teile mit Karabinerhaken oder Schnüren zu befestigen.
Das Bodenfach lässt sich bei beiden Rucksäcken als separates Fach verwenden oder öffnen, um das Hauptfach zu erweitern. Geöffnet finden im Rucksack insgesamt mehr Gegenstände Platz, geschlossen bleibt die Ordnung mit etwas Glück erhalten, wenn man unterwegs mal was rausholen muss. Manch einer wird das Bodenfach mit einer Kameratasche oder Kamerapolstern füllen wollen, um eine professionelle Fotoausrüstung mitzunehmen - das ist bei beiden Rucksäcken die einzige Option, wenn man keine separate Tasche mitnehmen möchte. Dazu später mehr. Es sei noch erwähnt, dass der Symbium auf beiden Seiten eine Hüfttasche hat, beim Aircontact ist es nur eine. Konstruktionsbedingt liegen die Taschen beim Symbium weiter hinten, ansonsten unterscheiden sie sich nicht. Eine Kompaktkamera oder ein Portemonnaie finden darin locker Platz. Das Portemonnaie kann man alternativ auch innen im Deckel verstauen, beide Rucksäcke bieten ein sogenanntes Wertsachenfach, das nur bei geöffnetem Deckel zugänglich ist.
Ein Alleinstellungsmerkmal des Quechua-Rucksacks ist das Access-Fach, das auf dem Deckel aufliegt und über zwei dehnbare Gurte über den Kopf vor die Brust gezogen werden kann. Selbst im Video auf der offiziellen Seite sieht das etwas fummelig aus und in der Tat ist das Fach nicht halb so praktisch wie es in der Idee klingt: Durch die rückenferne Position des Rucksacks kommt man kaum dran, dann muss man fummelig die Verschlüsse lösen (da man sie danach nicht wieder zu bekommt, lässt man das mit dem Anstecken am Besten gleich ganz). Hat man das Fach dann lose in der Hand, kriegt man als langhaariger Mensch eine Krise, weil es gefühlt hundert Mal in den Haaren hängen bleibt beim Versuch es nach vorne zu ziehen. Vorne funktioniert dann das Einhaken im Hüftgurt nur einseitig, da die Halterungen zu weit auseinander bzw. an der Tasche zu nah beieinander sind. Nichtsdestotrotz hat man am Ende aber ein geräumiges Fach vor der Brust, in das sogar meine Spiegelreflex passen würde - wenn ich sie dem dünnen, lose auf dem Rucksack liegenden Stoff anvertrauen würde.
Voll beladen kam dann als erstes die Erkenntnis: Ein Kilo mehr Eigengewicht des Rucksacks macht den Braten auch nicht fett, wenn man weitere 25kg reinstopft. Hier sollte man wirklich lieber in hochwertige Verarbeitung investieren. Eigentlich wollte ich den Quechua Symbium dann zuerst "probelaufen", um hinterher neutraler feststellen zu können, ob der Deuter-Rucksack wirklich angenehmer zu tragen ist. Da es mir jedoch gar nicht erst möglich war, eine passende Einstellung zu finden und all mein Gepäck zu verstauen, hatte das Quechua-Modell an dieser Stelle leider bereits verloren. Blieb also die Frage, ob der Konkurrent besser ist.
Meine Teststrecke führte von meiner Wohnung zur Uni, ich musste ohnehin noch ein paar Papiere ausdrucken, und wieder zurück. Also insgesamt knapp 5km, den Lutherberg runter, die Reichenhainer Straße wieder rauf und das Ganze rückwärts. Der gelegentliche Wechsel zwischen rückennaher und rückenferner Position erwies sich dabei als angenehm; weniger wegen der Belüftung oder weil der Rucksack ins Schleudern geriet, sondern einfach um die Belastung durch das Gewicht ein bisschen zu verteilen. Das Gewicht macht sich hierbei vor allem dadurch bemerkbar, dass man nicht so schnell laufen kann wie sonst - unangenehm oder sonderlich anstrengend ist es nicht. Damit hat der Deuter Aircontact seinen Hauptzweck erfüllt - großes Gewicht durch viel Gepäck so auf dem Körper zu verteilen, dass man damit angenehm laufen kann.
Geschwitzt habe ich trotzdem recht deutlich; bei der aufkommenden Sommerwärme war das zu erwarten. Im Vergleich zu meinem Tagesrucksack allerdings bereits deutlich weniger und auch nur an den Stellen, an denen der Rucksack tatsächlich direkten Kontakt zum Körper hat. Während des Laufens ist das auch gar nicht negativ aufgefallen. Dafür zeigte sich, wieso der korrekte Sitz so wichtig ist - verrutscht der Hüftgurt mal, weil man sich z.B. den Schuh zubinden musste, spürt man direkt, wieviel Gepäck man da eigentlich gerade mit sich herum schleppt.
Während der Quechua Symbium Access also noch während der Testphase wieder zurück ging, habe ich den Deuter Aircontact behalten und bin nun ziemlich glücklich damit. Er bietet zwar, wie fast alle Trekkingrucksäcke, auch keine Möglichkeit, meine Spiegelreflexkamera zu verstauen, aber genug Ansatzpunkte für eigene kreative Lösungen. Man kann beispielsweise mit ein paar Schnüren und Knoten eine Tasche an den Hüftgurt hängen - dem Thema widme ich noch einen eigenen Artikel, um den Rahmen hier nicht komplett zu sprengen. Und abgesehen davon bekommt man einen wirklich durchdachten Rucksack, der sich auch mit viel Gepäck angenehm trägt. Möglicherweise ist Deuter einer der letzten Hersteller, die zwar viel Geld verlangen, dafür aber Produkte für ein ganzes Leben bieten - ich würde es mir wünschen.