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Sachsen vs Ruhrgebiet

Vermutlich eine der häufigsten Geschichten, die ich erzähle, wenn ich neue Leute kennen lerne, ist die von meinen diversen Umzügen und Wohnorten. Meine aktuelle Wohnung in Chemnitz ist meine sechste und damit die dritte, in der ich alleine wohne. Allerdings habe ich sowohl mit meinen Eltern als auch alleine bisher immer im Ruhrgebiet gewohnt; lange in Gelsenkirchen, dann zwei Jahre in Herne und dann noch ein Jahr in Dortmund.

Vielleicht kommt es daher, dass mich die Wohn- und Lebensumstände in verschiedenen Regionen Deutschlands so interessieren. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich schon seit vielen Jahren Kontakte nach Norddeutschland und Hessen habe, wo ganz andere Städtestrukturen vorhanden sind als im Ruhrgebiet - so wie fast überall, denn das Ruhrgebiet ist in seiner Städtedichte einzigartig in Europa. Daher ist es auch nicht allzu verwunderlich, wenn ich gefragt werde, ob das denn bei Köln sei, wo ich herkomme, das sei ja alles direkt beieinander im Ruhrgebiet.1

In Dortmund war das Leben sehr einfach. Ich wohnte fast am Hauptbahnhof und konnte wirklich alles zu Fuß erreichen - große Supermärkte, Ärzte, alles andere wo man etwas kaufen kann (einschließlich Rotlichtbezirk), Clubs, Konzerthallen und den Bahnhof natürlich. So ist es natürlich nicht in jedem Teil des Ruhrgebiets, denn nicht jede Stadt ist gleich groß. Aber durch die starke Ballung hat man doch immer eine vergleichsweise große Auswahl, egal worum es geht. In Chemnitz schließen die Geschäfte spätestens um 22 Uhr, die Kneipen auch am Wochenende um 1 Uhr und als ich mal ein paar Holzplattenzuschnitte für meine Küche brauchte, war ich drei Stunden unterwegs.

Auch Fortbewegung ist im Ruhrgebiet - objektiv betrachtet - recht einfach. Natürlich sind die S-Bahnen unzuverlässig und langsam, Busse fahren zu selten und kommen zu oft zu spät und die Vernetzung der Städte ist wirklich erbärmlich, wenn man das Potenzial bedenkt, das in diesem Ballungsraum steckt. Aber im Vergleich mit fast allen anderen Regionen ist es eben immer noch gut, vier Mal die Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Gelsenkirchen nach Dortmund fahren zu können. In Chemnitz kommt man einmal die Stunde nach Leipzig und zweimal die Stunde nach Dresden, aber nur von 5 Uhr bis Mitternacht, auch am Wochenende, und abends nicht durchgehend stündlich - ganz zu schweigen davon, dass es außer Leipzig und Dresden nichts gibt, wo man hier überhaupt hinfahren will. Dafür kann man hier gut Fahrrad fahren, wenn man mit den Bergen zurecht kommt.

Das mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kriegt im Ruhrgebiet allerdings schnell einen Knick, wenn wie letztes Jahr Bergschäden einen halben Bahnhof lahm legen. Die Spätfolgen des Kohlebergbaus sind immer noch spürbar - die Arbeitslosigkeit ist unfassbar hoch, Häuser haben Risse, Straßen sind schief. Natürlich nicht überall, aber eben auch nicht selten. Der desolate architektonische Zustand der Städte verbindet Ruhrgebiet und DDR vielleicht am Offensichtlichsten - aus unterschiedlichen Gründen, aber mit ähnlichen Folgen: Die Städte werden oft verschmäht. Dabei wird in Ost und West viel getan, um die Attraktivität wieder herzustellen; Zechen werden zu Kulturzentren, verfallene Kaufhäuser zu Museen.

Während das und besonders meine Heimatstadt Gelsenkirchen mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, sind es in Chemnitz die Rentner, die überproportional in der Bevölkerung vertreten sind. Es ist schlicht unmöglich, einen Termin beim Hautarzt zu bekommen. Dafür ist es hier aber auch wesentlich ruhiger. Es gibt eigentlich keine Gegend in Chemnitz, die man absolut meiden sollte, nachts kann man blind über die Straße laufen. Ich habe noch keinen einzigen Junkie und quasi keine Obdachlosen gesehen, während mir in Dortmund beinahe täglich Drogen angeboten wurden.

Die Vergleiche lassen sich noch eine Weile fortführen. Der Schluss meiner Geschichte ist oft, dass ich gerne hier wohne und mir im Gegensatz zu den meisten anderen auch vorstellen kann, hier zu bleiben. Das ist kein Plan, aber es ist eben auch nicht mein Plan, nach dem Studium zurück zu gehen. Ich habe gerne im Ruhrgebiet gelebt, aber ich bin nicht scharf darauf, dorthin zurück zu gehen. Jede Gegend in Deutschland hat Vorzüge und Nachteile. Vielleicht bin ich in fünf Jahren die Nazis leid und ziehe ins linke Bochum. Oder es verschlägt mich in eine Region, in der ich noch nie war. Oder ich bleibe eben hier, wer weiß das schon.

  1. Köln liegt im Rheinland, ebenso wie Düsseldorf, und damit südlich vom Ruhrgebiet. Nicht zu verwechseln mit dem Niederrhein, der sich teilweise mit dem Ruhrgebiet überschneidet.


Zwielichtige Erinnerungen

22 Uhr, Dortmund Hauptbahnhof Nordausgang. Eine Frau sucht das Dietrich-Keuning-Haus, sie steht direkt vor dem Weg dorthin, das weiß ich sogar ausnahmsweise mal. In der Feuerwehr leuchten alle Alarmeulen1. Eine Straße weiter rauscht ein Leiterwagen vorbei. Um die Ecke, ich bin in der Zimmerstraße. Vor dem Spielplatz hängen mal wieder zwielichtige Gestalten. Brauchste Gras, Bruder?

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In der Linienstraße verschwindet ein torkelnder, schreiender, siffiger, total betrunkener Typ. Zwei Jugendliche, denen der Zutritt zu dieser Straße noch nicht gestattet ist: "Boah, stell dir vor du wärst ne Nutte und müsstest DEN vögeln!"

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Über die Straße sollte man gehen, wenn sie frei ist, statt bei grün. Manchmal werfen sich aggressive, linksabbiegende Autofahrer bei roter Ampel mit quietschenden Reifen direkt zwischen die fahrenden Autos des kreuzenden Verkehrs.

  1. Eule: Oranges rotierendes Warnlicht


Früher in Dortmund

Im Januar habe ich in einer Reihe nächtlicher Textergüsse ein paar Facetten von Chemnitz gezeigt. Das wollte ich eigentlich schon mit Dortmund machen, aber dann fraß der Umzug meine Zeit auf.

Ich schleppe Umzugskartons aus dem Zug. Eine Gruppe junger Frauen mit Mundschutz schleppt schwere Koffer die Treppe rauf. Der Nordausgang des Bahnhofs hatte vielleicht früher mal Türen, aber zumindest zu meiner Zeit waren es immer nur rostige Rahmen, die die Bahnhofsbesucher nach draußen entlassen, wo sich Taxen, Linien- und Fernbusse und gehetzte Dortmunder gegenseitig aus dem Weg gehen.

Es ist spät am Abend, jemand flüchtet regelrecht in die Dunkelheit, bloß schnell nach Hause. Früher gab es auf dem Platz vor dem Kino mal Internetterminals, die wurden in den letzten Tagen aber alle demontiert oder geklaut. Nun sind die Rahmen genauso leer wie die Rahmen am Bahnhofsausgang. So leer wie die Haußtstraße, auf der zwar immer jemand unterwegs ist, die man aber um diese Zeit bedenkenlos überqueren kann.

An der Linienstraße ist auch noch jemand unterwegs gewesen. Leider hat er zuviel getrunken und findet nun seine Klamotten nicht mehr... oder die Typen bei mir in der Straße, die "was zu rauchen" anbieten, haben ihn nicht nur bis auf die Unterwäsche abgezogen. Zu dumm, dass er den "für Personen unter 18 Jahren" verbotenen Bereich verlassen hat.

In der Nordstadt kann man günstig wohnen, man wohnt zentral und hat alle nur erdenklichen Einkaufsmöglichkeiten und Verkehrsmittel quasi direkt vor der Haustür. Geht man nachts aus dem Haus, muss man aber gute Nerven und eine schützende Portion Ignoranz mitnehmen.

Tür aufschließen, Treppe rauf, an der leerstehenden Wohnung mit der eingeschlagenen Scheibe vorbei. Der MP3-Player spielt Little Boots "Every Night I Say A Prayer".



Kehrtwende

Freitag war ein komischer Tag. Es fing eigentlich noch recht harmlos mit unangenehmem Papierkram an, danach ging es nach Köln zum Musicstore. Von einem meiner Beckenständer ist die Schraube verloren gegangen und außerdem brauche ich endlich einen vernünftigen Hi-Hat-Ständer, der nicht ständig von alleine aufgeht.

Die Fahrt war trotz Freitagsverkehr recht angenehm und im Musicstore wurde ich ausgesprochen freundlich beraten. Die Schraube gibt es leider nicht als Einzelteil, aber man war - wenn auch erfolglos - bemüht, ein passendes Ersatzteil aus der Restekiste zu finden. Einen Hi-Hat-Ständer kaufte ich aufgrund des Transportproblems dann auch nicht, ließ mich aber beraten, was für mich wohl geeignet wäre.

Noch kurz eine geliehene Speicherkarte wieder abgegeben und erfolglos bei Media Markt nach einem Geburtstagsgeschenk gesucht, dann zurück nach Dortmund. Kurz vor Dortmund versagte gThumb, mit dem ich bis dahin die Fahrt über Fotos gesichtet hatte, den Dienst und verwarf meine gesamte Auswahl - Arbeit von drei Stunden weg. Ein paar Minuten später hielt der Zug auf der Strecke an - das Stellwerk in Dortmund war defekt. Wir standen erstmal eine halbe Stunde rum, dann wurde entschieden, dass der Zug wieder umdreht, um wenigstens die Rückfahrt anzutreten. Man solle dann in Witten - dem nächsten erreichbaren Bahnhof - auf die Lautsprecherdurchsagen achten.

Die gab es dann aber nicht. Zusammen mit G., den ich durch diese Umstände traf, ging's dann zum Fahrradverleih - leider ist Witten nicht an das Metropolradsystem, sondern an das Radstation-System angeschlossen, sodass wir nicht von Witten aus nach Dortmund fahren konnten. Stattdessen fuhren wir nach Lütgendortmund, um von dort mit dem Fahrrad in die Innenstadt zu fahren. Unseren Berechnungen nach würde das genauso lange dauern wie die Weiterfahrt von Lütgendortmund mit Bussen, aber mehr Spaß machen.

In der Tat war die ganze Aktion dann das Tageshighlight. Meine neue Bekanntschaft hat einen interessanten Job und dadurch bedingt schon Bombenangriffe in Israel gesehen, sah das ganze Zugdilemma also vergleichsweise entspannt. Bei der Radtour fühlten wir uns ein bisschen wie bei GTA: San Andreas ganz am Anfang, wenn man nur mit dem Fahrrad fahren kann und das auch nur langsam und schlecht. Wir müssen dringend an unserer Kondition arbeiten...

Die Strecke Lütgendortmund-Hauptbahnhof, die über Dorstfeld führte, erwies sich als sehr ruhig, aber auch deutlich länger als erwartet (insgesamt fast zehn Kilometer). Den Weg wies uns die Kombination Smartphone-WLAN und Tablet-Navigation - das Tablet musste dabei wieder mal sehr leiden und flog einmal in hohem Bogen aus dem Fahrradkorb. Wie schon beim letzten Mal überstand es das aber nahezu unbeschadet, nur ein kleiner Kratzer am Gehäuse zeugt noch davon. Wir lernten, dass zwei Minuten S-Bahn mit dem Fahrrad doch recht lang sind, dass der alte Hellweg in Dorstfeld heute nur noch von den dort ansässigen Firmen - Freitag abends also gar nicht - genutzt wird und dass 30km/h bergab sehr viel Spaß machen. hahahah

Die Höhen und Tiefen des Tages endeten dann damit, dass ich zuhause feststellte, dass mein Radcard-Tarif ausgelaufen und nicht verlängert worden war, so dass die kleine Aktion statt der erwarteten zwei ganze zehn Euro kostete. Überdies gibt es meinen alten Tarif gar nicht mehr, der neue mit ähnlichen Konditionen kostet nun 36 statt 8 Euro jährlich (und wird dadurch gänzlich unattraktiv). Wie schon gesagt, ein Tag mit einer merkwürdigen Ereignismischung, an den ich sicher noch eine Weile denken werde, wenn es bei der Bahn mal wieder eine Störung gibt.



Ihre nächsten Anschlüsse, heute ca. 35 Minuten später

Bitte nicht einsteigen, der Zug endet hier.

Also, erstens heißt es "Die Zugfahrt endet hier". Der Zug endet nämlich da hinten am Ende des Gleises. Zweitens stehen hier Fahrgäste, die ganz unbeirrt einsteigen, während andere davon sichtlich verwirrt sind, weil auch die Anzeige behauptet, hier sei Endstelle. Eigentlich sollte hier auch mal langsam der Regionalexpress ankommen.

Ihre nächsten Anschlüsse...

Hm. Also, das mit dem Regionalexpress kann ja schonmal nicht funktionieren, wenn der ICE planmäßig um 20:40 ankommt und um 20:45 schon planmäßig der RE abfährt.

An Gleis 16 steht bereit, der ICE 917 nach Stuttgart, planmäßige Abfahrt 20:37.

Ah, cool, der ICE, der um 20:40 ankommen sollte, fährt also um 20:37 weiter als ein anderer ICE. (Inzwischen ist es 20:43).

An Gleis 11, Ihre nächsten Anschlüsse...

Ein Blick zur Anzeige. Ach, der Zug der da auf Gleis 11 steht, ist der RE, auf den hier die meisten gewartet haben. Hauptsache die Fahrgäste, die aussteigen, wissen, in welchen Zug sie spontan einsteigen können. Und erst die zahlreichen ICE-Fahrgäste, die hier ausgestiegen sind (ungefähr zwei)! Aber die ICE-Fahrgäste haben ja auch mehr bezahlt, da kann man ihnen den Mehrkomfort ja gönnen. Ach nein...

...ICE 945 nach Berlin Hauptbahnhof, planmäßige Abfahrt 19:28, heute ca. zehn Minuten später, von Gleis 9.

Danke für den wertvollen Tipp. Es ist 19:46 und der RE muss noch einen Moment warten, "wegen der Überholung durch den Inter...Intr..Intrazity auf Gleis krrrksch direkt gegenüber". Aber im Gegensatz zum ICE, der stundenlang viele Kilometer durch Deutschland fährt und dabei keine fünf Minuten Verspätung aufholen wird, bestehen beim RE zumindest Chancen, drei Stationen weiter wieder pünktlich in Essen anzukommen.



Krieger des Lichts sein

Silbermond fand ich vor einigen Jahren mal richtig gut, als ich gerade "Passend gemacht" und damit das ganze erste Album "Verschwende deine Zeit" entdeckt hatte (lange nach dem Erscheinen). Dann verschwanden sie mit dem Umbruch auf härteren Rock und elektronische Musik aus meinem Musikgeschmack. Aber nicht lange, denn etwas später landete ich bei TEN SING, wo auch Silbermond ihre Ursprünge haben. Entsprechend kamen ihre Lieder dort immer wieder vor. Nun ließ ich mich als Stagehand für ihr Konzert in Dortmund einteilen und hatte so die Gelegenheit, auch einen Großteil des Konzertes zu erleben.

Direkt zu Anfang zeigte sich dabei, wofür wir uns mit dem teiltransparenten Vorhang abgemüht hatten: Mit "Unter der Oberfläche" ging's los, die Band spielte zunächst hinter dem Vorhang - bis Steffi mit dem Mikroständer dagegen stach und zeitgleich eine zerbrechende Oberfläche darauf projiziert und der Vorhang fallen gelassen wurde. Genialer Effekt! Dabei war das Konzert sonst eher effektarm - schon oft stellten wir fest, dass sich das Können der Band und die Menge der technischen Effekte umgekehrt zueinander verhalten, und Silbermond gehört definitiv zu den guten Bands. Schon beim zweiten Song geht's auf der Bühne so ab wie bei manchen anderen Bands erst im Finale.

Was nicht heißt, dass es danach langweilig wird - aus allen Alben gibt es mehrere Titel. Das Publikum ist dabei durchgehend begeistert und kann die Texte problemlos mitsingen, seien es alte Titel wie "Durch die Nacht" oder "Zeit für Optimisten", neue Stücke wie "Himmel auf" oder "Teil von mir" oder Songs vom zweiten Album wie "Meer sein" oder "Unendlich". Ich selbst kannte das neue Album bisher fast gar nicht, habe nun aber auch Gefallen daran gefunden - es wirkt etwas ernster, dafür aber textlich sehr überzeugend. Aktuell ganz passend z.B. "Waffen", in dem sich die Band klar positioniert: "So voll wie unser Magazin, so leer ist unser Verstand". Wenn man die Zeitung liest, muss man nur die erste Seite nehmen und hat schon tausend Textideen, so Steffi zu der Frage, woher sie eigentlich die Themen für ihre Songs nehmen. Auf wenig Zustimmung stößt hingegen die Moderation zum Thema Fußball - in Dortmund will eben niemand, dass immer die bessere Mannschaft gewinnt!

Zwischendurch gibt's dann eine kleine Akustikeinlage auf der zweite Bühne, die über einen Laufsteg mitten ins Publikum gebaut wurde. Auf der hatte zuvor auch ein Sänger gespielt - eine schöne Idee, um die Umbaupause zwischen der ersten Vorband und Silbermond zu nutzen. Zumal es ein sympathischer Typ mit netten Texten und einer angenehmen Stimme ist. Es ist schön hier zu spielen: "Ich komme aus Berlin, da gibt es nichtmal einen Fußballverein - dafür aber auch keinen Flughafen."

Erwartet hatte ich eigentlich, dass das Finale dort gespielt wird, aber "Das Beste" gibt's mit Klavier von der großen Bühne aus. Das erweicht dann auch die meisten "härteren" Zuschauer - egal ob jung oder alt, Mann oder Frau, schon lange Fan oder heute zum ersten Mal dabei, hier ist jeder vertreten - und augenscheinlich auch jeder begeistert. Zum Finale, als wir schon neben der Bühne auf unseren Einsatz warteten, gibt's dann "Krieger des Lichts" mit dem neuen Lichtermeer - man muss ja zugeben, Feuerzeuge mögen out sein, aber wenn das Publikum dafür Lichter am Handy hat und die benutzt, sieht es eigentlich noch besser aus. Die auch auf den Rängen gut gefüllte Westfalenhalle 1 vom Publikum erleuchtet zu sehen ist schon ein Eindruck, den man lange im Kopf behält. Da ist es dann auch mal schön, die ganzen Scheinwerfer mal auszuschalten.



Nutella und Marmelade

..."Vorsicht bei der Einfahrt." Der Wind steht passend, der Straßenlärm ist noch nicht da, bei offenem Fenster kann ich die Bahnhofsansagen hören. Dabei wohne ich fast zehn Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt - das ist nicht weit, aber weiter als bei meiner letzten Wohnung. Generell hört man hier ziemlich viel, dafür, dass das Haus locker vierzig Jahre jünger ist als das in Herne. Aber heute nicht, heute ist Sonntag und es ist acht Uhr morgens, da sind die Nachbarn ausnahmsweise mal noch nicht wach. Nur ich habe seit langem mal wieder die Nacht durchgemacht und gehe jetzt erstmal Brötchen holen.

Die Bäckerei hat allerdings geschlossen, dafür ist der SB-Backshop geöffnet. Die Brötchen sind gut, sie haben eine dünne knusprige Haut und sind ansonsten ganz weich. Ich gönne mir vier verschiedene Beläge und Orangensaft aus einer Flasche, aus der man nur reichlich eingießen kann. Wir sollen es uns gut gehen lassen, sagt sogar die Bibel. Die sagt allerdings auch, dass wir denen helfen sollen, die das alleine nicht schaffen. Ich habe keine Ahnung, wo hier in der Nähe jemand sich nicht leisten kann, ständig Nutella, Käse, Honig und zwei Sorten Marmelade vorrätig zu haben, vielleicht schon hier im selben Haus.

Ich weiß ja nichtmal, wie der Nachbar heißt, der mir schon dreimal angeboten hat, seine SAT-Schüssel mitzunutzen. Dabei habe ich gar keinen Fernseher. Ich weiß generell zu wenig von meinen Nachbarn und den anderen Menschen die hier wohnen. Das ist uns auch letztens im Kloster aufgefallen, als wir überlegt haben, wieso wir eigentlich so wenig mit unseren Menschen über Religion reden: Vor allem, weil wir generell so wenig mit unseren Mitmenschen reden. Wenn sie dann auch noch wie die Zeugen Jehovas direkt mit der Tür ins Haus fallen, sperren wir uns erst recht. Ist eigentlich jemals bei jemandem die evangelische Kirche aufgekreuzt, um das Evangelium zu verkünden?

Auch die großen Kirchen in unserem Land sind eben mit der Zeit gegangen und damit mit dem Trend zu weniger Kommunikation mit Fremden. Aber Deutschland ist auch schon länger kein christlicher Staat mehr, auch wenn die zurzeit stärkste Partei im Bundestag ein 'C' im Kürzel trägt. Ein Grund mehr, dass ich neugierig bin, wie das Leben in religiös geprägten Ländern aussieht. Unser Workshopleiter im Kloster hat eine Zeit lang in Israel gelebt... seinen Erzählungen nach kann man kaum begreifen, warum die Menschen dort so leben, wie sie leben, aber eine Reise wert ist es auf jeden Fall. Vielleicht schaffe ich es ja mal dort hin zu reisen. Der Flughafen ist ja auch nur wenige Minuten von hier entfernt.



Das geheime System

Die Deutsche Bahn hat ja bekanntlich eine Reihe von Regelungen, die regelmäßig zu Verärgerung bei den Fahrgästen führen. Dazu gehört auch, dass zuschlagspflichtige Fernzüge (ICE/IC/EC) bei Engpässen im Schienennetz Vorrang haben. Manchmal zweifle ich aber daran, ob diese Regelungen Sinn ergeben. Also, abgesehen davon, dass ich das Zweiklassensystem der Deutschen Bahn generell anzweifle.

Hat man dort zum Beispiel schon darüber nachgedacht, dass ein ICE möglicherweise einen Regionalzug aufhält, mit dem andere Reisende eben diesen ICE erreichen wollten? So stand ich heute in Kamen und wollte nach Dortmund und in einer Zeitspanne, während der drei Regionalzüge kommen sollten, fuhren drei Fernzüge ohne Halt durch. Was ist denn, wenn ich meinen ICE nicht erreiche, weil der Regionalzug, den ich als Zubringer benutzen wollte, Verspätung hat, weil ein ICE Vorrang bekommen hat? Oder gilt die Vorrangregelung nur für verspätete Fernzüge? Dann hätten allerdings ziemlich viele Fernzüge Verspätung. Zugegeben, das erscheint gar nicht so unwahrscheinlich...

Fassungslos war ich auch, als ich letztens mit einer Freundin unterwegs war, die gehbehindert ist. Wir wollten zur Veganermesse in Essen und danach mit einem Bus voller TEN SINGer nach Ehringen zur dortigen Show. Der Tag fing schon gut an, als sie falsch beraten wurde, mit welcher Straßenbahn man zum Bahnhof Zollverein kommt; da die alten Straßenbahnen mit Stufen nicht gut zu benutzen sind, wenn man auf Krücken unterwegs ist, trafen wir uns durch den Umweg über eine Stunde später. Im Gebäude der Messe war dann der Aufzug deaktiviert - bzw. man konnte nur zwischen Keller und Erdgeschoss fahren, in die anderen Stockwerke nur, wenn dort von außen jemand die Ruftaste drückte. Wer kommt auf so eine Idee?

Während das aber durchaus noch unterhaltsam war, weil wir uns manchmal einfach mit anderen Leuten in den Aufzug stellten und warteten, dass oben jemand drückte, habe ich mich hinterher einmal mehr über die Bauweise von Bahnhöfen aufgeregt. Wenn man mal darauf achtet, fällt einem erstmal auf, wie viele Bahnhöfe keinen Aufzug haben. Gerade an kleineren Bahnhöfen wie dem an der Zeche Zollverein gibt es meist nur eine normale Betontreppe. Aber selbst an großen Bahnhöfen wie dem Essener Hauptbahnhof - Kulturhauptstadt 2010 und achtgrößte Stadt Deutschlands - muss man teilweise Treppen überwinden, weil nur innerhalb der Gebäude Aufzüge vorhanden sind, draußen aber auch keine vollständige Barrierefreiheit gegeben ist. In Dortmund gibt es nur an einem Gleis überhaupt einen Aufzug, an den anderen teilweise Rolltreppen, die aber auch keine Hilfe sind. Und an beiden Bahnhöfen liegen teilweise Gleise hintereinander oder zumindest weit weg vom Aufzug - ein Konzept, das ich nie verstehen werde. Wieso baut man einen Bahnsteig mit zwei Gleisen und dahinter um eine Ecke rum nochmal vier Gleise? Da kommt doch kein Mensch drauf. Keine Chance dort einen knappen Anschluss zu bekommen.

Und dann erzählt die Bahn, wie sie mit dem Geld aus den Konjunkturpaketen Bahnhöfe saniert hat: Elektronische Anzeigen hat man dort installiert und Wetterschütze. Das sind dann diese Stellen, die offiziell nur "Haltepunkt" heißen - ein Stück Beton an ein Gleis dran gebaut, irgendwo im Nirgendwo, im Idealfall mit Aushang, wann dort ein Zug vorbei kommt. Und wird mal ein Aufzug gebaut, dauert es Jahre - so wie in Herne, wo die Bauarbeiten begannen, als ich einzog, und noch nicht beendet waren, als ich wieder weg zog.

Wir haben jedenfalls am Ende erst den Zug in Essen und dann den Zug in Dortmund verpasst und so auch den Bus, so dass wir das Konzert nicht mehr erreichen konnten. Und wir waren noch in der glücklichen Situation, Treppen überhaupt überwinden zu können - wie schwierig muss das Reisen mit dem Zug dann erst für Rollstuhlfahrer sein?