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Belohne ich mich für Sport oder ist Sport eine Belohnung?

Apropos Sport, ich schrieb ja gerade, dass ich die Boulderlounge in Chemnitz vermissen werde, solange sie wegen des Umzugs geschlossen hat. Tatsächlich ist Bouldern mir mittlerweile eine lieb gewonnene Freizeitbeschäftigung und wäre ich nicht immer drei Tage platt danach (und wäre es nicht so teuer), würde ich sicher öfter hingehen. Bouldern ist vor allem Kraftsport, erfordert aber auch ein gewisses Maß an Technik, um an den Griffen und Tritten Halt zu finden und die entfernteren Griffe zu erreichen. Daher ist jede geschaffte Route ein Erfolgserlebnis und damit ein bisschen Grund zu feiern.

Nun ist genau das etwas, was man in einer Boulderhalle eher nicht findet - die allermeisten Leute dort gehen ihre Sache sehr ruhig an und weder Erfolg noch Misserfolg werden groß zelebriert. Das ist sehr angenehm, und es trägt sicher auch dazu bei, dass der Umgang untereinander meistens respektvoll ist und Anfänger sich gegenüber Könnern nicht eingeschüchtert fühlen müssen.

Vermutlich findet man beim Bouldern auch, wenngleich ich eben schrieb, dass es Kraftsport ist, eher wenige Menschen, die auch ein Fitnessstudio-Abo haben. Abgesehen davon, dass viel Muskelmasse beim Klettern im Allgemeinen nicht so nützlich ist, scheint auch die Motivation dahinter eine ganz andere zu sein. Überhaupt scheint es sehr unterschiedliche Motivationen zu geben, Sport zu treiben, und vielleicht steckt darin eine Erklärung, wieso manche Menschen freiwillig Sport treiben und andere sich dazu zwingen müssen.

Ich gehe zurzeit außer in die Boulderhalle auch noch zum Badminton, früher habe ich auch etliche Jahre Judo gemacht. Alles drei dient ausschließlich meiner Bespaßung in meiner Freizeit; eventuelle Fitness- und Gesundheitsaspekte sind erfreuliche Nebeneffekte. Das ist eine sehr bequeme Situation, denn es sorgt dafür, dass ich mir um meinen Körper im Allgemeinen nicht so viele Gedanken machen muss. Dagegen gibt es sicherlich viele Menschen, die z.B. mit ihrem Gewicht oder ihrer Ausdauer unzufrieden sind und daher beschlossen haben, Sport zu treiben, um etwas daran zu ändern.

Nun gibt es nicht ohne Grund hunderte Apps und Ratgeber, wie man sich überwindet, Sport zu treiben. Offensichtlich machen das viele der Menschen, die es aus einem konkreten Grund tun, nicht gerne. Nur: Warum? Bei der Kondition lassen sich z.B. recht schnell sichtbare Fortschritte erzielen. Es sollte also eigentlich motivierend sein, zu sehen, wie man seinem Ziel näher kommt.

Ich sehe da zwei mögliche Probleme: Man kommt dem Ziel aber nicht näher oder das Ziel ist falsch.

Falsche Ziele lassen sich leicht beheben: Hat man sich ein Ziel nicht aus wirklichem inneren Antrieb, sondern z.B. aus gesellschaftlichen Gründen gesetzt, ist natürlich die Motivation deutlich geringer. Dagegen hilft ehrlich zu sich sein und aufhören. Oder auch: Die Sportart wechseln. Die Auswahl an Sportarten, derer sich der eigentlich nicht sportinteressierte Mensch bedient, scheint ernüchternd klein: Laufen, Fitnessstudio, vielleicht noch Schwimmen oder Radfahren. Kein Wunder, dass sich da viele nicht für begeistern können, alleine schon, weil nichts davon von Natur aus eine gesellige Aktivität ist.

Die TU Chemnitz bietet dieses Semester etwa 45 Sportarten als Kurs an. Früher waren es auch schonmal deutlich mehr. Nicht jede davon wird geeignet sein zur Gewichtsreduktion, alleine schon weil sich einige Sportarten mit einem hohen Gewicht gar nicht sinnvoll ausüben lassen (dazu gehört übrigens auch der Laufsport), und nicht jede wird die Ausdauer fördern. Einige aber sicher schon und vor allem: Jeder Sport trägt zur allgemeinen Fitness bei und motiviert zu mehr Aktivität. Bei meinem Judotraining waren in wilder Kombination bestimmt ein Dutzend andere sportliche Aktivitäten, vom Body-Weight-Intervalltraining über Laufen bis hin zu Basketball, zum Aufwärmen dabei. Judo an sich ist vor allem ein technischer Sport mit geringem Kraft- und keinem Ausdaueranteil, aber das erforderliche Rahmenprogramm hat auch meine Ausdauer enorm gefördert.

Selbst wenn dem nicht so ist, wird regelmäßiger Sport, den man gerne macht, dazu führen, dass man sich auch mal zu etwas anderem aufraffen kann, sei es, weil man sich leichter überwindet, oder weil man Menschen kennengelernt hat, mit denen man sich motivieren kann. Beispielsweise ist gelegentliches Radfahren eine großartige Möglichkeit, die allgemeine Kondition und Fitness zu verbessern. Nicht in großen Schritten und mit riesigen Effekten, dafür aber mit wenig Aufwand. Wer regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit / Uni und zum Supermarkt fährt, wird über die Zeit schneller fahren, längere Strecken zu Fuß laufen können, nicht von jeder Treppe überfordert sein.

Das sind natürlich alles Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung, aber die Grundidee sollte klar sein: Sucht euch etwas, was ihr gerne macht. Es ist okay, wenn ihr euch nach einer Joggingrunde durch den Park mit einem Fernsehabend belohnt, viel besser ist es jedoch, wenn ihr freiwillig das Haus verlasst. Es fühlt sich auch wesentlich besser an. Dabei gilt bei jeder Sportart natürlich trotzdem, sei es nun mit viel oder wenig Motivation: Macht es richtig. Geht in einen Verein oder einen Kurs, informiert euch vernünftig, um Sportverletzungen zu vermeiden. Nicht dass ihr am Ende Motivation findet und dann aus gesundheitlichen Gründen wieder aufhören müsst. ;-)



Mein Leben 2018

Da mir in letzter Zeit die zum Schreiben nötige innere Ruhe noch mehr fehlt als die Zeit dafür, ist es hier sehr still. Das heißt keineswegs, dass mir das Schreiben keinen Spaß mehr macht, es ist nur einfach nicht immer so wichtig. Schreiben war immer auch ein Teilen von Dingen, für die ich niemand Passendes hatte, dem ich das hätte so erzählen wollen - erfreulicherweise ist das so nicht mehr notwendig. Irgendwann im letzten Jahr beschloss ich, bewusster meine Kontakte und Freundschaften zu pflegen, und es funktioniert sehr gut, das heißt, sich lohnende Freundschaften wurden intensiviert, auf überflüssige Kontakte wird keine Zeit mehr verschwendet. Das ist sehr schön.

Was auch ein Experiment war und erstaunlich gut funktioniert, ist, dass ich nahezu komplett aufgehört habe fernzusehen. Ironischerweise besitze ich ungefähr genauso lange wie ich nicht mehr ferngesehen habe einen Fernseher. Das ist aber eine andere Geschichte. Ich war noch nie ein Filmmensch, aber ich liebe Serien, ich stellte bloß irgendwann fest, dass ich viele Serien bloß aus Gewohnheit schaue und weder ein gutes Gefühl dadurch bekomme noch irgendwas anderes positives daraus ziehe. Es war bloß Zeitverschwendung, und mit der Erkenntnis hörte ich von heute auf morgen auf damit. Von jetzt auf gleich mit etwas aufzuhören ist sowieso die beste Methode.

Es wäre eigentlich mal noch ein Artikel dazu fällig, wie ich mit TEN SING aufgehört habe. Das war schon 2016; 2017 fuhren wir nochmal mit TEN SING RheinRuhr zum Kirchentag und vermutlich tun wir das auch 2019 nochmal, aber im Wesentlichen bin ich raus. Letzte Woche war ich seit langem mal wieder bei einer Show zu Besuch, denn in Sachsen war Sachsenseminar und ich konnte dort viele liebe Menschen mal wieder treffen. An solchen Abenden fehlt mir die Gemeinschaft, fehlt mir das Erlebnis, das mir TEN SING geboten hat, und vor allem fehlen mir auch die Seminare. Ich frage mich: Gibt es etwas für Erwachsene, wo man sich eine bestimmte Zeit lang so sehr gemeinsam auf etwas fokussiert, dass eine irrsinnig enge Gemeinschaft entsteht, ein unvergleichliches Miteinander, und gleichzeitig ein über sich selbst hinaus wachsen? Ich habe so viel gelernt auf den Seminaren, bin so oft über meine eigenen Grenzen gegangen, und es erfüllt mich noch heute mit Stolz, die Erfolge von ebendem bei anderen zu sehen.

Immerhin der Lernaspekt kommt nach wie vor nicht zu kurz. Ich schreibe gerade an meiner Bachelorarbeit, was mir viel Spaß macht, und ich habe seit Herbst einen neuen Job. Die Welt des Programmierens und der Computer hat mich wieder. Erfreulicherweise bin ich diesmal in einer Firma gelandet, in der ich mich wirklich wohlfühle und eben auch eine Menge lerne, so dass ich darüber hinweg sehen kann, dass meine Arbeit im Kontext des gesamten Weltgeschehens völlig unbedeutend und obendrein für Nicht-ITler auch völlig langweilig ist. Praktisch, dass diese Branche vielleicht die einzige ist, in der ich meinen Traum vom Teilzeitjob mit paralleler sinnstiftender Tätigkeit erfüllen kann, ohne am Hungertuch zu nagen.

Überhaupt, Zukunftsgedanken. Ich denke zurzeit viel darüber nach, wie meine Zukunft mittelfristig aussieht, und gelegentlich sogar darüber, was langfristig passieren könnte. Gleichzeitig steht schon sehr bald wieder ein Umzug vor der Tür; meine aktuelle Wohnung lüftet sich selbsttätig, schimmelt trotzdem und meine Nachbarn und der Straßenlärm treiben mich in den Wahnsinn. Crazy Studentenlife ja, null ruhiger Rückzugsort nein danke. Im April ziehe ich in eine völlig dekadente 50m²-Wohnung in einer ruhigen Wohnsiedlung und mein Highlight sind die Außenrolläden. Ich werde alt - meine Steuererklärung habe ich auch schon gemacht.

Vielleicht ist alt werden aber auch ok. Ich baue mal darauf, dass mich weiterhin Menschen umgeben, die meine Leidenschaften teilen, dann kann das alles gar nicht so schlimm werden. Und eine schicke Küche und etwas Ruhe sind nichts verwerfliches - bei den anderen Studenten kommt die große Wohnung auch gut an, schließlich kann man dann bei mir gut feiern.



Pläne bis Sommersemesterende - Zwischenstand

Etwas besorgt sah ich gerade, dass ich meine Pläne für das Semester tatsächlich veröffentlicht hatte, und nachdem bisher alle diese Projekte grandios gescheitert waren, ahnte ich schon schlimmes. Aber nein: Es sieht diesmal recht gut aus.

Radtour nach Berlin
Ist geplant und hat einen Termin.
Umziehen
Abgeschlossen!
Soundcloud-Account der Band füllen
Wir haben zwei Songs online gestellt, ihr könnt sie hier anhören: Meine Band Helicopters At Twilight auf Soundcloud
Mit der Band auftreten
Bisher leider nicht.
Probenraum-Akustik und -Aufnahmen verbessern
Wir haben mehr und bessere Mikrofone und einen Schallabsorber, immerhin.
Türen für den Spülenschrank bauen
Scheitert zurzeit noch am Geld.
Fräsen lernen
Wie gehabt: Okay, vielleicht erstmal mehr Stichsägenkram üben. Aber auf Dauer wäre eine Fräse sicher auch praktisch und das kann auch nicht jeder = cool.
Wirklich dichtes Rollo bauen
Der Plan war, aus fertigen Rollos etwas selbst zu bauen, aber Rollos sind, egal welche, immer erstaunlich teuer.
35mm-Film entwickeln
Immer noch: Equipment ist da. Die neue Wohnung hat sogar ein Bad ohne Fenster. Auf geht's.
An einer Gerichtsverhandlung teilnehmen
Dafür werde ich sicher im September noch Zeit finden.


Fugen und Fügungen

Manchmal fallen die Dinge so zusammen, wie es sich keiner ausdenken kann. So wie neulich, als ich vom Kirchentag zurückfahren wollte, meinen Bus verpasste und dafür in einer Mitfahrgelegenheit landete, deren Fahrer meinen letzten Auftritt gesehen hatte und mit einer weiteren Mitfahrerin, deren letzten Auftritt ich gesehen hatte. So auch heute wieder.

Nachdem ich mehrere Semester lang meine Fahrradschrauberkenntnisse in der Uni-Selbsthilfewerkstatt verbessert hatte, begann ich vor einigen Wochen, ein neues Fahrrad selbst zu bauen. Dafür war ich auch heute wieder in der Werkstatt, wo uns ein ehemaliger Mitarbeiter besuchte, der einem "Kunden" mit Fachwissen aushalf. Es stellte sich heraus, dass er inzwischen bei einer lokalen Fahrradwerkstatt arbeitet, bei der ich mich kürzlich beworben hatte. Auf meine Bewerbung bekam ich keine Antwort - aber anscheinend ist die Tätigkeit dort sowieso wesentlich weniger interessant, als ich es mir vorgestellt hatte. Und, umso besser, inzwischen hat sich ohnehin ergeben, dass ich lieber eine Stelle an der Uni annehmen möchte, von der ich zum Zeitpunkt meiner Bewerbung bei besagter Werkstatt noch nichts wusste. So fügt sich eins zum anderen...

Zu dem Fahrrad-Selbstbau-Projekt wird es hier sicher auch noch den ein oder anderen Artikel geben. Vorerst ein paar Bilder. Die Foto-Seitenleiste hat nun auch eine Galerie-Funktion, also einfach anklicken. hahahah



Vorbei rasende Höhen und Tiefen

Hiking - 0007.jpgAnfang …



Momente, die glücklich machen

In der Adventszeit teilt sich die Bevölkerung zumindest ein bisschen: Einige gehen total im Kaufrausch auf, manche dekorieren wild, andere sind gestresst weil alles perfekt werden muss, die Glücklichen genießen ganz entspannt die Vorfreude auf Weihnachten und das Fest selbst und manche sind einfach die ganze Zeit grumpig, weil sie nichts damit anfangen können oder die aufgesetzte Glücklichkeit nicht ertragen. Ich gehöre zur backenden Fraktion und freue mir ein Loch in den Bauch, wenn die verschenkten Leckereien gut ankommen (und fülle es dann mit Schokolade). Inspiriert davon, aber für Adventsfreunde und -feinde gleichermaßen geeignet, möchte ich heute ein paar Einträge aus meiner privaten Liste schöner Erlebnisse mit euch teilen und damit auch ein bisschen Freunde am Leben - ganz unabhängig von der Jahreszeit.

TEN SING Kürten beim ökumenischen Kirchentag
TEN SING Kürten live

  • Eine Bekannte um Materialien zu einer Andacht bitten, weil man die so toll fand, und dann von ihr zum Kaffee eingeladen werden, weil sie sich so freut, dass die Andacht so gut ankam
  • Von Menschen erkannt werden, die man vor über einem Jahr ein einziges Mal getroffen hat und die einem zwar wichtig sind, weil man sehr prägende Erlebnisse mit ihnen hatte, zu denen man aber seitdem keinen Kontakt hatte
  • In der Bahn mit der Sitznachbarin zusammen anfangen müssen zu lachen, weil wir beide dem gleichen dämlichen Gespräch anderer Fahrgäste gelauscht haben
  • Bei einem Konzert mit unglaublich guter Stimmung den Rucksack fremden Zuschauern anvertrauen, um ihn zum Technikpult durchreichen zu lassen, und nach dem Konzert dort unversehrt einsammeln (Foto links unten von Philip Wilson)
  • Vor der Halle einer überfüllten Konzertlesung zu ein paar singenden Jugendlichen dazu setzen und selber Musik machen, und am Ende sitzt da vor der Halle eine riesige Gruppe singender, musizierender und Chips futternder Jugendlicher, die sich eigentlich gar nicht kannte

In unserem oft stressigen und nervigen Alltag ist es manchmal schwer, die Augen geöffnet zu halten für die großen und kleinen schönen Dinge, die uns ständig passieren. Daher schreibe ich immer wieder ein paar davon auf - eisbrechende Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln, Momente, in denen Vertrauen belohnt wird, Dinge, für die ich dankbar bin, Erfolgserlebnisse. Alles, was die Hoffnung stärkt, dass viele der Menschen um uns herum ganz wunderbar sind und dass wir in unserer merkwürdige Welt ein glückliches Leben führen können, wenn wir uns ein bisschen bemühen. Die Liste ist lang, und sie wächst immer weiter.



Bequemes Schuhwerk & Daumen raus: Hitchhiking in Island

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Per …



Alerta, Alerta

Der 5. März ist der Jahrestag der Zerstörung von Chemnitz im größten Bombenangriff auf die Stadt im zweiten Weltkrieg und heute auch der Chemnitzer Friedenstag. So wie die Neonazi-Szene in Chemnitz diesen Tag nutzt, um für ihre Politik zu demonstrieren, nutzen ihn auch zahlreiche Gegendemonstranten, um ein Zeichen zu setzen, dass braune Ideologien hier im 21. Jahrhundert nicht mehr erwünscht sind.

Auch die Uni hatte anlässlich des Friedenstages zur Demonstration aufgerufen und so versammelten wir uns am Nachmittag vor der Mensa. Mit Bildern aus Hamburg, Frankfurt und Istanbul vor Augen wirkte der Platz reichlich leer - mit den ersten Meldungen von 20, 30 gesichteten Nazis nicht mehr. Etwa zehn Mal so viele Studenten zogen dann mit lauter Musik und Seifenblasen die Hauptstraße hinunter bis zum Südbahnhof, wo wir auf die im Zentrum gestartete Demo trafen und in Richtung der angemeldeten Nazi-Route abknickten. Die Musik war gut, die Moderatorin extrem entspannt und so war der Fußmarsch zum Kundgebungsort sehr entspannt.

Mit mehr lauter Musik positionierte unser Wagen sich dann am seeehr frühen Abend am Kundgebungsort, wo sich nach einer Weile die Anzeichen verdichteten, dass nichts Großartiges mehr passieren würde. Wir standen hinter den Gittern, die die Nazi-Route sichern sollten, aber an anderer Stelle hatte sich bereits eine Sitzblockade gebildet, so dass mit dem Eintreffen der rechten Demonstranten nicht mehr zu rechnen war. Also schlossen wir uns bei nächster Gelegenheit dem Aufruf an, die Sitzblockade zu unterstützen.

Nun hat so eine Sitzblockade zunächst einmal sehr viel mit Sitzen zu tun und dann auch mit Warten. Vielleicht 200 Menschen, ein Großteil von der DGB1-Jugend, verstopften dort eine Kreuzung, bewacht von ausgesprochen friedlicher Polizei. (Radio Chemnitz spricht von 700 Personen, bezieht dabei aber die anderen Demonstranten entlang der Naziroute mit ein.) Die gab uns dann nach und nach zu verstehen, dass wir kein Recht auf die Blockade haben, sondern im Gegenteil die Nazis als angemeldete Demo ein Recht darauf haben, den Weg zu passieren. Passend dazu gab's natürlich entsprechende Kommentare von den Sprechern der DGB-Jugend - Verhalten im Fall einer Räumung und natürlich die Aufforderung, nicht einfach abzuhauen.

Als dann durchsickerte, dass es vielleicht doch 200 und nicht 20 Nazis sind und die Hundertschaft der Polizei in schwarzen Schutzanzügen und Helmen anrückte und auf und ab patroullierte, kam auch langsam die Frage auf, ob wir wohl tatsächlich von uniformierten Beamten von der Straße entfernt werden würden, und ob es wohl Eskalationen mit den Nazis geben würde. Da es in den letzten Jahren aber Schlägereien und Überfälle gegeben hatte, war schnell klar, dass letzteres auf jeden Fall vermieden und die NPD-Demonstration auch nicht über dunkle Seitengassen umgeleitet werden würde. Also saßen wir weiter auf Zeitungen, Decken und aufeinander, warteten und brüllten Parolen, bis die Anwohner aus dem Fenster guckten.

Und wie wir so warteten, rätselten, warum die Polizisten wohl Kreuze auf der Uniform tragen, und wilde Schätzungen über Anzahl der Polizisten und der Nazis und den Einsatz von Schlagstöcken und rechter Gewalt anstellten, passierte - nichts. Bis es irgendwann hieß, dass die Nazi-Demo umgekehrt sei - auch auf deren Seite bestand wohl kein Bedarf an Eskalationen, so dass die rechte Szene schlicht und ergreifend umgekehrt und nach Hause gefahren war. Unsere Sitzblockade war inzwischen vollständig eingekesselt, aber bevor die ersten Leute ernsthaft schlechte Laune bekamen, durften wir geordnet in Richtung Hauptstraße abreisen.

So unspektakulär wie die Aktion damit im Vergleich mit ausartenden Demonstrationen in anderen Städten verlaufen war, so erfolgreich kann sie bewertet werden. Ich fühle mich jedenfalls an eine Demo im Westen erinnert, bei der es regnete und die zwei Dutzend Nazis sich unter einer Bushaltestelle unterstellten, während hunderte Gegendemonstranten unterwegs waren. Und während es dort zu scharfer Kritik am Vorgehen der Polizei kam, kann man hier nur Respekt zeigen für die ruhige Sachlichkeit der Beamten. Deren bewusste Neutralität war zwar zuweilen seltsam oder nervig, aber als Hüter der Ordnung und Sicherheit haben sie heute einen guten Job geleistet.

Damit ist 2014 das zweite Jahr, in dem die Gegendemos den Aufmarsch der Neonazis in Chemnitz massiv behindert haben. Ein schönes Zeichen für eine Stadt im Umbruch, die nicht nur auf Häuserruinen, sondern auch auf braune Politik keine Lust mehr hat.

  1. Deutscher Gewerkschaftsbund