...und es wird nicht besser. Nachdem vor einiger Zeit einige Wochen lang merkwürdigerweise nahezu nur noch alte Straßenbahnen gefahren sind, habe ich mal einen Mitarbeiter der Bogestra angequatscht was da los ist. An den Variobahnen musste mal wieder was nachgebessert werden. Naja, nicht so interessant wie meine Stromnetz-Theorie, die besagt, dass die Oberleitungen die neuen Straßenbahnen nicht mehr versorgen können und daher zusammenbrechen, aber genauso gut zum Bloggen. Den Dialog fand ich auch toll:
Ich: "...nicht dass Sie mich falsch verstehen, ich vermiss die [Variobahn] nicht"
Er: "...ich auch nicht..."
Ich: "Ich hab so viel Kritik gehört..."
Er: "hmhm... ich glaub kaum jemand vermisst die. Naja, hauptsache, es fährt was"
... Ein schöner Anlass, mal wieder zu schauen welche Vorteile die neuen Bahnen für Gelsenkirchen bringen. Übrigens: Mit dem verstärkten Einsatz alter Bahnen sind auch verstärkt Kontrolleure bzw. Service-Mitarbeiter unterwegs, um Leuten mit Kinderwagen oder so zu helfen. Ich sag ja immer, das geht auch bei den alten Bahnen noch ganz gut. Warum dann neue anschaffen, wenn's doch mit netten Menschen auch mit den alten geht? Unsere Gesellschaft kann's gut brauchen, wenn man einander mal wieder mehr hilft.
Ich gehe einfach mal Vorteile durch, die die neuen Bahnen haben sollen, und kommentiere die...
- Erhöhte Sicherheit und mehr Fahrkomfort
Ältere Menschen fallen von den Klappsitzen. Die Bahn liegt inzwischen nicht mehr so toll in der Spur. Beim Fahren gibt es Geräusche, von denen man denkt, dass sie das Auseinanderfallen der Bahn ankündigen. Die Lüftung ist so laut und dröhnend, dass man nach wenigen Minuten Kopfschmerzen bekommt. - Verbesserte Automatiktüren
Die Türen gehen sofort wieder zu und piepen dauerhaft, wenn viele Menschen einsteigen. Wenn die Bahn Aufenthalt hat, hört man das Piepen durchaus 4, 5 Mal pro Tür. Statt dem nervigen Ton hätte man etwas angenehmeres einbauen sollen, was nicht in der ganzen Bahn zu hören ist. Die Türen gehen zwar nicht mehr von jedem vorbei fliegenden Vogel auf, dafür aber auch nicht mehr wenn Leute angerannt kommen die gerne noch mitfahren würden. Außerdem gehen oft sowieso einfach alle Türen auf - egal wo jemand aussteigt. Wenn eine Tür defekt ist, piept sie wie blöde und man kann sie im Gegensatz zu den alten nicht einfach zuziehen (dafür kann man sie natürlich auch nicht mehr gewaltsam aufreißen). - Platz für mehr Personen
Stimmt, aber nur für Personen, die keinen Halt benötigen. Die Festhaltegelegenheiten für stehende Fahrgäste sind deutlich schlechter als bei den alten Bahnen, die Sitzplätze sind so eng, dass selbst schlanke Personen nicht nebeneinander sitzen können, ohne mit einer Pobacke im Gang zu hängen, der dadurch noch enger wird. Die Sitze an den Gelenken sind quasi nicht nutzbar für Personen über 1,60m, da sie zu eng am Gelenk sind. Außerdem fehlen dort teilweise die Druckknöpfe für Haltewünsche, die ansonsten jetzt auch an den Sitzplätzen vorhanden sind. Letztlich werden vermutlich sogar weniger Personen transportiert, da die Sitzplätze nur etwa zur Hälfte genutzt werden und die Stehplätze auch nicht alle, da man sich nicht festhalten kann. Große Taschen können nirgendwo mehr untergebracht werden und belegen zusätzliche Plätze, die dann nicht von Fahrgästen genutzt werden können. - Mehr Behinderten- und Seniorenfreundlichkeit
An den Türen sind keine Haltegriffe mehr vorhanden. Die Bahnsteige sind teilweise nicht für Niederflur ausgelegt, so dass der Nutzen entfällt. Der Stellraum für Kinderwagen wird aufgrund mangelnder Intelligenz entweder der kinderwagenfahrenden Eltern oder der anderen Fahrgäste selten genutzt. Rollstuhlfahrer profitieren - alle anderen konnten auch bei den alten Bahnen schon mitfahren, wenn jemand mit angefasst hat beim Reintragen des Kinderwagens / der Gehhilfe. Und die Rollstuhlfahrer profitieren auch nur zwischen Innenstadt und Erle, danach gibt es keine Niederflurbahnsteige mehr und alles ist wie früher. - Klimaanlage
Okay, zugegeben, das ist schon angenehm. Ist aber bisher irgendwie immer auf Antarktis gestellt gewesen, das bringt's dann auch nicht. Und dröhnt genauso wie die normale Lüftung.
Fazit: Die alten Straßenbahnen waren zwar unmodern, hatten keine Klimaanlage und Stufen an den Türen - aber insgesamt waren sie ausgereifter. An den Stufen gab es an drei Stellen (links, rechts, Mitte) Gelegenheiten zum Festhalten für Menschen mit Krückstock o.ä., unter den Sitzen war genug Platz für große Sport- und Reisetaschen. Man konnte sich überall gescheit festhalten. Die Sitze waren alt, aber bequem und breit genug. Wenn bei der alten Bahn überhaupt mal was kaputt war, war es ne Tür, und die konnten selbst Fahrgäste einfach zuziehen (oder der Fahrer hat die Tür abgeschlossen). Bei der neuen artet ein Defekt gleich in ein größeres elektronisches Problem aus - wie bei modernen Autos. Im Endeffekt stimmt zwar, was der Servicemensch vom Anfang des Artikels sagte: "Hauptsache es fährt was" - aber wenn für sowas dann 5x im Jahr die Preise von Abotickets um 2€ erhöht werden, fragt man sich doch, was das soll.