Dass wir irgendwann alt werden, dagegen können wir nichts tun. Wir können nur beeinflussen, was wir dann sehen, wenn wir uns umdrehen und zurück blicken. Aber ganz viele andere Menschen möchten auch gerne beeinflussen, womit wir die Zeit bis dahin verbringen. Sie glauben zu wissen, wie wir erfolgreich werden, was wir dafür tun müssen. Wie wir Karriere machen. Sie haben vielleicht selber nie Karriere machen können, aber wir müssen ja nicht auch so enden. Außerdem sind wir ja noch jung und junge Menschen können viel lernen und hart arbeiten. Bis sie kaputt sind. Oder bis sie vielleicht von einem Wagen voller Stahlteile erschlagen wurden, weil ein zugekokster Vorarbeiter die Bremse nicht angezogen hat.
Aber vielleicht möchten wir gar keine Karriere machen. Vielleicht haben wir gar keine Lust, der Vorarbeiter zu sein, dessen Job so stressig ist, dass er mit dem Koksen schon lange nicht mehr aufhören will. Vielleicht sind wir auch viel zu jung, um über so etwas wie Rente nachzudenken oder darüber, wieviele Angestellte uns mit 28 unterstellt sind. Ein paar aus meiner Generation wissen vielleicht genau, was sie wollen, ziehen das straight durch und werden damit glücklich. Vielen geht es nicht so. Viele schmeißen ihr erstes Studium, manche scheitern danach wie ich auch noch mit einer Ausbildung. Überhaupt, scheitern. Was ist das schon? Drei Monate Ausbildung und neun weitere Monate in der Veranstaltungsbranche haben mir eine Menge Erfahrungen gebracht. Der Typ ist damals nicht von den Stahlteilen erschlagen worden, er ist rechtzeitig zur Seite gesprungen und blieb unverletzt, aber ich habe etwas später gekündigt und weiter gesucht.
Hier in Chemnitz an der Uni denken die Studenten nicht, sie müssten Karriere machen oder in 6 Semestern mit dem Studium fertig sein. Einige wollen das, klar, aber die Hörsääle bei den Vorträgen zu Auslandssemestern sind auch rappelvoll. Was wird man damit, fragen mich die Leute, wenn ich sage, dass ich Sensorik und kognitive Psychologie studiere. Wissen wir alle nicht so genau, sage ich dann manchmal. Irgendwas cooles hochbezahltes oder arbeitslos.
Überhaupt ist es nicht so schlimm, mit extrem wenig Geld zu leben. Statt mit dem Auto kann man hier wunderbar Fahrrad fahren - da braucht man auch nur zwei Winterreifen und nicht vier. Und zu den Verwandten in den Westen geht es dann eben mit dem Fernbus. Da trifft man dann vielleicht noch wunderbare Leute, die an der gleichen Uni studieren und ursprünglich aus der gleichen Gegend kommen, aber bisher in den 10.000 anderen untergegangen sind.
Überhaupt sind Menschen doch viel mehr wert als Geld. Letzten Sommer habe ich beim YMCA-Festival in Prag am Backstage-Einlass gearbeitet. Statt dafür bezahlt zu werden, bekam ich Rabatt auf den Teilnahmepreis. Finanziell war es das bisher teuerste Festival, an dem ich teilnahm. Dafür bin ich aber auf dem Hinweg mit einem Nachtzug gefahren, der fast überfallen worden wäre, was ich mit meinem Sitznachbarn verhinderte. Und vor Ort lernte ich viele viele weitere Menschen aus der ganzen Welt kennen - so habe ich nun Kontakte nach Island, Dänemark, Ungarn, in die Niederlande und in die USA. Wofür brauche ich eine große Wohnung, Luxusgüter, einen vollen Kühlschrank? Ich bin sowieso kaum zuhause.
Wenn wir Karriere machen und viel Geld anhäufen, schützt uns das nicht davor, unseren Job irgendwann zu verlieren und doch arbeitslos zu werden. Dann brauchen wir das Geld auf, bis nichts mehr da ist und der Staat uns unterstützt. Dann jammern wir, dass der Staat uns erst gezwungen hat, alles aufzubrauchen, und danach jammern wir darüber, dass er uns ja viel zu wenig gibt.
Hätten wir unsere Zeit statt in profitable Geschäftskontakte lieber in gute Freunde investiert, wären die jetzt für uns da. Unser Konto wäre nicht so voll, aber der Kühlschrank trotzdem nicht leer, und vom Staat würden wir gefühlt auch nicht so wenig bekommen. Wir würden uns vielleicht umorientieren und einen anderen Job finden, für den wir uns nicht überqualifiziert fühlen würden, und weiterleben. Am Wochenende frei haben und im Sommer draußen grillen, bis die Wolken wieder lila sind.
Wenn ich das nächste Mal jemanden jammern höre, der seinen Mercedes nicht volltanken kann, zeige ich ihm meine letzten Kontoauszüge. Er wird weinen. Ich werde glücklich sein.