Chemnitz II


Ich geb's zu: Die ersten Wochen in Chemnitz habe ich die Augen bewusst offen gehalten, um DDR-Klischee-Bestätigungen und Unterschiede zum Westen zu finden. Spoiler: Man muss sich schon sehr Mühe geben, um was zu finden.

Der "Edeka Aktiv-Markt" um die Ecke ist ein getarnter Rewe. Der Besitzer räumt schon die Wursttheke leer, bittet mich aber herein, als ich zögere; ich komme mir trotzdem so vor, als wäre ich unerwünscht. Tatsächlich stimmen die Ladenöffnungszeiten nicht mit denen aus dem Internet überein. Für die Einkaufswagen braucht man keine Münze. Die Gestalten draußen lassen den Laden auch eher wie einen getarnten Drogenumschlagpunkt wirken. Der Verkäufer fragt immer wieder mal etwas nervös, ob ich alles finde, was ich brauche.

Bei Lidl ist die Kasse unbesetzt. Nach einem Moment kommt jemand und kassiert. Als ich das kurz anspreche, werde ich auf die zahlreichen Kameras hingewiesen.

Kameras vermuten manche alteingesessene Bewohner der Stadt auch in und an den mit Brettern vernagelten Gebäuden. Manche beschweren sich über gestiegene Mietpreise, beruhigen sich aber wieder, wenn sie sich daran erinnern, dass es früher dafür auch kein fließend Warmwasser gab. Meine Nachbarn beschweren sich auch über zu hohe Nebenkosten, lassen aber den Schlüssel in der Wohnungstür von außen stecken.