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Planungsabsichten
Logistisch gesehen war die Idee, zum Studieren nach Chemnitz zu ziehen, extrem schlecht. Von Deutschlands 76 Großstädten ist Chemnitz vermutlich mit am Schlechtesten an den Rest der Welt angebunden. Auf der nach Einwohnerzahl sortierten Liste ist Chemnitz auf Platz 28 die zweite Stadt ohne Fernbahnhof (nach Mönchengladbach). In die nächsten Städte mit besserer Zuganbindung Leipzig und Dresden fährt einmal bzw. zweimal die Stunde ein Dieselzug (abends nicht mehr so oft). Mitfahrgelegenheiten werden meist von und nach Leipzig angeboten, auf Fernbuskarten sieht Chemnitz ungefähr so aus:
(Bild ursprünglich von deinbus.de)
Wenn das ja wenigstens alles wäre. Zu allem Überfluss gibt es ja aber generell schon keine gescheite West-Ost-Verbindung in Deutschland (danke Nachkriegszeit). Die A4 hat in Hessen ein Loch. Fernzüge von Nordrhein-Westfalen aus fahren entweder über Hannover, Frankfurt oder Nürnberg, aber nie direkt nach Osten; bei den Regionalzügen sind die Umsteigezeiten so schlecht, dass sich ein Durchschlagen quer durch Deutschland nicht lohnt. Und fährt man nach Leipzig um von dort den Fernbus zu nehmen, fährt der entweder auch einen ähnlichen Umweg oder aber aufgrund der Geschwindigkeitslimits für Busse nicht so schnell, dass es sich zeitlich lohnen würde.
Beim Buchen werden die Anforderungen auch immer absurder. Musste man früher nur für Eintrittskarten zu begehrten Fußballspielen und Rockkonzerten früh aufstehen, muss man sich nun um Mitternacht um Bahntickets prügeln. Kürzlich versuchte ich für einen Sonntag von Siegburg/Bonn nach Chemnitz zu buchen - und beging den Fehler, erst um 00:07 die Website der Bahn aufzurufen. Die Sparpreisstufen 29, 39 und 49 Euro waren bereits ausgebucht. Grund: Die Teilstrecke Siegburg-Frankfurt ist extrem begehrt (und vermutlich wurde das Sparpreiskontingent auch mal wieder gekürzt).
Auch bei den Fernbussen kann man mittlerweile recht weit im Voraus buchen, so dass begehrte Termine früh ausgebucht sind. Zudem machen die Fernbusanbieter im Gegensatz zur Bahn keine klaren Aussagen, ab wann man sich denn um die Tickets prügeln darf. Ganz abgesehen davon, dass DeinBus die Verbindungen im Osten "aus operativen Gründen vorerst" wieder eingestampft hat und MeinFernBus von Bonn nur nach Berlin fährt. Leipzig erreicht man nur vom Ruhrgebiet und Chemnitz sowieso nur von Berlin und Dresden (bald immerhin auch aus Baden-Württemberg und Bayern). Über den ADAC Postbus reden wir besser gar nicht erst, deren Streckennetz ist nach wie vor dünn und trotzdem unfassbar undurchsichtig. Immerhin sind beim Bus, egal welcher Anbieter, auch die Normalpreise nie absurd hoch.
Man könnte meinen, das Fernbusangebot wächst sehr schnell, seit die gesetzlichen Vorgaben es zulassen. Man könnte auch sagen, es geht noch viel zu langsam. Auf jeden Fall braucht es aber mehr Anbieter wie DeinBus, die gezielt auch kleinere Orte anfahren, die von der Bahn vernachlässigt werden. Auch sollten die Taktungen weiter überarbeitet werden - an Tagen wie Ostern kann man sicher mehr Busse als üblich füllen und während die Bahn mit ihren langen Zügen es sich nicht leisten kann, auf wenig gefragten Strecken überhaupt zu fahren, können Busse sehr gut "dosiert" werden.
Die Bahn investiert jedenfalls nach wie vor. Zurzeit wird das Fernzugangebot in Leipzig ausgebaut, für Chemnitz gibt es immerhin Pläne, ab 2015 mit der Elektrifizierung zu beginnen. Vielleicht müssen wir also in zehn Jahren immerhin nicht mehr mit einem langsamen, lärmenden Dieselzug nach Leipzig gurken. Eine Erklärung, warum winzige Orte wie Augustfehn und zahlreiche andere weit im Norden von Deutschland Intercity-Anbindung genießen, während es in Chemnitz, einer Stadt mit 240.000 Einwohnern und 10.000 Studenten, nicht einmal Strom für die Züge gibt, steht noch aus.
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Alerta, Alerta
Der 5. März ist der Jahrestag der Zerstörung von Chemnitz im größten Bombenangriff auf die Stadt im zweiten Weltkrieg und heute auch der Chemnitzer Friedenstag. So wie die Neonazi-Szene in Chemnitz diesen Tag nutzt, um für ihre Politik zu demonstrieren, nutzen ihn auch zahlreiche Gegendemonstranten, um ein Zeichen zu setzen, dass braune Ideologien hier im 21. Jahrhundert nicht mehr erwünscht sind.
Auch die Uni hatte anlässlich des Friedenstages zur Demonstration aufgerufen und so versammelten wir uns am Nachmittag vor der Mensa. Mit Bildern aus Hamburg, Frankfurt und Istanbul vor Augen wirkte der Platz reichlich leer - mit den ersten Meldungen von 20, 30 gesichteten Nazis nicht mehr. Etwa zehn Mal so viele Studenten zogen dann mit lauter Musik und Seifenblasen die Hauptstraße hinunter bis zum Südbahnhof, wo wir auf die im Zentrum gestartete Demo trafen und in Richtung der angemeldeten Nazi-Route abknickten. Die Musik war gut, die Moderatorin extrem entspannt und so war der Fußmarsch zum Kundgebungsort sehr entspannt.
Mit mehr lauter Musik positionierte unser Wagen sich dann am seeehr frühen Abend am Kundgebungsort, wo sich nach einer Weile die Anzeichen verdichteten, dass nichts Großartiges mehr passieren würde. Wir standen hinter den Gittern, die die Nazi-Route sichern sollten, aber an anderer Stelle hatte sich bereits eine Sitzblockade gebildet, so dass mit dem Eintreffen der rechten Demonstranten nicht mehr zu rechnen war. Also schlossen wir uns bei nächster Gelegenheit dem Aufruf an, die Sitzblockade zu unterstützen.
Nun hat so eine Sitzblockade zunächst einmal sehr viel mit Sitzen zu tun und dann auch mit Warten. Vielleicht 200 Menschen, ein Großteil von der DGB1-Jugend, verstopften dort eine Kreuzung, bewacht von ausgesprochen friedlicher Polizei. (Radio Chemnitz spricht von 700 Personen, bezieht dabei aber die anderen Demonstranten entlang der Naziroute mit ein.) Die gab uns dann nach und nach zu verstehen, dass wir kein Recht auf die Blockade haben, sondern im Gegenteil die Nazis als angemeldete Demo ein Recht darauf haben, den Weg zu passieren. Passend dazu gab's natürlich entsprechende Kommentare von den Sprechern der DGB-Jugend - Verhalten im Fall einer Räumung und natürlich die Aufforderung, nicht einfach abzuhauen.
Als dann durchsickerte, dass es vielleicht doch 200 und nicht 20 Nazis sind und die Hundertschaft der Polizei in schwarzen Schutzanzügen und Helmen anrückte und auf und ab patroullierte, kam auch langsam die Frage auf, ob wir wohl tatsächlich von uniformierten Beamten von der Straße entfernt werden würden, und ob es wohl Eskalationen mit den Nazis geben würde. Da es in den letzten Jahren aber Schlägereien und Überfälle gegeben hatte, war schnell klar, dass letzteres auf jeden Fall vermieden und die NPD-Demonstration auch nicht über dunkle Seitengassen umgeleitet werden würde. Also saßen wir weiter auf Zeitungen, Decken und aufeinander, warteten und brüllten Parolen, bis die Anwohner aus dem Fenster guckten.
Und wie wir so warteten, rätselten, warum die Polizisten wohl Kreuze auf der Uniform tragen, und wilde Schätzungen über Anzahl der Polizisten und der Nazis und den Einsatz von Schlagstöcken und rechter Gewalt anstellten, passierte - nichts. Bis es irgendwann hieß, dass die Nazi-Demo umgekehrt sei - auch auf deren Seite bestand wohl kein Bedarf an Eskalationen, so dass die rechte Szene schlicht und ergreifend umgekehrt und nach Hause gefahren war. Unsere Sitzblockade war inzwischen vollständig eingekesselt, aber bevor die ersten Leute ernsthaft schlechte Laune bekamen, durften wir geordnet in Richtung Hauptstraße abreisen.
So unspektakulär wie die Aktion damit im Vergleich mit ausartenden Demonstrationen in anderen Städten verlaufen war, so erfolgreich kann sie bewertet werden. Ich fühle mich jedenfalls an eine Demo im Westen erinnert, bei der es regnete und die zwei Dutzend Nazis sich unter einer Bushaltestelle unterstellten, während hunderte Gegendemonstranten unterwegs waren. Und während es dort zu scharfer Kritik am Vorgehen der Polizei kam, kann man hier nur Respekt zeigen für die ruhige Sachlichkeit der Beamten. Deren bewusste Neutralität war zwar zuweilen seltsam oder nervig, aber als Hüter der Ordnung und Sicherheit haben sie heute einen guten Job geleistet.
Damit ist 2014 das zweite Jahr, in dem die Gegendemos den Aufmarsch der Neonazis in Chemnitz massiv behindert haben. Ein schönes Zeichen für eine Stadt im Umbruch, die nicht nur auf Häuserruinen, sondern auch auf braune Politik keine Lust mehr hat.
- Deutscher Gewerkschaftsbund ↩
Musik-Neuentdeckungen 2/2014
Wie jeden Monat stelle ich hier die Lieder vor, die ich neu entdeckt habe - weil ich sie zu schätzen gelernt habe, weil sie nach langer Zeit wieder aufgetaucht sind oder weil sie einfach neu sind. Radio, Konzerte, Festivals und Empfehlungen von Freunden und Bloggern bringen immer wieder frischen Wind in meine Sammlung und die hier ausgewählten Titel, oft auch andere Titel der Band, möchte ich als Empfehlung an euch weitergeben. Aufgrund der schwierigen Lage in Deutschland gibt es meistens keine Links, aber über Google, Spotify & Co findet sich alles.
- Zaz - Le long de la route
- Wenn man viele Musikmagazine liest und viel mit Leuten zu tun hat, die viel mit Musik zu tun haben, hört man oft Namen von Künstlern, die das nächste große Ding sein sollen, und kann sich gar nicht alle immer anhören. Aber manchmal hört man dann zufällig was und stellt fest, dass es stimmt. Zaz gefällt mir jedenfalls sehr mit ihrem französischen Folkpop.
- MONSTERS feat. Monde Yeux - Naked Girls
- Ein wunderbar fluffiger Song und sooo ein tolles Video. Unbedingt ansehen! Von deutschen Studenten ein Jahr lang liebevoll produziert.
- Archive - Hatchet
- Kompletter Wechsel der Musikrichtung und der Art des Videos. Schon fast verstörend geradlinig treibend wird man von Hatchet überrollt. Damit zeigen Archive neben Popmusik und Dubstep-artigen Songs mit schrägen Hooks noch mindestens eine weitere Facette.
- Crystal Castles - Baptism
- Dass Crystal Castles hier noch nie vorgestellt wurden... damals beim Projekt Hörsturz hatte mal jemand ihren Song "Alice Practice" vorgestellt, den ich damals so gar nicht abkonnte. Das ist nun über drei Jahre her und ich höre deutlich mehr elektronische Musik, eigentlich sogar überwiegend. Crystal Castles haben nicht gerade einen Stammplatz in meiner Playlist, weil sie nunmal nach wie vor sehr anstrengende Musik machen, aber um den Verstand mit schrillen Synthesizern und verzerrtem Gesang zu zerstören, eignen sie sich großartig. "Baptism" ist auf der "verstörend"-Skala so mittel.
- Misteur Valaire - Don't get lá
- Wir schrauben die Durchgedrehtheit gerade so weit zurück, dass man wieder zur Musik tanzen kann und ich erinnere mich an eines der genialsten Clubkonzerte, auf denen ich bisher war: Irgendwo in Köln in einem total winzigen Laden in irgendeinem Keller mit vielleicht 20 Leuten, die Bühne kaum größer als mein Bett, die Band zu spät, aber das Konzert unfassbar gut. Irgendwann war die Band so drauf, dass sie mit uns vor der Bühne und an der Bar gefeiert hat und jeder Song in zig Varianten total ausgeufert ist und ich bereue bis heute, dass ich nicht noch zu einem der anderen Konzerte gefahren bin, denn obwohl die Band aus Kanada kommt, hat sie alleine in Nordrhein-Westfalen mehr Konzerte gespielt wie die meisten Bands im ganzen Land. Don't get lá war damals noch nicht veröffentlicht, aber bereits ein Hit. Die ebenso großartigen C2C haben den Song remixt und quasi einen neuen Song erschaffen - direkt mit anhören!
- Mizuki - Block Party
- Von F. bekommt man manchmal schräge Musiktipps... in diesem Fall war ich zunächst total verwirrt, weil der dubstep-artige Akustik-Song (sofern man bei elektronischer Musik davon sprechen kann) so gar nichts mit meiner Vorstellung von Bloc Party zu tun hatte...
- Rone - Bye Bye Macadam
- Und noch eine echte Neuentdeckung. Playlists von Künstlern, die man mag, sind oft sehr dankbar, denn auch wenn man nicht nur Hits darauf entdeckt, kann man sie doch meist bedenkenlos durchlaufen lassen. So auch bei denen von Claire.
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