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CHVRCHES & Let's Eat Grandma @ Live Music Hall

Die zweite Station auf meiner "Konzerttour" führte mich von Berlin zunächst nach Aachen zu C. und einige Tage später dann nach Köln, um in der Live Music Hall CHVRCHES zu sehen. Seitdem ich sie kenne, haben die Schotten einen festen Platz in all meinen Playlists - mit ihren treibenden Rhythmen und strahlenden Synthesizern bedienen sie einfach perfekt meinen Musikgeschmack. Entsprechend konnte ich mir natürlich auch die Tour zum neuen Album "Love is Dead" nicht entgehen lassen und war entsprechend gespannt, denn diesmal sollten sie erstmals einen Live-Schlagzeuger dabei haben.

Zunächst einmal sollten allerdings Let's Eat Grandma (@thelegofgrandma) den Abend eröffnen. Dunkelheit, ein Spot auf das erstaunlich niedrige Drumset, eine Frau kommt auf die Bühne, richtet sich in aller Seelenruhe ihre In-Ears ein und spielt zunächst einen simplen Beat zu Playback. Dann mehr und mehr verschiedene Rhythmen - ein Schlagzeug-Solo als Intro. Kurze Verwirrung, doch schließlich kommen zwei weitere junge Frauen, möglicherweise noch Schülerinnen, auf die Bühne, und lassen die Synthesizer scheppern. Eine irritierende Komposition aus Drums, Synthesizern und regelrechtem Lärm - musikalisch interessant, aber definitiv kein typischer Opener.

Das weitere Konzert zeigt: Let's Eat Grandma, die normalerweise aus den beiden Synthesizer-Spielerinnen bestehen und live von einer Schlagzeugerin ergänzt werden, scheißen auf typisch. Alle ihre Songs sind beeindruckend vom Sound, aufreibend von der Stimmung und durchaus nicht unharmonisch - aber definitiv kein Pop. Dennoch muss sich jemand etwas dabei gedacht haben, das Trio vor CHVRCHES spielen zu lassen, denn der Synthi-Sound passt durchaus und auch in den Texten stecken verwandte Botschaften, nur eben, im Gegensatz zum oft sehr poppig klingenden Hauptact, absolut nicht überraschend.

Ebenfalls gemeinsam ist beiden Bands, dass sie das, was sie machen, sehr lieben. Die beiden großmütteressenden Damen haben einen riesigen Spaß an dem Krach, den ihre Synthesizer verursachen, werfen gelegentlich diabolisch grinsend ein paar Gitarren-Riffs ein, dann wieder verschwinden die Synthesizer im Hintergrund und eine der beiden präsentiert sich am Saxofon oder die andere an der Flöte. Sowieso wird ständig alles durcheinander gemischt - es erinnert mich ein bisschen an das französische DJ-Kollektiv C2C, die sich mit ihren DJ-Pulten über die Bühne bewegen und sich die Samples regelrecht gegenseitig zuwerfen.

Die verschiedenen Elemente ergeben eine regelrechte Show - mal laufen die Synthesizer im Automatikmodus, nur die Drums werden noch aktiv gespielt und die beiden Akteurinnen chillen sich auf die Bühne wie auf einer Couch, die Szenerie beobachtend, mal verschwinden sie aus dem Sichtfeld, indem sie sich einfach hinlegen, um in den Breaks ein bisschen Dramatik zu erzeugen, und dann wieder bildet ein aus der Grundschule bekanntes Klatschspiel das Intro zum nächsten Song. Eine absolut coole Performance - live allemal sehenswert, die Tauglichkeit zum Zuhause hören möchte noch untersucht werden.

Nach einem für eine Vorband überdurchschnittlich langen Auftritt folgt die obligatorische Umbaupause, und trotz der wenigen Instrumente auf der Bühne bleibt genug Zeit für ein Bier - und auch die Halle ist mittlerweile doch sehr voll, das Konzert ist ausverkauft. Dann erneut Dunkelheit, Synthesizer aus dem Off und kurz danach holen CHVRCHES direkt zu Anfang alle ab, neu dazugekommene und von der Vorband verstörte ebenso wie alle, die schon gut drauf sind - mit je einer gefeierten Single aus dem neuesten und dem vorherigen Album, "Get Out" und "Bury It".

Der neue Schlagzeuger ist dabei einfach da, hat aber hinter seinem Set einfach für sich seinen Spaß. Groß vorgestellt wird er nicht, obwohl das Thema Drums aufkommt: Lauren verleugnet mal wieder ihre vorhandenen Schlagzeug-Skills und amüsiert sich darüber, wie sie früher bei den Songs, die Martin singt, am Drumcomputer die Hi-Hat gespielt hat, was nun jemand dafür geeignetes übernehmen kann.

Überhaupt ist die Band im Vergleich zum MELT!-Festival, wo ich sie zuletzt sah, sehr redefreudig. So gibt es Geschichten über die Location, in der offenbar irritierend viele Penisse an die Wände gemalt wurden und sehr unrealistisch gezeichnete Brüste ("you can see it was not done by a woman") und die Bandmitglieder veralbern sich regelmäßig gegenseitig. An einem Punkt geht es auf eine Ballade zu und Lauren läuft über die Bühne, die Hände beschwichtigend zum Publikum bewegend, "saaaad, saaaad", gleichzeitig wohlwissend, dass die Leute in Tanzlaune sind: "Don't worry, we'll play a bunch more songs. They have sad content, but are dancable. Except this one. Well, you could, but it would be weird."

Bei dem großartigen Set sind wir allerdings sowieso froh, mal ein paar Minuten Ruhe zu bekommen. Besonders gefreut habe ich mich über "Science/Visions" und "We Sink", aber auch die neuen Songs fügen sich gut zwischen die alten. Sogar die beiden sonst überwiegend Synthesizer spielenden Herren in der Band kommen diesmal mehr aus sich heraus und wie immer kommen die zwei von Martin gesungenen Songs sehr gut an. Ähnlich wie letztes Jahr bei Claire gefällt mir auch das neue CHVRCHES-Album live deutlich besser als Zuhause, lebt es doch mehr als die vorherigen von den Texten und Botschaften, live kommen jedoch, trotz anfänglich leichter technischer Probleme, vor allem die Synthesizer viel besser.

Wie es sich gehört, bleibt "The Mother We Share" als die erste Single der Bandkarriere für die Zugabe, ergänzt um das ruhigere "Never Say Die". Erschöpft leiste ich danach noch meiner neuen Bekanntschaft aus der Umbaupause Gesellschaft an der Garderobe, bevor es zur Unterkunft geht. CHVRCHES haben wieder einmal mit großer Sympathie und fettem Sound überzeugt und einen sehr tanzbaren Abend abgeliefert - mit überraschender Unterstützung von Let's Eat Grandma, die definitiv auch noch eine Weile in Erinnerung bleiben werden und einen zweiten Besuch wert sind.



Metric - "Art of Doubt"-Tour Berlin 2018

In meinem Kopf hatte sich dieses Jahr ein Monat ganz besonders eingenistet - der Konzertnovember. Nachdem ich gefühlt zu lange nicht mehr auf Konzerten war, hatte sich der November ganz mühelos gefüllt. Tatsächlich begann die Reihe jedoch schon am 31. Oktober, und während mir klar war, dass dort in Sachsen Reformationstag gefeiert wird, hatte ich völlig vergessen, dass am 31.10. auch Halloween ist. Nun wird in Berlin, wo das Konzert stattfinden sollte, weder Reformationstag noch Allerheiligen gefeiert, Halloween aber sehr wohl. So besorgte ich in Berlin im Auftrag meines dortigen Gastgebers erst einmal eine halbe Rucksackladung Süßkram für eventuell aufkreuzende Kinder. Spoiler: Es kamen keine. Einziges Zeichen von Halloween waren blutige Gestalten in der Tram.

Für das Konzert von Metric war das natürlich alles völlig irrelevant. In einer überraschend kleinen Location, dem ehemaligen Kesselhaus der Kulturbrauerei, wurde der Abend von einer dreiköpfigen Vorband, deren Frontmann offenbar ein alter Freund von Emily, der Metric-Sängerin, ist, eröffnet. Da sich die Band jedoch nicht vorstellte und auch ansonsten bloß nette Beigabe war, werden sie hier keine weitere Beachtung finden.

Viel interessanter war das Metric-typisch wild gemischte Publikum. Zunächst einmal war der Altersdurchschnitt auffallend hoch - vergleichen mit meinen anderen Konzerten natürlich. Gehöre ich mich mit meinen 28 sonst oft schon zum älteren Drittel, war dies bei Metric definitiv nicht der Fall. Dann gab es da Menschen, die sich erstmal erklären ließen, was denn ein Moshpit sei, und ob es eigentlich noch dunkel werden würde in der Halle. Jemand anders spendierte mir ein Bier, im Gegenzug hörte ich mir seine abstrusen Geschichten an (angeblich werden millionenschwere Headliner bei deutschen Festivals in Bar bezahlt). Geschenkt - getanzt haben sie am Ende alle.

Wie könnte man auch nicht! Ich hatte das neue Album "Art of Doubt" als "gut" abgestempelt, aber nach mehrmaligem Hören gehört es eher in die Kategorie "großartig". Nicht, dass das Konzert nur aus neuen Songs bestanden hätte - ganz alte Kracher wie "Dead Disco", das schräge "Monster Hospital" oder die düstere Ballade "Artificial Nocturne" kamen ebenso vor wie die helleren Songs von Fantasies: "Youth Without Youth", "Gimme Sympathy" oder "Sick Muse", um nur einige zu nennen. Und darunter, an den passenden Stellen eingefügt, eben auch die neuen, bühnentauglichen Songs, wie das ausgesprochen tanzbare "Now or Never Now" oder mein Liebling "Dressed to Suppress", das mit seinen bösen Gitarrenriffs die Halle zum Vibrieren brachte.

Überhaupt machen Metric live nochmal mehr Spaß als zuhause. Der Bassist lebt "Badass" einfach - breitbeinig, Lederhose, wenig Bewegung, aber ein Gesichtsausdruck, der einfach nur "Yeah" sagt. Der Gitarrist holt mit Picking und Verzerrer ebenso böse Soundteppiche aus seiner Gitarre wie mit dicken Akkorden und der Schlagzeuger wird nicht müde, in die treibenden Grundrhythmen verspielte Fills zu basteln. Zu der fantastischen Soundkulisse dann Geschichten authentisch vorgetragen von Frontfrau Emily Haines - einfach ein fantastischer Abend.

Abgeschlossen wurde der Abend traditionell mit einem erstaunlich ruhig vorgetragenen "Help, I'm Alive", das der Band immer noch viel bedeutet und das Publikum wie schon beim letzten Mal in seinen Bann zog. Danach verließen wir die Halle einfach glücklich - mit einem Metric-Konzert hat man auch ohne auslaugende Pogos einfach einen schönen Abend.



Icon For Hire - Konzert mit Herztrigger

Eigentlich recht unüberlegt und spontan kaufte ich Anfang des Jahres eine Karte für Icon For Hire, die im Mai in Berlin spielen würden. Ich hatte sie vor ein paar Jahren mal gesehen, war da sehr begeistert und ohne, dass mir klar ist wieso, waren sie später wieder in den Hintergrund gerückt. Das aktuelle Album jedoch begeisterte mich auf Anhieb, der Sound war exakt das, was ich zurzeit höre, stark elektronisch beeinflusste Rockmusik. Außerdem waren die Tickets günstig.

Bis zum Konzert beschäftigte ich mich dann auch gar nicht weiter mit der Band, entsprechend hatte ich kaum Erwartungen. Ich kam minimal zu spät zur Vorband, Riot Child spielten gerade ihren ersten Song. Selten habe ich so eine gute Vorband erlebt! Die beiden Schwedinnen waren offensichtlich ehrlich begeistert, endlich mal vor ein paar hundert Leuten spielen zu können, und knallten uns einen wütenden, energetischen Song nach dem anderen um die Ohren. Eine wirklich gute Band, die wirklich gut zu Icon For Hire passte.

Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, wie sehr Icon For Hire selbst dann reinhauen würden! Das Konzert eröffnete mit Pulse, zack brannte die Hütte. Unfassbar treibender Beat, perfekte Steigerungen und Breakdowns um gleich am Anfang einzuheizen und diese Frontfrau! Ich habe schon einige gute Bands gesehen, aber diese Energie, mit der sie ihre Songs auf die Bühne bringt, ist unfassbar. Dazu kam, und das steigerte das gesamte Konzert nochmal deutlich, dass der Raum offenbar voller Fans war, alle von der ersten Sekunde total gepackt, textsicher, laut, emotional.

Die ersten vier Songs waren allesamt laut und wütend. Ich hatte mich mit den Texten nicht sonderlich beschäftigt und im Nachhinein bin ich vermutlich auch nicht unbedingt Teil der Hauptzielgruppe, aber mit den Emotionen dahinter kann ich mich allemal identifizieren. Die Menschen um mich herum ebenfalls. Rebellion! Wir kochten und waren gleichzeitig unheimlich aufgewühlt. Wir stellten die Frage, was aus uns werden soll, wenn alles, worauf wir unsere Identität aufgebaut hatten, zerbricht. Wir legten uns mit Leuten an, die mit unserem Lebensstil nicht einverstanden sind. Wir bekamen fürchterlich böse E-Gitarren- und Synthesizer-Riffs in die Ohren geknallt, headbangten so hart, dass unsere Haare zur Waffe wurden und schrien uns die Stimmbänder wund. Too Loud sei an dieser Stelle empfohlen. Gleichzeitig wütend und aufbauend. Großartig.

Mit dem fünften Song, Under The Knife, ging es tiefer in die emotionale Ebene. In diesem Block gab es auch eine kurze Lesung; Sängerin Ariel ist auch Autorin eines Buches, in dem sie ihre persönliche Geschichte mit Depressionen, Frustration und Niederlagen aufgeschrieben hat und wie von dort, trotz aller Rückschläge, nicht nur zur erfolgreichen Künstlerin, sondern zur geistig gesunden erfolgreichen Künstlerin wurde. Ein wichtiger Unterschied, und ein sehr ergreifender Moment.

Icon For Hire-Konzerte sind wirklich geprägt von einer fantastischen Dramaturgie. Wichtiger Punkt: Die Leute niemals am Boden lassen. Also erneut Aufbruchstimmung mit Iodine und anschließend Hope of Morning. Viel Hoffnung, aber auch viel Leid, und wenn du einmal am Boden warst, ist der Weg zurück nicht einfach. In diesem aufgewühlten Zustand erinnerten Band und Zuschauer sich gemeinsam: Depressionen haben auch einen der erfolgreichsten Musiker der Welt das Leben gekostet, Chester Bennington, Sänger von Linkin Park. Nie war ich schneller bereit und konsequenter dabei, meine Handy-Taschenlampe leuchten zu lassen und lautstark Numb mitzusingen, bis mir die Tränen kamen und die Stimmbänder rebellierten. So ein großartiger Song mit einem so finsteren Hintergrund... nicht ohne Grund fast eine Milliarde Mal abgespielt allein auf Youtube.

Ich bin wirklich nicht leicht zu Tränen gerührt, aber in dem Moment war es aus mit mir. Gut, dass wir erneut nicht allein gelassen wurden - es folgte You Can't Kill Us, die ultimative Kampfansage und ein fantastisches Mantra für ein Konzert. Wäre jemand jetzt erst dazu gekommen, wir hätten vermutlich wie ein seltsamer Kult gewirkt. Ich habe noch nie erlebt, dass ein ganzer Saal ausnahmslos so mitgerissen war, so fokussiert, so frei von jeglicher Ablenkung. Gelegenheit, die Faust zu ballen? Alle ballen die Faust. Gelegenheit, Lichter zu schwenken? Alle schwenken Lichter, keiner filmt.

Den Rest des Konzertes rissen wir mit der neu gewonnenen Energie den Saal ab: Ein weiteres Cover, Jump Around, dann Make A Move und in den Zugaben Get Well und Demons. Trotz aller Emotionalität war mein Gehirn unfassbar frei, war ich entspannt, trotzdem energiegeladen, und unheimlich glücklich. Ich hatte gerade nicht nur das vielleicht bisher beste Konzert meines Lebens erlebt, sondern auch Hoffnung und Energie geschöpft für gefühlt alles.


Glasklare Sache, dass ich mir das direkt nochmal geben musste. Vier Tage später spielten Icon For Hire in Prag, was quasi genauso weit weg ist wie Berlin. Ich vereinbarte über Facebook auf Englisch mit einer Prager Schülerin, dass ich ihr am Tag des Konzertes ihre Karte abkaufen würde, da sie nicht gehen konnte. Ich buchte ein Hostel und Zugverbindungen und traf sie am frühen Nachmittag auf einem großen Platz in der Innenstadt. Nach etwas Stadterkundung ging es abends in den Keller einer Bar zum Konzert.

Nun kannte ich die Dramaturgie natürlich und tatsächlich war das Konzert nahezu exakt identisch mit dem in Berlin, jedoch schien auch das zu passen: Die Zuschauer in Prag waren wesentlich mehr körperlich aktiv. Auch sie waren extrem fit mit den Texten (ich inzwischen auch) und sangen sich die Kehle aus dem Leib, jedoch war hier von Anfang an auch viel mehr Bewegung in der Menge. Hatte mir das Mitwippen und Headbangen in Berlin ermöglicht, mich sehr auf die Musik einzulassen, war in Prag Moshpit angesagt. Bei jedem lauten Song. Sofort. Die ganze Zeit. Es war außerdem irrsinnig laut, der Sound auch gar nicht mal so gut, so dass es ebenfalls ein sehr intensives Konzert wurde, jedoch ganz anders. Ich hätte noch nie so gerne eine kalte Bierdusche bekommen wie in dieser Nacht. Am Ende des Konzertes in Prag war ich ähnlich glücklich, jedoch auch körperlich völlig fertig. Fantastisch!

Ein weiterer Grund, warum ich nach Prag fahren wollte, war, dass ich in Berlin versäumt hatte, Merchandise zu erwerben. Die Band verkauft ihr aktuelles Album nur selbst, außerdem haben sie geile T-Shirts. Ich hatte noch relativ viel tschechisches Bargeld übrig, außerdem ließ der Merch-Verkäufer, der mich am Akzent erkannte und fortan Deutsch mit mir sprach, mit sich handeln, so erwarb ich für 1000 Kronen (ca. 45€) die CD, ein T-Shirt und auch das Buch. Yeah! Glücklich und zufrieden ging es zurück zum Hostel. Die abartig frühe Rückfahrt schon wenige Stunden später war es auf jeden Fall wert. Und wenn ihr mit der Musik auch nur halbwegs etwas anfangen könnt - gebt euch eines dieser Konzerte. Ihr werdet es nicht bereuen, und vielleicht werdet ihr auch Teil einer neuen Community dadurch.


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Alice Merton: Radiokonzert in Erfurt

Sitzte im Büro, klingelt das Handy, ist der MDR dran, sagt du hast Karten für Alice Merton gewonnen. Wie cool! Buchste nen Bus und nen Zug nach Erfurt, schleifst ne Freundin von dort mit ins Kalif Storch, ziehst dir das mal rein.

Und was für eine gute Entscheidung das war! Alice Merton ist mit nur einer veröffentlichten Vier-Track-EP schon auf USA-Tour und für einige Zwischenstopps gerade wieder in Deutschland. "Wir haben für die fünf Tage jetzt sogar einen Tourbus, das ist richtig cool, also, nach fünf Tagen ist es vielleicht nicht mehr so cool, weil es dann etwas stinken wird", erzählt sie in perfektem Deutsch. Dabei hatte sie vorher noch angekündigt, dass sie normalerweise englisch redet und nur wegen der Radiozuhörer zu deutsch überredet wurde, eigentlich hätte sie immer Angst einen Fehler zu machen - sagt's und wechselt von einer Sekunde zur nächsten die Sprache als wäre es nichts. Später verfällt sie immer wieder ins Englische, "das ist so komisch auf der Bühne deutsch zu reden", sagt sie. Nur eines von vielen Zeichen, wie sympathisch Alice Merton rüberkommt.

Und sie redet eine ganze Menge - erzählt Geschichten zu ihren Songs, von ihrem Manager, der immer zu ihr gehalten hat, als sie immer und immer wieder bei Labels vorsprach und abgelehnt wurde, davon, wie sehr sie das jedes Mal getroffen hat, und wie sie das in ihrem Song "Holes" verarbeitet hat. Ich schreibe Songs aus Gründen, sagt sie, und dass es wie Therapie sei: "Das klingt immer wie so ein Klischee, aber so ist es wirklich". Und wir glauben es ihr sofort. "Holes" ist super tanzbar, aber man merkt ihr so sehr an, wie sie wieder an die darin verarbeiteten Situationen denkt, dass man sich kurz fragt, ob es okay ist, dazu zu tanzen. Bei manchen Songs wirkt sie nach den letzten Tönen richtig fertig, als hätte sie gerade etwas sehr emotionales durchlebt.

Gleichzeitig kann man bei ihrem Konzert aber auch eine Menge Spaß haben. Trotz der Emotionen wirkt sie nie negativ oder frustriert, sondern nur ehrlich, und natürlich gibt es auch schönere Geschichten, witzige und fiese. Wie von diesem Freund, der sie zwei Jahre lang ignorierte und dann, als der Erfolg kam, plötzlich wieder da war. "Ich bin nicht nachtragend... aber doch ein bisschen", singt sie. Und dass sie vor allem Angst hat, und aber auch weiß, dass sie sich damit das Leben kaputt macht, und dass man das nicht machen soll. Vermutlich habe ich mich lange nicht mehr oder noch nie so sehr mit den Inhalten einer Künstlerin auseinander gesetzt - dabei kam ich doch eigentlich auch vor allem dadurch auf sie, weil ihre Hitsingle "No Roots" so extrem eingängig und tanzbar ist.

Und wie gut der Rest erst tanzbar ist! "No Roots" streut sie recht beiläufig gegen Ende des Konzertes ein (und tatsächlich eskaliert das durchgehend unfassbar langweilige Publikum nichtmal da so richtig), aber das ist ok, denn wenn sie nicht gerade alleine am Klavier sitzt und intensive Balladen vorträgt, geht ihr Sound unfassbar gut in die Beine. Mit ihr sind drei weitere Musiker auf der Bühne, die alle in ihrem Alter sind und so wirken, als wären sie definitiv nicht als Profimusiker von irgendeinem Management gebucht worden. Alice Merton ist kein neues gepushtes Popsternchen am Himmel der großen Labels. Im Gegenteil - sie veröffentlichte bereits ihre erste EP auf ihrem eigenen Label, ein bedeutendes Detail, das sie bei der Geschichte zu ihrer Karriere bescheiden ausgelassen hat. Und wie sie wissen auch ihre Mitmusiker, was sie tun, stellen sich dabei stets in den Hintergrund, aber gelegentlich blitzt doch der Spaß an ihren Instrumenten durch, wenn krachende Gitarrenriffs eine Soundgrundlage schaffen, fette Synthesizer-Bässe erklingen oder die Bassdrum den Zuschauern in den Arsch tritt.

Was leider wirklich nur sehr schlecht funktioniert hat. Veranstalter des Konzertes war MDR Sputnik, Karten wurden nur unter Radiozuhörern (und Online-Followern) vergeben, der Anteil an vermutlich spontanen, wenig begeisterten Zuhörern war groß. Ein schwieriges Publikum, dem sich die Sängerin auf zweierlei Arten stellt: Zum einen zelebriert sie ihre Musik einfach trotzdem, bringt die Leute zwar nur schwer zum Tanzen, wohl aber zum Zuhören mit ihren Geschichten, ihrer unfassbar sympathischen Ausstrahlung und indem sie auf jeden der vereinzelten Zuschauerrufe direkt eingeht. Zum anderen wird mal dezent, mal weniger dezent zum Mitmachen aufgefordert, und etwa im letzten Drittel des Konzertes funktioniert das auch: "Bei dem nächsten Song lassen wir immer das Publikum springen, im Chorus", sagt sie, und als sie "Jump!" ins Mikrofon schreit, tun die Leute das tatsächlich - wir staunten nicht schlecht.

Vielleicht ist es ein bisschen höfliches Mitmachen, so wie auch immer wieder mitgeklatscht wird, vielleicht trauen sich die noch-nicht-Fans auch einfach nicht so recht. Auf jeden Fall hören wir nach dem Konzert viele Stimmen von positiv überraschten Zuschauern. Dass die Band selbst abbaut und selbst ihren eigenen Merch verkauft - Bonuspunkte. Wir möchten die sympathischen vier einfach knuddeln und vor allem: Bald wieder auf ein Konzert!


Wer nun reinschauen möchte: Zusammenschnitt MDR Sputnik



Konzertschnipsel

Uni-Sommerfest an der Ruhr-Uni Bochum. Der Rektor hört auch mal Dark Wave. Danja Atari macht vor allem Spaß - ohne jede Clubatmosphäre und auf einer sehr leeren Bühne, aber ganz sommerlich leicht, mit wirklich gutem Sound und ausufernden Remixes.

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Das Konzert von Samuel Harfst ist vorbei, aber er redet einfach noch immer weiter, während des Konzertes hat er einiges erwähnt, für das die Zuschauer nun Erläuterungen einfordern. Er ist kein Prediger, zieht aber mehr Leute in den Bann als der Pfarrer am Sonntag. Dabei hatte er während des Konzertes noch ständig die Hand in der Hosentasche und wirkte bei den Moderationen recht unsicher. Und er weiß, dass TEN SING einer der ersten Chöre war, die ein Lied von ihm sangen.

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TEN SING Versmold macht "Irgendwas mit Piraten". Paul hat sich einfach mal Geige spielen selbst beigebracht, weil eine Geige, die sei Urgroßvater mal als Bezahlung für ein Fahrrad bekommen hat, wieder aufgetaucht ist. Die Ureinwohnerin aus dem Theaterstück hat in jeder Szene mehr Kinder dabei. Es wird aus Felsbook gelesen und mit dem Spaten mit der Zuckerberg-Frisur gegraben.

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Blood Red Shoes haben diesmal viele erwachsene Zuschauer, aber auch junge Punks und Paramore- und Wir sind Helden-Fans. Einige sind Nachbarn, Blood Red Shoes wohnen ganz in der Nähe und auch das Studio ist um die Ecke, andere sind sogar aus dem Ausland, Polen und Frankreich sind vertreten. Die Show ging nur 70 Minuten, aber man ist erschöpft als wären es drei Stunden gewesen. Viele harte Songs führten zu Moshpits, die größer waren als manche Konzerthalle.



Doppel-Doppelkonzert mit Claire & Venom Is Bliss

Nachdem das Claire-Konzert in Berlin letztes Jahr einfach nur großartig war, bedarf es keiner längeren Überlegung, um Karten für das Konzert in Leipzig zu kaufen. Die "The Great Escape-Tour Teil II" führt die junge Münchner Band in zahlreiche weitere Städte und sympathische kleine Clubs. Die Moritzbastei in Leipzig zum Beispiel liegt mitten auf - oder genauer gesagt unter - dem Campusgelände. Außer Konzerten gibt es dort auch Poetry Slam, Studentenpartys, Public Viewing und einiges mehr - zu Preisen, die Studenten guten Gewissens bezahlen können. Auch alkoholfreie Getränke unter 2€ sind gerne gesehen. Und auch wenn das Gemäuer nicht für jede Musikart die beste Akustik bietet, ist die alte Bastei einfach schick anzusehen, zumal die notwendige Technik mit Bedacht eingearbeitet wurde, um das Ambiente nicht zu zerstören.

Die Veranstaltungstonne, in der die Show statt fand, ist bis kurz vor Beginn fast leer, füllt sich dann aber zügig, als Venom Is Bliss auftreten und die Zuschauer von der Bar herüber kommen. Die sechs Kölner spielen erst seit sechs Monaten live und sind mit Claire nun erstmals auf Tour. Wenn sie ihren Stil als Electropop bezeichnen, vernachlässigt das in der landläufigen Vorstellung einige Elemente - der druckvolle Bass zum Beispiel ist deutlich imposanter als es die Generation "iih, Pop!" erwarten würde. Teilweise lassen sich die Songs eher in der klassischen Elektro-Szene verorten - was Venom Is Bliss auch mit Claire verbindet, die sich ebenfalls bei Tekkno und House bedienen.

Das zeigt sich bereits im neuen Intro, das gefühlt die Wände wackeln lässt und für großes Gejohle sorgt, als zu den Synthi-Teppichen die Bassdrum reinhaut und das Publikum passend dazu mit weißem Effektlicht geblendet wird. Überhaupt wird die Band diesmal gerne kontrastreich inszeniert - komplett schwarz gekleidet mit wohldosiertem Stroboskoplicht und weißen Lichtstrahlen erzeugt die großartige Technik einen düsteren Gegenpol zur doch eigentlich sehr positiven, aber eben auch sehr druckvollen und rhythmusbetonten Musik. Vergleiche mit Bands wie I Blame Coco oder gar Depeche Mode sind nicht an den Haaren herbei gezogen, verfehlen aber das Gesamtbild des Neon Pop.

Claire geizen auf der Bühne weder mit Songs noch mit Spaß. Bereits bei Pioneers kommt Bewegung in das in Leipzig extrem junge Publikum, das bei Venom Is Bliss noch eher schüchtern war. Einige Songs später sind Band und Zuschauer gleichberechtigte Teilnehmer des Konzertes - einen Bühnengraben gibt es eh schon nicht und vermutlich hätte man auf die Bühne auch verzichten können, so nah sind wir auch gefühlt an der Band dran. Die fünf sind selbst restlos begeistert und so feiern wir die Next Ones To Come alle zusammen.

Vom Album The Great Escape bekannte Songs werden mit anderen Effekten, neuen Synthi-Teppichen und heftigerem Sound neu erschaffen. Vor dem "offiziellen Ende" des Konzertes wird mit einer ausschweifenden Version von Resurrection noch einmal bis zum Bersten Spannung aufgebaut, die dann im vom Stimmverzerrer geprägten und live besonders beatbetonten Overdrive in den Zugaben gipfeln darf. Dazwischen eingestreut gibt es bereits die ersten neuen Songs - und erfreulicherweise entwickelt sich die Band sowohl in Richtung tanzbarem Pop als auch in Richtung melodischem Tekkno.

Wer dann nach dem Konzert noch nicht genug hat, bekommt die Chance, beide Bands persönlich zu treffen, da sowohl Venom Is Bliss als auch Claire ihre Merchandise-Stände selber betreuen (und nach der fetten Party noch erstaunlich fit sind). Ich ergattere eine der limitierten handmade-EPs von Venom Is Bliss, aber es kommt noch viel besser: Das nächste Konzert findet am nächsten Tag in Gießen statt, zwar 400km entfernt, aber ganz in der Nähe von I., die ich sowieso schon viel zu lange nicht gesehen habe. Mehr aus Jux frage ich nach einem Gästelistenplatz für den Zuschauer mit der längsten Anreise - und Kazimir holt ohne zu zögern sein Handy raus und schreibt mich mit auf die Liste! Vielen vielen Dank nochmal dafür an dieser Stelle! hahahah

Als Flo und Josie von Claire mich dann beim Rausgehen auch noch wieder erkennen, weil ich schon in Berlin in der ersten Reihe dabei war, ist klar: So verrückt das auch ist, ich muss in den nächsten Stunden irgendwie nach Hessen. Die Nacht bestand dann also aus Fernbus-Websites wälzen, Mitfahrgelegenheiten durchwühlen und Kontostand kritisch betrachten, I. anschreiben und The Great Escape in Dauerschleife hören. Morgens um 3 ist alles klar, schnell drei Stunden schlafen, ein paar Sachen in den Rucksack werfen und auf zum Bahnhof. Mit dem Zug wieder nach Leipzig, mit dem Bus weiter nach Frankfurt und von da per Mitfahrgelegenheit nach Wetzlar, von wo mich I. später zum MUK fährt (vielen lieben Dank auch dafür!).

Das Konzert im MUK ist nicht ausverkauft, trotzdem geht hier schon zu Beginn gut was ab. Der Sound ist wesentlich geiler als am Dienstag - wo kommt bloß der irrsinnige Bass her?! - und vermutlich trägt das auch dazu bei, dass Venom Is Bliss heute anständig gefeiert werden. Langsam aufbauende Songs wie Patience oder dem Titel widersprechende wie Silence heizen uns ein und auch die Band ist mit Hingabe dabei. Wirklich eine gute Wahl als Vorband und ich hoffe, die Jungs demnächst auch mal woanders live zu sehen. hahahah

Bei Aktionen wie dieser werde ich manchmal angesprochen, ob es nicht langweilig sei, das selbe Konzert immer wieder zu sehen. Das mag manchmal stimmen, selbst - oder gerade - von großen, bekannten Bands wird mir gelegentlich berichtet, dass auch Jahre später der Ablauf und der Sound noch exakt der selbe seien. Aber in der Regel ist doch jede Show eine einmalige Erfahrung - das Set ist vielleicht ein bisschen verändert, die Location ist eine andere, das Publikum kann ganz anders drauf sein. In Gießen ist der Sound ganz anders und auch die Zuschauer gehen viel mehr nach vorne.

Außerdem ist es auch schön, zu wissen, was kommt - so kann man sich vorher schon drauf freuen, denn man geht ja nicht mehrfach zu einer Tour, wenn einem die Konzerte nicht wirklich viel Spaß machen. Das großartige Intro, gefolgt von einem meiner Lieblingssongs, Pioneers, könnte ich mir zum Beispiel jeden Tag geben. Und auch die neuen Songs machen Spaß - mit jedem Refrain kann man wieder eine Zeile mehr mitsingen. Last.fm zählt 348 Wiedergaben von Claire-Songs, aber die Zahl ist locker untertrieben. Soll heißen: Wäre es nicht mit so hohem finanziellen und Zeitaufwand verbunden, wäre ich gerne noch länger "mitgetourt". hahahah

Und auch abgesehen von der großartigen Musik haben Claire und auch Venom Is Bliss ganz erheblich Sympathiepunkte gesammelt. Nicht nur wegen dem Gästelistenplatz und dem geschenkten T-Shirt hahahah , sondern auch, weil es ganz klar für die Band spricht, wenn sie Fans erkennt und sich nach dem Konzert noch so viel Zeit für das Publikum nimmt. Es mag teilweise daran liegen, dass das MUK keine 50.000 Zuschauer fasst (vermutlich nichtmal 500) oder daran, dass die Bandmitglieder ungefähr so alt sind wie ihre Fans, aber ich behaupte, es liegt auch einfach daran, dass es großartige Menschen sind, die nicht in ihrer eigenen Welt verschwinden, wenn sie von der Bühne gehen - oder anders ausgedrückt: die ihre Fans an ihrer Welt teilhaben lassen. Und genau dadurch wurden diese beiden Abende zu einem noch viel besseren Erlebnis als zwei einzelne Konzerte es sein könnten. Danke dafür!

Die Fotos wurden mir freundlicherweise von der großartigen Fotografin Franziska Lange zur Verfügung gestellt, die für das Leipziger Stadtmagazin Urbanite fotografiert. Dort gibt es auch eine Galerie mit noch mehr Fotos.



Konzertreise West-Ost

Nach meinem Umzug im Oktober war ich im November das erste Mal wieder im Westen, natürlich auf Konzertreise. Samstags ging es rüber und dann direkt zu TEN SING Kürten. Sonntag die Familie besuchen, Montag dann zu C. in Aachen und A. in Köln und abends zu The Naked And Famous ebenda. Dienstag früh wieder los, von Köln nach Berlin, um dort D. zu besuchen und Claire endlich mal bei einer richtigen Clubshow zu erleben.

TEN SING Kürten waren diesmal besonders großartig. Als die Gruppe, die mich motiviert hat, mit TEN SING selber anzufangen, bin ich seit Anfang an jedes Jahr dort und es ist schön zu sehen, dass auch viele meiner alten Bekanntschaften dort noch aktiv sind. Beginnend mit einer längeren Erklärung könnt ihr euch durch mehrere Artikel lesen, um mehr darüber zu erfahren. Ein wunderbares Warm-Up für mehrere Tage Konzerte und Freunde treffen.

The Naked And Famous - Live Music Hall Köln

Bei The Naked And Famous war ich sehr skeptisch und ungewiss, wie das Konzert wohl werden würde. Das zweite Album ist mindestens so großartig wie das erste, aber das Konzert war damals etwas enttäuschend. Da es schwierig ist, zu der Mischung aus Synth-Pop und Indietronic einen passenden Tanzstil zu finden, ließ die Stimmung in Dortmund zu wünschen übrig, wobei das Konzert trotzdem sehr gut war.

In Köln spielten TNAF in der Live Music Hall, die mehr als doppelt so groß ist wie das FZW in Dortmund und zu Konzertbeginn dann auch gut gefüllt war. Mit "A Stillness" als Opener wurden wir direkt in die passende Stimmung versetzt - bombastische Synthesizer, glasklare Akustikgitarren, der veränderte Sound klar erkennbar, fesselnde, sich in der Lautstärke ständig steigernde Klangteppiche. Genauso beeindruckend ging es auch weiter, auch gesanglich hat die Band sich deutlich verbessert, und auch wenn nicht viel mehr Bewegung in der Zuschauermenge war als damals in Dortmund, merkte man doch deutlich, dass sowohl Band als auch Publikum mehr Spaß hatten. Und so lassen sich The Naked And Famous-Konzerte vielleicht einfach als eine großartige Gelegenheit betrachten, zu fantastischer Musik vollkommen aus dem Alltag zu verschwinden.

Claire - bi nuu Berlin

Eine stressige und vor allem laaange Reise später war ich in Berlin. Kaum meinen Krempel bei D. abgeladen, ging es schon wieder los zum bi nuu, einem Club in einer S-Bahn-Station. Endlich einmal ein echter Erste-Reihe-Platz! Dadurch war leider die PA hinter mir, - wer platziert die Boxen für das Publikum nicht vor, sondern im Publikum?! - aber durch die Nähe zur Band und den Sound von der Bühne wurde das wieder wett gemacht.

Als Vorband bekamen wir MNRS (sprich "Manors") präsentiert, ein vor einigen Monaten erst gegründetes britisches Duo. Ziemlich ausgefallene, aber auch beeindruckende Musik war das. Sehr laut, teilweise sehr elektronisch und mit vielen Trommeln - den lautesten Sound haben MNRS wohl erzeugt, als sie in einem ausufernden Stück zwei große Floortoms gleichzeitig spielten. Übrigens ein gemeinsames Element mit Claire - auch die arbeiten zusätzlich zum Schlagzeug viel mit Drumpads, Percussion und synthetischen Drumsounds.

Während Claire dann ihre Instrumente aufbauten, versuchte ein Typ hinter mir, mich oder einen der Russen neben mir zu bestechen, um einen Platz in der ersten Reihe zu bekommen. Keine Chance - mit 20€ war da nix zu holen. ;) Wir hoffen, er hatte trotzdem seinen Spaß! Die Halle war inzwischen jedenfalls ziemlich voll - was Josie dann später auch entsprechend kommentierte... da das erste Konzert in Berlin ja sehr schnell ausverkauft war, war der Termin im bi nuu quasi nur ein Nachholtermin: "Wir dachten da kommt eh keine Sau, und jetzt seid ihr SO VIELE!". hahahah

Konzerte, bei denen die Band so viel Spaß hat wie Claire in Berlin, sind ja sowieso die besseren Konzerte. Der Coolibri schreibt, die Frontfrau darf auch mal draufhauen - ich sage, die Frontfrau rastet sowieso am meisten aus und singt jeden Song mit so viel Hingabe, wie man es sich nur wünschen kann. Außer den 13 Songs des Albums "The Great Escape" gab's auch noch vier weitere, die wohl von der inzwischen vergriffenen EP stammen. In der Atmosphäre des kleinen Clubs fiel es nicht schwer, sich mit der Band zusammen auf jeden einzelnen davon einzulassen - sei er nachdenklich wie "In Two Minds" oder laut und heftig wie "Resurrection".

Claire sind definitiv meine Entdeckung des Jahres 2013 und wenn man sie sich in Interviews anschaut, wirken sie gleich noch viel sympathischer. Es ist schön zu sehen, dass die Band einfach selbst total begeistert ist von ihrem schnellen Erfolg und dabei so gar nicht in Richtung nerviger Star-Allüren abdriftet. Heute startet der zweite Teil der Deutschlandtour zu ihrem Album "The Great Escape" und man darf hoffen, dass es genauso großartig weitergeht. hahahah



TEN SING: Die Show

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe, mit der ich meinen Lesern TEN SING näher bringen möchte. Dabei handelt es sich nämlich weder um Kampfsport noch um Tee, sondern um ein Jugendprojekt des CVJM, von dem ich, seit ich es kennen gelernt habe, wirklich begeistert bin. Und weil die Begeisterung, mit der die meisten Teilnehmer von TEN SING dabei sind, nicht für jeden nachzuvollziehen ist, werde ich in mehreren Artikeln auf verschiedene Aspekte eingehen. In den ersten beiden Artikeln ging es um das allgemeine Konzept von TEN SING und um gruppenübergreifende Aktionen. Heute geht es um die Shows, die jedes TEN SING-Jahr abschließen.

Ein Auftritt pro Jahr - klingt ganz schön wenig. Auch deshalb ist es wichtig zu verstehen, was hinter TEN SING steckt und warum so ein wilder Haufen so begeistert davon ist, einmal im Jahr auftreten zu können, während jede noch so unbekannte Schülerband zumindest alle ein bis zwei Monate mal einen Auftritt hat.

Nun besteht so eine Schülerband aber auch nur aus drei bis sechs Leuten und vor allem sind Bands ja in der Regel darauf angelegt, Songs zu schreiben und damit aufzutreten. TEN SING ist da ja komplett anders ausgerichtet - es geht um den Spaß am Erarbeiten der Show, um Kreativität, das Gruppengefühl und die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen.1 Außerdem treffen sich die paar Mitglieder einer normalen Band immer wenn sie Zeit haben; bei TEN SING sind die Treffen aufgrund der Gruppengröße auf einen wöchentlichen Rhythmus beschränkt, der obendrein in den Schulferien meist aussetzt. Als kleinen Ausgleich dazu gibt es über das Jahr verteilt mehrere Probenwochenenden (und bei manchen Gruppen noch andere Wochenendaktionen), die überwiegend dem intensiven Proben, aber auch der Verbesserung des Gruppenklimas dienen.

Das Konzept der Jahresshow ist übrigens keinesfalls starr; es gibt durchaus Gruppen, die mit ihrer Show an mehreren Tagen hintereinander auftreten. Wenn die Location beispielsweise nicht alle Zuschauer fassen würde, ist es nicht unüblich, eine Show überwiegend für Eltern und eine überwiegend für TEN SING-Gruppen und Freunde zu veranstalten. Manche Gruppen schaffen es auch, zwei Shows im Jahr auf die Beine zu stellen, und es kommt nicht selten vor, dass über das Jahr verteilt kleinere Auftritte gebucht werden, zum Beispiel auf Stadtfesten oder als Werbeaktion in den Gemeinden.

Bei solchen Aktionen wird natürlich auch immer für die große Show geworben. Dadurch und durch gezielte Werbeaktionen (Flyer, Plakate in der Umgebung des Proben- und Showortes) und Werbung bei anderen TEN SING-Gruppen bringt es so eine TEN SING-Show schonmal auf bis zu 800 Besucher - oder bis zu 1200, verteilt auf zwei Abende. Da sind dann im Prinzip alle dabei, die während des TEN SING-Jahres etwas von der Gruppe mitbekommen haben: begeisterte Freunde, Eltern, andere TEN SINGer, aufmerksam gewordene Bewohner der Stadt und Mitglieder der beteiligten CVJM-Häuser und Gemeinden. Allen gemeinsam ist, dass sie vom hinter TEN SING steckenden Konzept begeistert sind, möglichst viele Talente zu fördern und Spaß zu haben, auch wenn dafür Qualität und Professionalität zurückstecken müssen.

Und das ist in der Tat das Beeindruckende an diesen Shows - auch, was geboten wird, aber vor allem was dahinter steckt. In der Regel gingen einer Show weniger als 40 zwei- bis dreistündige Proben voraus, in denen manch einer ein Instrument erlernt, zum ersten Mal einen Chor dirigiert oder ein Gesangssolo gelernt hat. Außerdem wurden in Eigenregie ohne professionelle Hilfe ein Theaterstück und eine oder mehrere Tanzchoreografien entwickelt. Die Eltern sind davon immer völlig begeistert. Manch Außenstehender wird sich schwer tun mit Begeisterung, wenn mal was nicht klappt, das Niveau des Theaterstücks niedrig ist oder die Chorsätze nur zwei- bis dreistimmig sind, weil die Gruppe nicht so groß ist. Und die anwesenden TEN SINGer letztlich bilden sich ihre Meinung abhängig von ihrer eigenen Leistung und anderen Shows, die sie schon gesehen haben, vor allem natürlich Shows der gleichen Gruppe in den Vorjahren. Am wichtigsten aber ist, dass die Gruppe selbst in dem Jahr etwas gelernt hat und an sich selbst Spaß hat. Und das ist auch der Grund, warum meine Showberichte nie negativ, sondern höchstens etwas kürzer ausfallen - sie sind bewusst nicht objektiv geschrieben, weil ich selber TEN SINGer bin und das Konzept dahinter kenne und weiß, dass es gar nicht das Hauptziel ist, möglichst viel Qualität auf die Beine zu stellen. Aus dem gleichen Grund ist es auch wichtig, dass anwesende Reporter das Konzept verstehen. Wenn TEN SING nur als billige Abendunterhaltung angesehen wird (der Eintritt liegt oft unter fünf Euro), ist die Darstellung automatisch unvollständig.

Da die Elemente der Show sich oft auf die oben genannten beschränken und nur teilweise um einen eigenen Männertanz oder einen Minichor2 ergänzt werden, hängt die Stimmung der Show auch wesentlich von den gewählten Liedern ab, die vom Chor mit der Band präsentiert werden. Beschränkungen in der Auswahl gibt es nur bei wenigen Gruppen, so dass das Programm meistens bunt gemischt ist. So gibt es immer Stimmungslieder, die bei gut besuchten Konzerten durchaus auch zu Moshpits und Crowdsurfen führen, bekannte Popsongs, die jeder mitsingen kann, und durchaus auch weniger bekannte Stücke, für die sich die Gruppe aber begeistert hat.

Dafür begeistern ist überhaupt ein Phänomen, das sich in jeder Gruppe in jedem TEN SING-Jahr beobachten lässt. Während normale Bands sich direkt in ihren eigenen Songs verwirklichen, fangen TEN SINGer an, die Lieder, die sie covern, zu leben und in ihren persönlichen Favoriten aufzugehen. Durch die wilde Mischung und die meist demokratischen Abstimmungen ist immer für jeden was dabei und nicht selten hört man nach einer Show ein Lied im Radio und denkt sofort an die Show zurück, auf der man das Solo dazu gesungen oder den Chorsatz dazu geschrieben hat. Und wenn diese Begeisterung erreicht wurde, war es ein gutes TEN SING-Jahr.

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  1. Dahinter steckt das Modell der fünf Cs: Creativity, Competence, Culture, Care und Christ. Mehr dazu auf tensingland.de.
  2. Vier- oder mehrstimmiger Chor mit maximal drei Personen pro Stimme - mit höherem Qualitätsanspruch als der normale Gruppenchor