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TEN SING Sachsenseminar: I want to be a hippie

Mit Fotos von Anna "Uschi" Kammbach

Geronimo sagt, an dieses Seminar werden wir uns noch lange erinnern, und wenn wir irgendwann nicht mehr jeden Tag von der Freude und dem Glück der vergangenen Tage zehren können, werden uns Lieder daran zurück denken lassen, Erinnerungen wieder hervor holen und auch in einigen Jahren noch Bilder vor unserem inneren Auge erscheinen lassen. TEN SING in der eigenen Gruppe ist ein Lichtblick in jeder Woche - TEN SING in der großen Gemeinschaft verändert Leben.

Zu so großen Worten verleiten mich sechs Tage TEN SING-Seminar in Meerane/Sachsen. In fünf davon haben wir mit über 90 Leuten eine knapp zweistündige Show erarbeitet - das allein ist enorm beeindruckend, und wer die Vorbereitungen genauer betrachtet, wird merken, dass noch viel mehr dahinter steckt.

Sonntag Nachmittag, ich bin zu spät, platze in meinen Workshop, also die Bassisten-Gruppe der Band. Fünf Menschen erwarten mich, einer von ihnen stellt sich als Florien vor und erklärt gerade, welche Töne wo auf dem Griffbrett liegen und wie man seine Hand am Besten hält, wenn man die Saiten anspielt. Die anderen vier hatten teilweise noch nie einen Bass in der Hand - und doch werden Erik, Johanna, Merthe und Sarah am Mittwoch mit mir die Aula rocken und Paranoid, Move Your Feet oder Superheroes begleiten.

Montag, Chorprobe. Sind die Chorleiter so leicht zufrieden zu stellen oder sind wir so gut? Auf jeden Fall habe ich lange keinen so lauten Männerchor mehr gehört. Was bedeutet eigentlich der Text, den wir da singen? This is my deliverance, hands held high as you deliver it, you have made me a child of God. Richtig, das Christus-C im 5C-Modell von TEN SING. Bread without the leaven, ungesäuertes Brot. Christen können offensichtlich auch kräftig feiern, der Song geht gut ab!

Schnell ein Stück Kuchen schnappen und weiter zu den Modul-Workshops. Musiktheorie bei Maddin. Was ist ein Quintenzirkel und wofür ist der gut, und welche Akkorde harmonieren gut, wenn man sie in einem Lied verwendet? Das A ist die zweite Saite an Bass und Gitarre und A7sus2 ist ein A-Dur-Akkord mit hinzugefügter Septime und statt der ersten Terz einer Sekunde - der markante Abschluss-Akkord vom Intro von Behind Blue Eyes.

Workshops, Modulworkshops, LeistungsKompetenzWorkshops (LKW). Die erfahrensten und talentiertesten Teilnehmer aus den Workshops übernehmen direkt selbst die Leitung eines Mini-Workshops mit einigen anderen Teilnehmern und stellen in zwei Teams Shows in der Show auf die Beine. Alina singt "You Can't Hurry Love", aber am Schlagzeug sitzt nicht Phil Collins, das Drumkit ist elektronisch und ungewohnt, der Takt geht immer wieder verloren, für einen zweiten Song wird noch fix ein Ablaufplan geschrieben, ein paar Theaterleute haben Starallüren. Eine wuselige Stunde später haben sich alle zusammengerauft, jetzt läuft der Song, ein "Break" ist nur ein kurzer Break mit Schlagzeugbeat, aber bei "Stop" ist Ende für alle.

Das Essen ist immer der erholsamste Teil des Tages. Da der Raum zu klein ist, wird in zwei Schichten gegessen und die jeweils andere Schicht kann zum Entspannen genutzt werden. Dazu hat aber eigentlich kaum jemand Lust, im Bandraum läuft eine Jamsession, die Duschen sind immer noch kalt (oder schon wieder) und Texte für Solos muss man ja auch irgendwann auswendig lernen.

Erst Montagabend kehrt etwas Ruhe ein, es gibt einen Workshopgottesdienst (oder sagen wir Mitmachgottesdienst, damit nicht alles "Workshop" heißt). Die Aula wird gemütlich hergerichtet, ein Anspiel wird vorbereitet, in der Küche wird um die Wette Obst geschnippelt. Seelsorge wird angeboten, es gibt eine Andacht. Tränen fließen, Teilnehmer, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, verkünden tiefe Ergriffenheit.

Mittwoch, letzte Proben vor der Show. Steven verhaspelt sich jetzt nicht mehr bei "Crazy", die Bandteilnehmer können ihre Songs auswendig und headbangen um die Wette. Die LKW-Probe ist zu langsam, das Theater kann nicht mehr proben, aber auch der zweite Song ist jetzt nur noch knapp vorbei an perfekt. Während wir noch Feedback sammeln, probt schon das zweite Team, das vorgestern noch zu wenig Schlagzeuger hatte und später mit "Born To Be Wild" die Halle zum Kochen bringen wird.

Das Abendessen ist diesmal unfassbar vielfältig, auch bereits eingetroffene Besucher werden im festlich dekorierten Glasgang mitversorgt. Am Schlimmsten ist das Warten, weil dann nichts mehr bleibt um die Nervosität zu überdecken. Wie war noch gleich das Ende des zweiten Refrains, irgendwas mit As-Dur? Dann Intro, rauf auf die Bühne. Die Scheinwerfer verbrennen einem gefühlt die Haare. Bombs away, SAY Geronimo! Der Techniker rauft sich wahrscheinlich immer noch die Haare, wie er bloß die Chordynamik abmischen soll, aber das Publikum tobt.

Merthe, die bisher nur Geige gespielt hat, spielt jetzt Black Sabbaths "Paranoid" mit Steven, der normalerweise Akustikgitarren in der Hand hat, es läuft so geil, dass Christian am Ende den Stagedive wagt. Die LKW-Teams übertreffen sich selbst - alle Aufregung wird zu Energie, Konzentration und Spaß statt Nervosität, Romy singt "Tage wie diese" trotz Lampenfieber fehlerfrei und ich sehe nur noch springende Menschen. Die Schauspieler haben alle ihre Requisiten beisammen und wir werden Zeugen von kochenden Känguruhs und gehirnfressenden Zombies im Gewissen eines Couchpotatoes, wechseln die Perspektiven auf unser Leben mit Hippie vs Hipster und fühlen mit einem äußerst genervten Busfahrer, bis er endlich den Mut aufbringt seinen Job zu schmeißen. Unnötig zu erwähnen, dass nach "Deliverance" Zugaben gefordert werden - offenbar haben wir doch oft genug unsere Stimmen geübt.

Eine fette Aftershowparty, eine kurze Nacht, vier aufgeräumte Schlafräume und eine Workshopeinheit später liegen wir uns dann schon zum Abschied in den Armen. Sachsen ist ein Stück kleiner geworden, viele Gruppen sind näher zusammengerückt und die heute verschickten Freundschaftsanfragen auf Facebook stehen nicht für leere Onlinekontakte, sondern für wunderbare Menschen, die nun durch eine gemeinsame Zeit verbunden sind. Eine manchmal stressige und oft anstrengende Zeit, aber auch eine lehrreiche und vor allem eine Zeit mit viel Gemeinschaft und Spaß, neuen Freunden, überschrittenen Grenzen und entdeckten Talenten. Wir freuen uns auf das Sachsenseminar 2016!



In Lavahöhlen und auf Gletschern - zwei Wochen Island

Es ist Sonntag, in sieben Stunden fährt mein Bustransfer zum Flughafen Keflavik1 und ich sitze im Zimmer meines Gastgebers, mitten in Reykjavik. Die letzten zwei Wochen2 habe ich in einer WG mit dem Isländer Karl und der Spanierin Anna gewohnt, zunächst im Garten im Zelt, jetzt drinnen, da mein Gastgeber selbst auf Reisen gegangen ist. 14:51 Uhr isländischer Zeit, draußen ist es hell und bewölkt - aber diese beiden Aussagen stehen in keinerlei Zusammenhang, denn im Sommer wird es hier auch nachts nicht dunkel und das Wetter kann sich in fünf Minuten schon wieder drastisch ändern. Das ist das erste falsche Klischee - in Island ist es nicht ständig kalt, es ist sogar teilweise recht warm (bis 25°C) und selbst im Winter wird es in manchen Regionen nichtmal so kalt wie in Deutschland. Dafür ist das Wetter aber wesentlich launischer und kann durchaus stundenlang alle paar Minuten komplett umschwingen.

Ein weiteres falsches Klischee ist, dass Island stets so malerisch aussieht wie hier bei der Süddeutschen. Polarlichter sieht man im Sommer gar nicht aufgrund der eben genannten Dauerhelligkeit :( und auch ansonsten sind natürlich auch isländische Landschaften abhängig von Wetter und Licht und es gibt durchaus auch Gebiete, die einfach langweilig sind.

Aber Island ist groß und in Deutschland würde auch niemand zwei Wochen Urlaub in Herne3 verbringen. Einige wenige Gegenden sind hier bereits touristisch stark erschlossen - erkennbar an den vielen Bussen und Menschen, die Deutsch oder schlechtes Englisch reden -, aber vielerorts sind Natur und Landschaft noch vollkommen unberührt. Im Nationalpark Þingvellir (für englische Aussprache: Thing-wet-lit) heißt das: Verlässt man die Hauptwege, muss man sehr aufpassen, die Natur nicht zu zerstören, und man muss auch auf der Hut sein vor Spalten in den überwachsenen Lavafeldern und steilen Klippen. Auf Schilder wie "Warning, this dangerous looking place is dangerous" wird hier generell verzichtet.

Wer sich dessen bewusst ist, wird mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Kristallklare Gewässer, farbenfrohe Vegetation an den verrücktesten Stellen und beeindruckende Gebirgslandschaften sind nur einige davon.

Gullfoss waterfall on IcelandDer "Golden Circle", die wohl bekannteste Touristenroute, führt nach dem Nationalpark in den Ort Geysir, an dem sich eine größere Ansammlung von - Überraschung - Geysiren befindet. Diese dürfen keineswegs mit den zum Baden geeigneten heißen Quellen verwechselt werden, denn es handelt sich hier um aus der Erde austretendes kochendes schwefelhaltiges Wasser. Entsprechend dumm haben die Touristen geguckt, die sich zu nah an einen der größten Geysire gewagt haben, um dessen Ausbruch fotografisch festzuhalten. :D Das heiße Wasser aus heißen Quellen und Geysiren wird übrigens direkt in das Wassernetz eingespeist - dadurch sparen sich Isländer Energiekosten zum Erwärmen von Wasser z.B. zum Duschen, müssen aber mit dem Schwefelgeruch und der ungeklärten Frage nach der gesundheitlichen Verträglichkeit leben. Die Location ist auch beliebt für Filmdrehs - ein deutsches Team drehte gerade eine Szene für "Ein Sommer in Island"4, als ich dort war.

Þingvellir national park IcelandDie letzte Station auf der mit gehetzten Bustouren üblicherweise weniger als einen Tag dauernden Route führt nach Gullfoss, zum von der Wassermasse her größten Wasserfall Islands, der auch generell einer der größten der Welt ist (erstes Bild). Wasserfälle finden sich in Island aber auch an vielen anderen Orten. Die wenigsten sind so groß und mächtig wie Gullfoss, aber die Vielfalt hat mich trotzdem sehr beeindruckt. (zweites Bild: ein Wasserfall bei Seljalandsfoss, drittes Bild: kleiner Wasserfall in Þingvellir)

Seljalandsfoss, IcelandAls Warm-Up ist diese Route sicher geeignet, die beeindruckendsten Erlebnisse hatte ich aber mit Kalli, meinem Gastgeber, der bei einem freiwilligen Rettungsdienst arbeitet und daher über reichlich Ortskenntnis und Erfahrung mit unwirtlichen Gegenden verfügt. Dazu gehört das Erkunden einer der zahlreichen Höhlen in den Lavafeldern - wenn man mittendrin steht, ist es viel leichter vorstellbar, wie noch vor einigen hundert Jahren glühende Lava in reißenden, extrem heißen Strömen durch Island floss. Die Vielfalt der Farben und Formen geschmolzenen und zerstörten Gesteins flößt selbst erfahrenen Isländern immer wieder Respekt vor den Naturgewalten ein, erst Recht, wenn man bedenkt, dass auch heute noch etliche Vulkane aktiv sind - und "Ausbrüche" wie das kleine Husten des auf Island eher unbedeutenden Eyjafjallajöküll 2010 kaum vergleichbar sind mit richtigen Vulkanausbrüchen.

Von tief unten ging es später auch noch hoch hinaus. Mit Crampons, an Schuhe anschnallbare eisbrechende Klingen, und Eispickeln ging es auf den Sólheimajöküll, einen der kleineren Gletscher. Auch hier gibt es wieder zahlreiche Möglichkeiten für Fehleinschätzungen: Es ist dort oben keineswegs unfassbar kalt, Handschuhe waren unnötig. Trotzdem läuft man natürlich auf Eis, das genauso rutschig ist wie jedes andere Eis - daher sollte man keineswegs glauben, auf Turnschuhen dort herumlaufen zu können, denn dann endet man möglicherweise wie so mancher Tourist erfroren oder durch Quetschungen erstickt in einer Gletscherspalte. Das Aufeinanderprallen des warmen Wetters und des gefrorenen Eises wurde uns dann auch schnell deutlich, als wir die nahezu reißenden Bäche sahen, in denen Schmelzwasser den Gletscher herunterfloss - mir kann jedenfalls keiner mehr erzählen, den Klimawandel gäbe es nicht, auch wenn er für die Erde als Ganzes auf lange Sicht sicher irrelevant ist. Ebenfalls beeindruckend: Gletscher wandern, auch unabhängig vom Schmelzen, bis zu 200 Meter im Jahr; also alleine in den Stunden, die wir dort oben waren, schon mehrere Zentimeter.

Sólheimajöküll - Wasserfall.jpg

Island ist mit seiner einzigartigen Landschaft und der Lage auf zwei tektonischen Platten also durchaus ein geeigneter Ort, um beeindruckende Naturphänomene zu erleben. Daher werde ich sicher irgendwann erneut dorthin reisen, um weitere Teile des Landes zu erkunden. Man sollte sich nur nicht von extrem bearbeiteten Fotos blenden lassen oder nur mit Tourismus-Firmen reisen - denn dann wird man enttäuscht oder verpasst die besten Orte.

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  1. einziger internationaler Flughafen Islands
  2. Dieser Artikel entstand im Juni
  3. eine mäßig aufregende Stadt im Ruhrgebiet mit ähnlich vielen Einwohnern wie Islands Hauptstadt Reykjavik
  4. Mäßig spannender Film einer mäßig kitschigen Filmreihe


TEN SING RheinRuhr 2013

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe, mit der ich meinen Lesern TEN SING näher bringen möchte. Dabei handelt es sich nämlich weder um Kampfsport noch um Tee, sondern um ein Jugendprojekt des CVJM, von dem ich, seit ich es kennen gelernt habe, wirklich begeistert bin. Und weil die Begeisterung, mit der die meisten Teilnehmer von TEN SING dabei sind, nicht für jeden nachzuvollziehen ist, werde ich in mehreren Artikeln auf verschiedene Aspekte eingehen. In vier Artikeln habe ich nun das Konzept, den Inhalt und die Auswirkungen und Möglichkeiten erläutert - abschließend soll es nun darum gehen, wie die Mitarbeit bei TEN SING auf regionaler Ebene aussehen kann.

Mit Fotos von Marco, Jessi, Adrian und TENSINGLAND. Die größte Präsenz außerhalb des CVJMs erreicht TEN SING auf dem evangelischen Kirchentag, der alle zwei Jahre in einer anderen Metropole stattfindet. Dort gibt es neben Straßenkonzerten auch einen eigenen Treffpunkt, wo im Idealfall den ganzen Kirchentag lang Konzerte von TEN SING-Gruppen stattfinden. Aber nicht in jeder Gruppe finden sich genug Leute, um mit einer showfähigen Besetzung teilzunehmen. Aus dieser Situation ist, angelehnt an ähnliche Projekte in anderen Regionen, in diesem Jahr das Projekt TEN SING RheinRuhr entstanden.

Der Gedanke dahinter war, möglichst vielen TEN SINGern, die sonst nicht die Möglichkeit dazu hätten, die Chance zu geben, zum Kirchentag zu fahren und dort aufzutreten. Nach Gesprächen mit ein paar Leuten stieß die Idee bereits auf Begeisterung und auch die Leitung der Region Ruhrgebiet wurde darauf aufmerksam. Erfreulicherweise ergab es sich dann sehr schnell, dass die Regionen Ruhrgebiet/Bergisch Land und Niederrhein sich als Träger für die Aktion anboten, denn der Name TEN SING ist geschützt und darf daher nicht ohne anerkannten Träger verwendet werden.

Nachdem das Konzept grob erarbeitet war - ein Probenwochenende, die klassischen drei Workshops Band, Tanz, Theater, einige Fristen, Gedanken zur Organisation über die teilnehmenden Gruppen - ging es in die konkrete Vorbereitung. Wir machten Werbung, suchten ein Haus für das Prowo und überlegten, welche Mitarbeiter die Leitung der Workshops übernehmen konnten. Manche TEN SINGer würden bei regionalen Aktionen wie den Seminaren gerne mitarbeiten und fragen sich wie man da rein kommt. Die Antwort ist ganz einfach: Unter TEN SINGern gibt es viele, denen man eine Leitungsfunktion zutrauen könnte. Sie müssen nur entdeckt werden.

Während das alles zumindest mäßig voran kam, fehlten noch die Anmeldungen - aber wir vertrauten darauf, dass TEN SINGer immer trödeln und formellen Kram auf letzten Drücker erledigen. Am Wochenende des Anmeldeschlusses war ich gerade in Hamburg beim Vorbereitungstreffen des Kirchentages. Als ich am Abend wieder online ging, hatte sich die Anmeldeliste gefüllt und man konnte fast zusehen, wie es mehr wurden. Am Ende mussten wir gerade eben so niemandem absagen, 58 Teilnehmer und 11 Mitarbeiter aus 9 Gruppen waren zusammen gekommen. Das Ziel, viele TEN SINGer zu erreichen, hatten wir damit definitiv erreicht.

Bis zum Probenwochenende ging es nun vor allem um die Vorbereitung der Workshops, Anmeldeformalitäten beim Kirchentag und finanzielle Regelungen. Außerdem ließen wir die Teilnehmer Lieder wählen. Da wir im 21. Jahrhundert leben, konnten wir sehr viel über das Internet regeln, was die großen Distanzen zwischen den Gruppen fast irrelevant erscheinen ließ. Einige Nächte wurden geopfert, um aus dem Urlaub noch fix die Liederwahl auszuwerten, den Technikplan für unseren Hauptauftritt zu erstellen oder immer wieder Mails mit der zuständigen Kirchentagsmitarbeitern auszutauschen. Können wir drei Schlagzeuger gleichzeitig spielen lassen? Zwei Keyboarder? Wie transportieren wir den ganzen Kram, und wo lassen wir die Instrumente dann? Wie funktioniert so ein Open Air-Auftritt? Können wir noch fix jemanden ummelden? Und was hat es eigentlich mit diesem Abend auf der Reeperbahn auf sich?

Am 19. April war es dann soweit, das Probenwochenende startete in einem Gemeindehaus in Gahlen. Die dortige TEN SING-Gruppe ist die größte Deutschlands und verfügt daher über geeignete Räumlichkeiten. Außerdem stellten sie knapp die Hälfte der Teilnehmer. Damit hatten wir schon vor dem Kirchentag etwas bewirkt - Gahlen hatte sich bei Regio-Aktionen lange Zeit enthalten und entdeckte nun wieder, was TEN SING eigentlich ausmacht.

Ganz typisch lief dann das meiste nicht so, wie wir es erwartet hatten; manches funktionierte gar nicht, anderes sogar wesentlich besser. So mussten wir die Bandbelegung mehrfach ändern, weil nicht alle ausreichend vorbereitet waren. Dafür schaffte der Chor es tatsächlich, alle sieben Lieder zu lernen. Und auch, wenn wir manchmal Feedback bekamen, das Wochenende sei sehr anstrengend, war es immer damit verbunden, dass die Teilnehmer auch von der Produktivität begeistert waren. Sogar manche "alten Hasen" sprachen davon, noch nie so produktiv gewesen zu sein. Das zeigte sich auch, als wir eine der geplanten Spielaktionen zugunsten von mehr Proben absagten: Es gab nicht nur keinen Widerstand, sondern sogar Zustimmung!

In 48 Stunden eine komplette Show quasi aus dem Boden zu stampfen kann man nicht komplett durchplanen. Wir haben vorbereitet, soviel wir konnten. Wir haben Fehler gemacht und Kritik einstecken müssen, aber auch viel Lob bekommen. Was nicht geplant war, ergab sich vor Ort, und am Ende waren 69 Menschen völlig begeistert vom Ergebnis und voller Vorfreude auf den Kirchentag. hahahah

Auf dem Kirchentag war dann vor allem der Donnerstag (2. Tag) sehr voll. Vormittags eine öffentliche Chorprobe auf einem großen Platz, nachmittags unser großer Auftritt im Treffpunkt, der ausgesprochen gut ankam. Anfang und Ende bildete "Some Nights", was wohl unumstritten unser Highlight war. Ein für TEN SING sehr anspruchsvoller Chorsatz als bombastischer Einstieg und bei der Zugabe der Abgang in mehreren Stufen - nachdem der Chor von der Bühne war, löste sich die Band nach und nach auf, bis am Ende nur noch der Schlagzeuger mit der Marching Snare blieb, der dann weiter spielend von der Bühne ging.

Als Krönung traten wir dann abends nochmal auf der Reeperbahn auf, wo sich alle am Kirchentag teilnehmenden Gruppen mit ihren besten Stücken präsentieren sollten. Als Imke, die Koordinatorin des Reeperbahn-Events, hinterher auf uns zukam und fragte, ob wir nicht als Zugabe nochmal auftreten wollten, war klar: TEN SING RheinRuhr war ein voller Erfolg, und wir konnten die in den Monaten der Vorbereitung und am Probenwochenende entstandene Begeisterung weiter tragen. hahahah



TEN SING: Die Show

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe, mit der ich meinen Lesern TEN SING näher bringen möchte. Dabei handelt es sich nämlich weder um Kampfsport noch um Tee, sondern um ein Jugendprojekt des CVJM, von dem ich, seit ich es kennen gelernt habe, wirklich begeistert bin. Und weil die Begeisterung, mit der die meisten Teilnehmer von TEN SING dabei sind, nicht für jeden nachzuvollziehen ist, werde ich in mehreren Artikeln auf verschiedene Aspekte eingehen. In den ersten beiden Artikeln ging es um das allgemeine Konzept von TEN SING und um gruppenübergreifende Aktionen. Heute geht es um die Shows, die jedes TEN SING-Jahr abschließen.

Ein Auftritt pro Jahr - klingt ganz schön wenig. Auch deshalb ist es wichtig zu verstehen, was hinter TEN SING steckt und warum so ein wilder Haufen so begeistert davon ist, einmal im Jahr auftreten zu können, während jede noch so unbekannte Schülerband zumindest alle ein bis zwei Monate mal einen Auftritt hat.

Nun besteht so eine Schülerband aber auch nur aus drei bis sechs Leuten und vor allem sind Bands ja in der Regel darauf angelegt, Songs zu schreiben und damit aufzutreten. TEN SING ist da ja komplett anders ausgerichtet - es geht um den Spaß am Erarbeiten der Show, um Kreativität, das Gruppengefühl und die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen.1 Außerdem treffen sich die paar Mitglieder einer normalen Band immer wenn sie Zeit haben; bei TEN SING sind die Treffen aufgrund der Gruppengröße auf einen wöchentlichen Rhythmus beschränkt, der obendrein in den Schulferien meist aussetzt. Als kleinen Ausgleich dazu gibt es über das Jahr verteilt mehrere Probenwochenenden (und bei manchen Gruppen noch andere Wochenendaktionen), die überwiegend dem intensiven Proben, aber auch der Verbesserung des Gruppenklimas dienen.

Das Konzept der Jahresshow ist übrigens keinesfalls starr; es gibt durchaus Gruppen, die mit ihrer Show an mehreren Tagen hintereinander auftreten. Wenn die Location beispielsweise nicht alle Zuschauer fassen würde, ist es nicht unüblich, eine Show überwiegend für Eltern und eine überwiegend für TEN SING-Gruppen und Freunde zu veranstalten. Manche Gruppen schaffen es auch, zwei Shows im Jahr auf die Beine zu stellen, und es kommt nicht selten vor, dass über das Jahr verteilt kleinere Auftritte gebucht werden, zum Beispiel auf Stadtfesten oder als Werbeaktion in den Gemeinden.

Bei solchen Aktionen wird natürlich auch immer für die große Show geworben. Dadurch und durch gezielte Werbeaktionen (Flyer, Plakate in der Umgebung des Proben- und Showortes) und Werbung bei anderen TEN SING-Gruppen bringt es so eine TEN SING-Show schonmal auf bis zu 800 Besucher - oder bis zu 1200, verteilt auf zwei Abende. Da sind dann im Prinzip alle dabei, die während des TEN SING-Jahres etwas von der Gruppe mitbekommen haben: begeisterte Freunde, Eltern, andere TEN SINGer, aufmerksam gewordene Bewohner der Stadt und Mitglieder der beteiligten CVJM-Häuser und Gemeinden. Allen gemeinsam ist, dass sie vom hinter TEN SING steckenden Konzept begeistert sind, möglichst viele Talente zu fördern und Spaß zu haben, auch wenn dafür Qualität und Professionalität zurückstecken müssen.

Und das ist in der Tat das Beeindruckende an diesen Shows - auch, was geboten wird, aber vor allem was dahinter steckt. In der Regel gingen einer Show weniger als 40 zwei- bis dreistündige Proben voraus, in denen manch einer ein Instrument erlernt, zum ersten Mal einen Chor dirigiert oder ein Gesangssolo gelernt hat. Außerdem wurden in Eigenregie ohne professionelle Hilfe ein Theaterstück und eine oder mehrere Tanzchoreografien entwickelt. Die Eltern sind davon immer völlig begeistert. Manch Außenstehender wird sich schwer tun mit Begeisterung, wenn mal was nicht klappt, das Niveau des Theaterstücks niedrig ist oder die Chorsätze nur zwei- bis dreistimmig sind, weil die Gruppe nicht so groß ist. Und die anwesenden TEN SINGer letztlich bilden sich ihre Meinung abhängig von ihrer eigenen Leistung und anderen Shows, die sie schon gesehen haben, vor allem natürlich Shows der gleichen Gruppe in den Vorjahren. Am wichtigsten aber ist, dass die Gruppe selbst in dem Jahr etwas gelernt hat und an sich selbst Spaß hat. Und das ist auch der Grund, warum meine Showberichte nie negativ, sondern höchstens etwas kürzer ausfallen - sie sind bewusst nicht objektiv geschrieben, weil ich selber TEN SINGer bin und das Konzept dahinter kenne und weiß, dass es gar nicht das Hauptziel ist, möglichst viel Qualität auf die Beine zu stellen. Aus dem gleichen Grund ist es auch wichtig, dass anwesende Reporter das Konzept verstehen. Wenn TEN SING nur als billige Abendunterhaltung angesehen wird (der Eintritt liegt oft unter fünf Euro), ist die Darstellung automatisch unvollständig.

Da die Elemente der Show sich oft auf die oben genannten beschränken und nur teilweise um einen eigenen Männertanz oder einen Minichor2 ergänzt werden, hängt die Stimmung der Show auch wesentlich von den gewählten Liedern ab, die vom Chor mit der Band präsentiert werden. Beschränkungen in der Auswahl gibt es nur bei wenigen Gruppen, so dass das Programm meistens bunt gemischt ist. So gibt es immer Stimmungslieder, die bei gut besuchten Konzerten durchaus auch zu Moshpits und Crowdsurfen führen, bekannte Popsongs, die jeder mitsingen kann, und durchaus auch weniger bekannte Stücke, für die sich die Gruppe aber begeistert hat.

Dafür begeistern ist überhaupt ein Phänomen, das sich in jeder Gruppe in jedem TEN SING-Jahr beobachten lässt. Während normale Bands sich direkt in ihren eigenen Songs verwirklichen, fangen TEN SINGer an, die Lieder, die sie covern, zu leben und in ihren persönlichen Favoriten aufzugehen. Durch die wilde Mischung und die meist demokratischen Abstimmungen ist immer für jeden was dabei und nicht selten hört man nach einer Show ein Lied im Radio und denkt sofort an die Show zurück, auf der man das Solo dazu gesungen oder den Chorsatz dazu geschrieben hat. Und wenn diese Begeisterung erreicht wurde, war es ein gutes TEN SING-Jahr.

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  1. Dahinter steckt das Modell der fünf Cs: Creativity, Competence, Culture, Care und Christ. Mehr dazu auf tensingland.de.
  2. Vier- oder mehrstimmiger Chor mit maximal drei Personen pro Stimme - mit höherem Qualitätsanspruch als der normale Gruppenchor


Stop The Virgens: Unglaubliche Schöpfung von Karen O (YYYs)

Manchmal begegnet einem beim Anhören neuer Musik etwas, was einen total flasht; der Engländer würde sagen, it blows your mind. Ich spreche dann gerne davon, dass derjenige, der das erschaffen hat, nicht nur Musiker, sondern Künstler ist. Und in der Tat betätigen sich eine Musiker auch als Künstler.

Karen O, vermutlich am meisten bekannt als Sängerin der Yeah Yeah Yeahs, hat im vergangenen Jahr etwas erschaffen, wofür der Begriff "Kunst" sicher nicht zu hoch gegriffen ist. Vor der Gründung der YYYs vor sieben Jahren schrieb sie ein Album mit dem Titel "Stop The Virgens", was nie als solches veröffentlicht wurde, sondern ihrer Meinung nach etwas größeres verdient hatte. 2011 kam die richtige Zeit und es entstand ein einzigartiges Theaterprojekt, ein Musical, eine Psycho-Oper, etwas, was anders ist als alles was es bisher gab, basierend auf der unfassbar genialen Musik von Karen O.

Dieses Werk wurde im Oktober in New York uraufgeführt und nun ist eine Dokumentation dazu erschienen. Die Doku zeigt, dass die großen Worte, mit denen "Stop The Virgens" beschrieben wurde, nicht zuviel waren. Die Entstehung, die Proben, der Inhalt, die beteiligten Personen sind alle unglaublich faszinierend. Ich möchte an dieser Stelle nicht mit viel Worten vorgreifen, denn genau deshalb wurde nie ein normales Album aus dem geschaffenen Werk - weil Worte und allgemein Hörbares nicht genug wären.

Die Doku umfasst zwei etwa viertelstündige Videos und ist verfügbar auf der Website des Veranstalters The Creators Project. Ich hoffe sehr, dass dieses Werk Europa erreicht, denn schon zu sehen, wie es entstanden ist, den Künstlern zuzusehen und das kurze Stück aus der Aufführung haben mich mit offenem Mund vor dem Rechner sitzen und in Faszination alles vergessen lassen. Yeah Yeah Yeahs sind eine unglaublich großartige Band. "Stop The Virgens" ist ein höheres Werk.

Projektwebsite bei The Creators Project