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Krieger des Lichts sein

Silbermond fand ich vor einigen Jahren mal richtig gut, als ich gerade "Passend gemacht" und damit das ganze erste Album "Verschwende deine Zeit" entdeckt hatte (lange nach dem Erscheinen). Dann verschwanden sie mit dem Umbruch auf härteren Rock und elektronische Musik aus meinem Musikgeschmack. Aber nicht lange, denn etwas später landete ich bei TEN SING, wo auch Silbermond ihre Ursprünge haben. Entsprechend kamen ihre Lieder dort immer wieder vor. Nun ließ ich mich als Stagehand für ihr Konzert in Dortmund einteilen und hatte so die Gelegenheit, auch einen Großteil des Konzertes zu erleben.

Direkt zu Anfang zeigte sich dabei, wofür wir uns mit dem teiltransparenten Vorhang abgemüht hatten: Mit "Unter der Oberfläche" ging's los, die Band spielte zunächst hinter dem Vorhang - bis Steffi mit dem Mikroständer dagegen stach und zeitgleich eine zerbrechende Oberfläche darauf projiziert und der Vorhang fallen gelassen wurde. Genialer Effekt! Dabei war das Konzert sonst eher effektarm - schon oft stellten wir fest, dass sich das Können der Band und die Menge der technischen Effekte umgekehrt zueinander verhalten, und Silbermond gehört definitiv zu den guten Bands. Schon beim zweiten Song geht's auf der Bühne so ab wie bei manchen anderen Bands erst im Finale.

Was nicht heißt, dass es danach langweilig wird - aus allen Alben gibt es mehrere Titel. Das Publikum ist dabei durchgehend begeistert und kann die Texte problemlos mitsingen, seien es alte Titel wie "Durch die Nacht" oder "Zeit für Optimisten", neue Stücke wie "Himmel auf" oder "Teil von mir" oder Songs vom zweiten Album wie "Meer sein" oder "Unendlich". Ich selbst kannte das neue Album bisher fast gar nicht, habe nun aber auch Gefallen daran gefunden - es wirkt etwas ernster, dafür aber textlich sehr überzeugend. Aktuell ganz passend z.B. "Waffen", in dem sich die Band klar positioniert: "So voll wie unser Magazin, so leer ist unser Verstand". Wenn man die Zeitung liest, muss man nur die erste Seite nehmen und hat schon tausend Textideen, so Steffi zu der Frage, woher sie eigentlich die Themen für ihre Songs nehmen. Auf wenig Zustimmung stößt hingegen die Moderation zum Thema Fußball - in Dortmund will eben niemand, dass immer die bessere Mannschaft gewinnt!

Zwischendurch gibt's dann eine kleine Akustikeinlage auf der zweite Bühne, die über einen Laufsteg mitten ins Publikum gebaut wurde. Auf der hatte zuvor auch ein Sänger gespielt - eine schöne Idee, um die Umbaupause zwischen der ersten Vorband und Silbermond zu nutzen. Zumal es ein sympathischer Typ mit netten Texten und einer angenehmen Stimme ist. Es ist schön hier zu spielen: "Ich komme aus Berlin, da gibt es nichtmal einen Fußballverein - dafür aber auch keinen Flughafen."

Erwartet hatte ich eigentlich, dass das Finale dort gespielt wird, aber "Das Beste" gibt's mit Klavier von der großen Bühne aus. Das erweicht dann auch die meisten "härteren" Zuschauer - egal ob jung oder alt, Mann oder Frau, schon lange Fan oder heute zum ersten Mal dabei, hier ist jeder vertreten - und augenscheinlich auch jeder begeistert. Zum Finale, als wir schon neben der Bühne auf unseren Einsatz warteten, gibt's dann "Krieger des Lichts" mit dem neuen Lichtermeer - man muss ja zugeben, Feuerzeuge mögen out sein, aber wenn das Publikum dafür Lichter am Handy hat und die benutzt, sieht es eigentlich noch besser aus. Die auch auf den Rängen gut gefüllte Westfalenhalle 1 vom Publikum erleuchtet zu sehen ist schon ein Eindruck, den man lange im Kopf behält. Da ist es dann auch mal schön, die ganzen Scheinwerfer mal auszuschalten.



Chris Brown? Richtig, der war auch noch da.

Eigentlich wollte ich mir ja bloß noch die letzten paar Lieder von Chris Brown ansehen, schließlich ist es immer schön zu sehen, wie sich die aufgebaute Technik im Einsatz macht, selbst wenn man die Musik nicht mag. So kam ich also um 21 Uhr an (um 20 Uhr war planmäßig Anfang, um 18:30 Einlass und seit morgens um 8 standen draußen Groupies vor der Tür) und was war? Es lief Musik, die Halle dunkel, die Zuschauer mäßig schlecht gelaunt, der Star des Abends gab sich noch nicht die Ehre.

Etwa eine Viertelstunde später machte ich dann erstmal meinen Gehörschutz rein, denn das Introvideo startete und als dort Chris Brown erschien, rasteten die überwiegend weiblichen, minderjährigen Fans schon extrem aus. Ganz zu schweigen von dem Lärm, der ihm entgegen schlug, als er aus dem Boden seines Azteken-Raumschiffes emporfuhr. Diesem seltsamen Konstrukt kann auch die Laserbeleuchtung keine Schönheit einhauchen und da auch die Tänzer eher posen als tanzen, macht der gestochen scharfe riesige LED-Screen noch den besten Eindruck. Die Fans übrigens eingeschlossen, denn die feiern nicht, sondern filmen lieber. Eine dermaßen große Ansammlung Foto- und Videokameras habe ich bei einem Konzert noch nie zuvor gesehen.

Nach zwei Songs lässt sich Mr. Achsosexy dann mal zu ein paar Worten herab und Überraschung, auf einmal klingt seine Stimme ganz brüchig. Mehr als drei hingerotzte Fetzen Stimmungsabfrage gibt es aber nicht und danach auch nur noch einen weiteren Song - dann zieht er sich wieder zurück und "DJ Babey Drew", pompös über den LED-Screen angekündigt, aber für den Zuschauer unsichtbar, mixt in wenigen Minuten bei dunkler Bühne alles zusammen, was man 2012 in einer Disco braucht.

Die ohnehin schon nur von schwärmenden Teenies geprägte Stimmung in der Halle stirbt damit dann auch so langsam vor sich hin, die Tänzer, die nach dem DJ-Set als erstes wieder auf die Bühne treten, werden kaum noch bejubelt, nur für Chris ist noch etwas Gekreische übrig, als er noch einmal auf seiner Plattform aus der Bühne emporfährt. Die ganze Show ist unglaublich protzig, aber einfach nicht gut - niemand weiß, was das Bühnenbild eigentlich darstellen soll, die Tänzer sind keine Gruppe, sondern ein Haufen sich merkwürdig verrenkende und posende Individuen. Und was Chris Brown selbst angeht - der ist nur deshalb der Hauptbestandteil der Show, weil ihn alle so anhimmeln. Eine Band gibt es nicht, daher kommt der Großteil der Musik und auch der Großteil der Backing Vocals vom Band und ich als ungeschulter Nichtfan erkenne ihn teilweise gar nicht zwischen den pulsierend leuchtenden Anzügen der Tänzer.

Im weiteren Verlauf kommt der DJ nochmal für einige Minuten zum Zuge und legt unter anderem Gangnam Style auf. Als danach "Yeah 3x" kommt, fangen auch tatsächlich ein paar Leute an zu tanzen - am Rand des längst nicht vollen Innenraums, die in der Mitte filmen weiterhin. Nach Don't Wake Me Up scheint dann das Ende der Show erreicht zu sein, es wird stiller, dann Stimmen aus dem Off, eine Diskussion etwas zu tun, ein Video, wie sich Chris Brown einen Joint anzündet, was er dann in dramatischem Licht in Szene gesetzt auf der Spitze seines Bühnenpalastes auch tut. Gekreische (Mr. Sexy ist wieder da!) mischt sich mit Verwirrung (was sollte das denn jetzt?). Ein Song - Ende. Bühne dunkel, Saallicht an, ganz klare Botschaft: Keine Zugaben.

Die Karten für dieses Konzert haben zwischen 40 und 80 Euro gekostet - mir wäre es keinen Cent wert gewesen. 7 Stunden Aufbau und 4 Stunden Abbau für 2,5 Stunden Warten und eine Stunde lächerliche Show - manchmal steht der technische Aufwand in keinem guten Verhältnis zu dem, was damit dann geboten wird. Bleibt die Spekulation, ob unter den kreischenden Teenies auch Rihanna war, und wieviele Personen während dem Konzert ohnmächtig geworden sind oder Gehörschäden davon trugen...



The Gaslight Anthem & Blood Red Shoes & Dave Hause

Was gibt es schöneres als ein Livekonzert einer Lieblingsband? Natürlich nichts, außer vielleicht zwei Livekonzerten von Lieblingsbands! Und da sich The Gaslight Anthem, die ich in meinem Festivalsommer dieses Jahr irgendwie verpasst hatte, Blood Red Shoes als Toursupport für Europa ausgesucht hatten, schlug ich mich um eine der Karten für eins der ausverkauften Konzerte. Und dann auf nach Köln ins E-Werk!

Durch die Empore ist das E-Werk auch bei ausverkauften Konzerten nicht ganz so brechend voll, obendrein spielte erstmal Dave Hause. Der war zwar nur Vor-Vorband, hatte aber unter den bereits Anwesenden dennoch eine Menge Fans vor Ort. Kein Wunder, mit seinem entspannten Countryrock passte er bestens zu The Gaslight Anthem. Jeder seiner Songs wäre ein gutes Intro für ein Album - jede Strophe der Songs ein gutes Intro für den Song an sich. Leider mangelte es an jeglichem Spannungsaufbau. Ein sympathischer Typ, den ich aber außer als Warm-Up nicht nochmal sehen wollen würde, dafür passiert mir bei seiner Musik zu wenig.

Macht aber nix. Schließlich war ich ja ursprünglich wegen Blood Red Shoes hier. Die ließen dann auch gar nicht lange auf sich warten und präsentierten sich gewohnt hart rockend, diesmal mit einer Mischung aus neuen Songs und alten Hits. Ungewohnt war hingegen das Publikum - stillstehend nämlich. Das Höchste der Gefühle war, wenn Steven ein weiteres Mal versuchte, die Leute zum Mitmachen zu animieren und ein paar Leute anfingen im Takt zu klatschen. Von Bewegung keine Spur, von Motivation auch nicht. Beim treibenden "Cold" holten die Leute ihre Handys raus und filmten, statt zu feiern. Als ich zum Schluss - als furioses Finale gab es "I Wish I Was Someone Better", "Don't Ask" und "Je Me Perds" in Folge - alleine ausrastete, wurde ich nur schräg angeguckt. Enttäuschend. Dafür war das Licht so grandios, dass ich fast die Techniker darauf angesprochen hätte.

Eigentlich hätte man damit aber rechnen können. Denn The Gaslight Anthem sind von allen Musikrichtungen so viel, dass sie von allen toleriert und gemocht werden. Wenn dann aber wie bei diesem Konzert vor allem Fans da sind, die genau diese Musikrichtung hören - man könnte sie auch böswillig als "nichts Halbes und nichts Ganzes" bezeichnen - will natürlich niemand was härteres hören. Sehr sehr schade.

The Gaslight Anthem schließlich waren ebenfalls wie immer - entspannt, gut gelaunt, aber nicht exzessiv feiernd, wie ihre Musik eben. Auf Festivals ist das großartig - wunderbare Stimmung und ein gutes Konzert, bei dem man vom ganzen Pogen mal wieder etwas, aber nicht zu viel, runter kommen kann. Sänger Brian Fallon ist ein großartiger Entertainer, die ausschweifenden Moderationen waren fast besser als die Musik. "Im amerikanischen Fernsehen zeigen sie Blut und sterbende Menschen, aber Titten [...] und Songtextpassagen über Sex werden zensiert. Nehmt ihnen die Waffen weg und gebt ihnen Titten!" Aussagen wie diese ernteten sowohl Gelächter als auch Applaus. Überhaupt verdient der Sänger (und vermutlich die ganze Band) Respekt - in Erinnerung geblieben ist mir auch, wie er einen Song nach ein paar Takten fluchend abbrach, weil er eine Stelle, bei der er sich oft verspielt, nicht sauber spielte. Einen Song deshalb nicht zu spielen, obwohl die Fans schon mitsangen und der nächste eine völlig andere Stimmung hat, sondern ihn erst später nochmal aufzugreifen, muss man auch erstmal bringen.

Im Endeffekt war es ein netter Abend, aber leider nicht mehr. Als die Band vor den Zugaben von der Bühne ging, machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof, um den letzten Zug noch zu erwischen. Draußen pries ein dubioser Händler Band-T-Shirts für 5€€€€ Euro an, die er auf einer Plane auf dem Boden ausgebreitet hatte. Am Bahnhof traf ich dann noch ein paar andere Fans, die der Meinung waren, man hätte die Vorbands tauschen sollen. Stimmt - denn Dave Hause passte als Vorband, während Blood Red Shoes eine ganz andere Atmosphäre gebraucht hätten als die zwischen den beiden amerikanischen Acts. Auch bekam ich zu hören, dass The Gaslight Anthem eine Open Air-Band sind. Und das bleibt wohl als Fazit über - jede Band dahin, wo sie hingehört. Blood Red Shoes in kleine Clubs voller Fans, The Gaslight Anthem auf große Festival vor die breite Masse. Mit Dave Hause als Opening Act.



The Hundred In The Hands / Köln, Gebäude 9

The Hundred In The Hands im Gebäude 9 (Köln-Deutz). Ein ranziger Club, hinten auf einem alten Industriegelände, das zum "Kunstwerk" umfunktioniert wurde. Graffitis an allen Hauswänden, innen sind die Wände so voller Sticker und Tourplakate, dass man die Klotür nicht von der Wand unterscheiden kann. Als Indie-Band scheint man an diesem Schuppen nicht vorbei zu kommen. Die Bar ist geöffnet, ein DJ-Duo legt etwas alternative Musik auf, ein paar Leute sind da. Irgendwann macht jemand die Tür zum Konzertraum auf, aber niemand geht rein, passiert ja auch noch nichts. Der Sänger der Vorband wuselt mit einem Bier durch die Gegend, aber keiner erkennt ihn. Die DJs sind cool, sie machen normalerweise die GetAddicted-Party. Einer von ihnen kommt aus Dortmund, auch im Bochumer Bermuda3Eck haben sie schonmal aufgelegt. Gutes Zeug ist das, was sie da auflegen, es passt zu The Hundred In The Hands, die zwar einen recht eigenen Stil haben, dabei aber verschiedene Elemente mischen, so dass sie kompatibel sowohl zur Indie- als auch zur gemäßigten Elektronik-Szene sind.

Die Vorband Swearing At Motorists hingegen gehört eindeutig zu den Rockern dieses Landes. Obwohl aus St. Pauli in Hamburg, sprechen sie größtenteils Englisch und auch alle ihre Songs sind in englischer Sprache geschrieben. Ein bisschen seltsam, aber wie der Typ mit der Gitarre abgeht, lässt darüber hinweg sehen. Ein bisschen Livesampling und Loops, kombiniert mit langen, ruhigen Intros, die dann schlagartig explodieren und die beiden Hamburger ausrasten lassen, das bekommen wir knapp eine Stunde geboten. Gute Riffs und mitreißende Rhythmen, gepaart mit witzigen Moderationen eines Sängers, der sich offensichtlich selbst nicht allzu ernst nimmt. Ernstzunehmender Rock von einer alles andere als auf Perfektion getrimmten Band. Dazu schummrige Beleuchtung ohne jegliche Effekte (bis auf die flackernden blauen Scheinwerfer, die möglicherweise einfach defekt sind), perfekt passend zum hier vorherrschenden Underground-Clubfeeling.

Nachdem die beiden Bands gemeinsam mit ein paar Technikern umgebaut haben, geht's auch zügig weiter. Wir bekommen "Dressed In Dresden" als ersten Song, direkt gefolgt von "Empty Stations", das ich wegen seiner atemberaubenden Spannungskurve eigentlich als Intro erwartet hätte. Beide Songs klingen live noch viel eindringlicher als schon auf den Alben. Überhaupt kommt der gegensätzliche Sound live unheimlich gut rüber - rockige Gitarrensounds und harte Drumbeats kombiniert mit einem sanften Synthesizer und Eleanores sphärischer Stimme. Viel Moderation oder Publikumsinteraktion wie bei der Vorband gibt es nicht - einfach nur pure Musik. Es ist eines dieser seltenen Konzerte, wo sich Zuschauer und Band einfach in die Musik fallen lassen und eine Stunde einfach treiben, tanzen, getrieben von den teils mitreißenden, teils einnehmenden und umhüllenden Klängen.

Auch eine Bühnenshow fehlt völlig - glasklarer, wuchtiger Sound, minimales Licht, nichts als die drei Musiker auf der Bühne, die mich jedes Mal, wenn ich hinschaue, aufs Neue faszinieren, wie sie so völlig in der Musik aufgehen. Die Sängerin hat quasi immer die Augen geschlossen, nur ganz selten kommt sie hinter ihrem Synthesizer hervor, noch seltener ein Blick ins Publikum, gelegentlich wie unbewusst sanft tanzend. Der Gitarrist wechselt immer wieder abrupt zwischen hochkonzentriert auf die Effektgeräte und vollkommen mitgerissen von den Riffs; teilweise scheint es, als würde er jeden Moment in einer ekstatischen Bewegung versehentlich einen Verstärker umwerfen. Und der Schlagzeuger schließlich spielt völlig mühelos komplexe Rhythmen und schnelle Fills, vollkommen im Einklang mit den anderen beiden Bandmitgliedern, als wäre er genau dafür geschaffen worden.

Wer sich in dieser Musik fallen lässt, bekommt die Chance, seinen Alltag vollständig auszublenden und einfach nur noch zu genießen. In diesem Zustand ist man der Band dann ganz nahe - nicht nur, weil die Location so klein und die Bühne direkt am Publikum ist, sondern noch viel mehr, weil man dann vorübergehend in der selben Welt lebt, jeder für sich, und alle gemeinsam. Wilde Feierorgien wie bei Rockkonzerten mit Moshpits und viel Chaos wären hier völlig fehl am Platze. Dass ich zwischendurch Nasenbluten bekomme - scheißegal, nur das Tanzen, das Fühlen der Musik zählt.

Und was wir da fühlen! Glück und Zerrissenheit, puren Genuss und Verlorensein. Wilde Leidenschaft, als die Band das alte "Tom Tom" auskramt, und sanfte Leidenschaft, als "Red Night" das Konzert als Zugabe beendet. Und vor allem Freude über die großartige Musik, die diese Band geschaffen hat. Freude, die weit länger anhält als eine gute Stunde.



Open Flair vor, auf, hinter und unter den Bühnen

Diesen Monat habe ich meine Ausbildung bei Smartlite begonnen, einem Veranstaltungstechnikdienstleister, der unter anderem Technik für Ü30-Partys, die Cranger Kirmes und das Open Flair-Festival stellt und betreut. So bekam ich kurzfristig die Gelegenheit kostenlos zum Open Flair zu fahren und dort ab Sonntagabend den Technikabbau zu unterstützen.

Irgendwie hatte ich das Open Flair ziemlich kontrastreich in Erinnerung. Grandiose Konzerte auf der einen Seite, darunter das letzte wirklich gute Wir sind Helden-Konzert, und einige organisatorische Pannen und einen sumpfigen Parkplatz auf der anderen Seite. Diesmal war alles etwas entspannter. Wir (meine Schwester und ich) sind erst am Freitag angereist und haben dann, nachdem wir die merkwürdige Führung zu den Parkplätzen verstanden hatten, auch einen gescheiten Parkplatz und einen guten Zeltplatz bekommen.

Letzterer lag quasi am Weg zur Seebühne (der Open Air-Bühne, die nicht auf dem Hauptgelände, sondern näher am Campinggelände liegt) auf einem Ersatzzeltplatz, auf dem nach uns tatsächlich niemand mehr angereist ist, so dass wir nicht nur viel Platz für uns, sondern auch eine freie Fläche hatten. Die hätte man super für Flunkyball nutzen können - wenn denn anständige Festivalcamper da gewesen wären! Aber aus irgendwelchen Gründen war das Durchschnittsalter auf unserem Platz ziemlich hoch und wurde nur durch die Kinder der anwesenden Familien gesenkt. So war es zwar nachts schön ruhig zum Schlafen, aber tagsüber war tote Hose.

Naja. Nachdem wir auf mysteriöse Weise Zeit bei der Anreise verloren hatten und dann noch mehr Zeit verloren, weil die Ticketübergabe meiner Schwester aufgrund des schlechten Mobilfunknetzes so lange dauerte, hörten wir Skindred leider nur und sahen dann Madsen als erste Band. Die waren grandios wie immer und als Zugabe gab's noch ein kurzes Cover von Alex Clares "Too Close", was wohl jeder Festivalbesucher und Radiohörer schonmal gehört hat. Schöne Sache, obwohl die Musikrichtung ja völlig anders ist als sonst bei Madsen.

Aufgewärmt ging's dann direkt zur Seebühne, um dort 5BUGS zu sehen. Da war, wie überhaupt während des gesamten Festivals, ziemlich wenig los, die Stimmung aber kein bisschen schlechter. Überhaupt haben mich 5BUGS ziemlich überzeugt, fast noch mehr als Madsen, vielleicht auch, weil sie viele gute Songs dabei hatten die ich noch nicht kannte.

Da eh nix los war, konnten wir in der Umbaupause zum Zelt laufen und uns vor Fiva noch etwas ausruhen. Zu Fiva und dem Phantom-Orchester würde die Beschreibung "grandios wie immer" auch passen - aber auch wenn ich sie schon so oft gesehen habe wie Madsen, verteilen sich die vier Konzerte nur auf zwei Monate und nicht auf drei Jahre. Es war wieder ein neuer Kontrabassist dabei und es gab ein paar kleinere Verspieler oder Aussetzer, aber die Atmosphäre war großartig und das Konzert insgesamt so gut, dass sich niemand daran gestört hat, so es denn den Leuten überhaupt aufgefallen ist.

Nach einer Esspause, bei der wir eine Gaskartusche versehentlich turboentleerten, ging's dann noch zu Samy Deluxe (mit Tsunami-Band). Nicht ganz so klischeefreier Hip-Hop wie bei Fiva, aber dennoch hörenswert. Und im Gegensatz zum Deichbrand, wo wegen der beschädigten Bühne und der Bauarbeiten die erste Welle gesperrt war konnten wir diesmal weit vorne sein und der Sound war auch gut.

In der Nacht war es wie schon erwähnt sehr ruhig. Keine Generatoren, keine laute Musik, nichtmal sich unterhaltende Nachbarn am Grill unterm Pavillon. Tote Hose, aber erholsam. Den Samstag ließen wir dann auch ganz entspannt angehen und fuhren erstmal zum Edeka um uns fürs Frühstück einzudecken. Das hat das Open Flair wirklich quasi allen Festivals voraus - ein Supermarkt in fußläufiger Reichweite ist unschlagbar praktisch. Zusätzlich gab es diesmal sogar einen gut sortierten Zelt-Supermarkt vor dem Campinggelände, wo es sogar Obst und Gemüse zu kaufen gab (neben allem was man sonst so braucht).

Konzerte gingen dann los mit Sondaschule, die wir vor zwei Jahren auf der Seebühne am Donnerstag Abend gesehen hatten und die nun auf der großen HR3-Bühne spielten. Großartiges Konzert und reichlich Party. Sondaschule sind auch einfach eine coole Liveband. Ebenso wie Zebrahead, die einfach immer einen Besuch wert sind, weil da immer der Bär steppt. Für meine Schwester stand dann Jennifer Rostock an, die hatte ich beim Hurricane schon gesehen, also ging's zu Captain Capa, die ich bei Bochum Total wegen meines Ausflugs zu TEN SING Bad Essen nicht sehen konnte.

Captain Capa sind bei Audiolith unter Vertrag, dem Hamburger Label, bei dem auch Supershirt, Frittenbude und Egotronic sind, und bisher haben alle Bands dieses Labels meinen Geschmack getroffen. Captain Capa gehen in Richtung Tekkno oder, wie Intro mal schrieb, "Hochgeschwindigkeitspop". Wie zuvor schon bei Fiva ging's mit wirklich wenigen Zuschauern los und füllte sich dann, als mehr Leute merkten, dass ein guter Beat und ein paar geschickt platzierte Effekte zum Tanzen reichen. Sympathisch und spontan präsentierten sich die beiden und für mich war das Konzert definitiv ein Highlight. Bei Jennifer Rostock wurde dieweil bei beiden Geschlechtern blank gezogen, was die anwesenden Familien mit kleineren Kindern wohl etwas verstörte...

Ohne Unterbrechung ging's dann weiter zu J.B.O., die gerade auf der kleinen Freibühne spielten und genau das waren, was ich erwartet hatte: Zehn Minuten lustig, dann irrelevant und nervig. "Im Gegensatz zu Bayern München hat der nächste Song einen Titel!" - Sprüche wie die kann man sich mal anhören, muss man aber nicht. Dann lieber die Broilers, die zwar anfangs Probleme mit ihrem Bass hatten, spätestens danach aber eine gute Show hinlegten. Viel besser war aber noch das Publikum - wir waren ziemlich weit vorne, wo die Leute noch sehr locker standen, aber kaum erklangen die ersten Akkorde, kamen von hinten Leute angerannt, schubsten uns zur Seite und ein tobender Moshpit entstand, der sich bis Konzertende kaum beruhigte.

Die im Plan eingezeichnete Platzaktion fiel wohl irgendwie aus, jedenfalls bemerkten wir nix und die nächste Band spielte auch schon, also war's wieder Zeit für's Abendessen (gute Ravioli!) und danach auf zu Egotronic, die genauso betrunken, aber auch genauso gut waren wie schon beim Deichbrand (diesmal ohne technische Unfälle - eigentlich unnötig zu erwähnen, dass auch diese Deichbrand-Panne hier ausblieb). Viele bekannte Songs wurden wieder gespielt, das Set war aber insgesamt etwas anders und unter anderem gab es ein Cover von einem Saalschutz-Song (noch eine Audiolith-Band), der auf Supershirts "8000 Mark" verweist. Netter Zusammenhang. Außerdem lernten wir, dass das Beste, was man nach einer gescheiterten Beziehung tun kann, ist, ein Nazischiff zu versenken, und es war "verhunze fremde Popsongs"-Tag und auch "Zu spät" von den Ärzten blieb nicht verschont. :D

Nachdem sich dann anschließend herausstellte, dass The Baseballs zwar ähnliche Musik machen wie Dick Brave & The Backbeats, dabei aber nicht halb so gut sind, ging's zurück zur Seebühne und - Überraschung - das Gerücht, das vorher umging, stellte sich als offiziell heraus: Sondaschule spielten nochmal, da Timid Tiger absagen mussten! Mehr als die Hälfte der Songs des Sets wurde ausgetauscht und viele der Zuschauer vom Mittag waren auch nachts um halb eins wieder anwesend. Ein perfekter Abschluss für den Samstag, auch wenn es schade um Timid Tiger war.

Am Sonntag begannen wir den Tag noch später. Das Zelt heizte sich in der Sonne unglaublich auf und so schälten wir uns eigentlich nur aus den Schlafsäcken, um nicht zu schmelzen. Die ersten Bands die spielten kannten wir eh nicht und bei der Hitze waren wir auch recht unmotiviert einfach hinzugehen. Also erstmal schön Festivalfrühstück mit Erdbeerwodka und schonmal Gepäck zum Auto bringen.

Zu Das Pack mussten wir dann aber hin, immerhin spielten die direkt vor Monsters of Liedermaching und einer der Monsters ist auch bei Das Pack. Im letzten Jahr hatte er sich mit nem Schlauchboot auf die gegenüberliegende Bühne tragen lassen. Wir schafften es auch tatsächlich mal pünktlich und bekamen eine ordentliche Portion Pferdeäpfel niveaulosen, aber lustigen Rock. Anschließend kamen die restlichen Monsters auf die Bühne und ließen sich alle in Schlauchbooten rübertragen - und hielten dabei Schilder hoch: "Schlauchboot? Schon wieder?!".

Nachdem das unter großem Gejohle mehr oder weniger klappte, gab's auf der großen Bühne auch die Erklärung dazu: Eigentlich wollte sich die Band diesmal in großen Glaskugeln tragen lassen - aber es gab schlicht keine! Hätten sie mal Deichkind gefragt, die sind schließlich Meister in schrägen Bühnenshows mit den unmöglichsten Utensilien. Das Monsters-Konzert war dann, wie nicht anders zu erwarten, wieder höchst genial. Wir machten vier Refrains lang Sitzpogo und wurden so still, dass man das Xylophon bei "so einem sauguten Refrain" unverstärkt hören konnte.

Da ich ab 19:15 Uhr für den Abbau am Kleinkunstzelt eingeteilt war, machte ich noch ein Nickerchen und ging das Zelt anschließend suchen. Es lag etwas außerhalb im wunderschönen Schlosspark, wo auch das Weinzelt stand. Als ich ankam, war das Liveprogramm auch bereits zu Ende und so ging es direkt los: Kabel einsammeln, unter der Tribühne herkriechen, Molton1 abnehmen und verpacken, Traversen und Bühne abbauen und andere Utensilien verpacken und dann den LKW beladen. Insgesamt alles ziemlich entspannt und da wir von den Technikern her schon ziemlich viele waren und dazu noch ehrenamtliche Helfer vom Open Flair dabei hatten, ging es auch sehr schnell, so dass wir noch während Kraftklub (21:30 Uhr) zurück zum Hauptgelände liefen.

Dort angekommen wurde noch fix ein LKW fertig beladen und dann durften wir uns Korn ansehen. Leider ließen uns die Securitys nicht auf den FOH-Turm2, aber das Publikum stand eh sehr locker, so dass wir erst in der zweiten und später sogar ganz vorne in der ersten Welle standen und feierten. Ich kannte von Korn vorher nur "Word Up" und das mit Skrillex entstandene "Get Up", aber was sie live spielten, überzeugte mich ebenfalls. Außerdem gab es "Another Brick In The Wall" in der vollständigen Version inklusive epischem Gitarrensolo, eigenem eingebauten Schlagzeugsolo und einem absolut schaurigen "Goodbye, Cruel World", an dessen Ende der Sänger nur noch "Goodbye!" ins Mikro keifte und von der Bühne ging. Hätte es statt Zugaben Suizid gegeben, es wäre ein passender Abgang gewesen.

Nachdem anschließend das Publikum weg war, ging's dann an den Abbau der großen Bühne und des FOH-Turms, denn die kleine Freibühne wurde schon während Korn abgebaut. Schwere Kisten wurden mit Radlader von oben herunter transportiert und unter der Bühne wurde sichtbar, wie staubig das Gelände gewesen wäre, hätten die großartigen Securitys nicht immer wieder Wasser über die staubigen Flächen gespritzt. Wir bauten Kabel ab, die pro Stück eine Kiste füllen, die größer ist als ein großer Umzugskarton und zu zweit getragen werden sollten, und liefen über die Bühne, auf der in den letzten Tagen außer Korn auch die Beatsteaks, Madsen und viele andere gespielt hatten.

Viele, viele Scheinwerfer, unendlich viele Kabel und dutzende Meter Traversen später war gegen fünf Uhr morgens tatsächlich schon alles abgebaut. Dankbarerweise ist für die Bühne an sich - also das Hauptgestänge, an dem wir unsere Technik aufgehängt hatten, und das Podest - eine andere Firma zuständig. So ging's dann zurück nach Kamen und morgens um sieben war ich schon wieder in Dortmund auf dem Weg nach Hause, müde, aber bis dahin ohne Energydrinks konsumiert zu haben, und an einigen Erfahrungen reicher. hahahah

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  1. Feuerfester, schwerer, meist schwarzer Dekostoff, der oft zur Abdeckung der Bühnenrückseite verwendet wird
  2. Der Turm gegenüber der Bühne, in dem die Mischpulte stehen


Rückblick auf Rock am Ring - 2. Teil

Zwischen Reporter-Aufträgen, bezahlter Arbeit und Freizeitaktivitäten sind die Berichte von Rock am Ring ziemlich untergegangen. Nach zwei Monaten verblasst die Erinnerung auch langsam hinter den eindrucksvolleren anderen Festivals. Trotzdem möchte ich euch meine weiteren Berichte zu Deutschlands überbewertetstem Festival nicht vorenthalten.

Auch am Samstag geht es wieder ganz entspannt los. Zumindest nachdem ich das Festivalgelände erstmal erreicht habe - dazwischen steht nämlich jedes Mal ein langer Fußmarsch an, der nicht nur über Asphalt, sondern auch über Schotter und harte lose Steine führte. Ohne dicke Schuhsohle sind kaputte Füße vorprogrammiert. Und wir haben noch bei weitem nicht den schlechtesten Campingplatz - die hintersten sind so weit entfernt, dass man einen Shuttlebus nehmen oder über eine Stunde laufen muss. Im Vergleich z.B. zum (besuchermäßig) nur wenig kleineren Hurricane ist der Campingplatz hier unglaublich weitläufig und sowohl von manchen Parkplätzen als auch vom Festivalgelände weit entfernt.

Wenn man also einmal auf dem Konzertgelände ist, bleibt man dort auch bis abends. Da aber ohnehin viele den ganzen Tag vor der Center Stage verbringen, sind zumindest die Headliner-Fans davon nicht beeindruckt. Immerhin gibt es Dixis in den vorderen Bereichen, so dass man seinen Platz nicht den natürlichen Bedürfnissen des Menschen opfern muss...

Naja, mein Tag beginnt jedenfalls mit Boyce Avenue vor der Alterna Stage, eher aus Neugier als aus Interesse und wie erwartet präsentiert sich die Band sympathisch mit anständiger, unspektakulärer Popmusik. Kreischende Mädels gibt's auch reichlich und so lege ich mich lieber weiter hinten ins Gras und bedauere nicht, dass es keine Zugaben gibt.

The Stranglers, die als nächstes spielen, bieten einen angenehmen Kontrast dazu: Die Band fällt locker in die Kategorie "Altrocker" und fällt zunächst mal dadurch auf, dass sie unheimlich elegant gekleidet sind. Es gibt anständigen Rock mit coolen Bassriffs, aber obwohl die Band schon vierzig Jahre im Geschäft ist, ignoriert sie die Tatsache, dass auf Festivals nicht nur Fans da sind. Dafür amüsiere ich mich bestens über wild springende Menschen, die meine Eltern sein könnten.

Nach den Maccabees, die irgendwie ständig Stilbrüche in ihre Songs gebaut haben und damit auch die Stimmung brechen, sind dann endlich The Ting Tings dran, eins meiner persönlichen Highlights. Schon bei einem Clubkonzert in Hamburg hatten sie ja bewiesen, dass sie noch genauso genial sind wie vor drei Jahren, und beim Ring bekommen sie nun auch ein angemessenes Publikum. Es wird massig getanzt und sanft gepogt und bei der achtminütigen Version von Hands, die sich immer wieder neu aufbaut, gibt's nen Circle Pit. Nur der Sound ist mal wieder nicht gut.

Danach reicht's mir erstmal, Tenacious D werden zwar heiß umjubelt, meinen Geschmack treffen sie aber nicht. Dafür ärgere ich mich mal wieder über ausfallende Leinwände und über das überteuerte und obendrein schlechte Essen. Nichtmal vegetarische Döner, ja nichtmal Fritten bekommt man hier vernünftig hin. Da sind die selbst für Festivals überdurchschnittlich hohen Preise wirklich nicht gerechtfertigt.

Der Abend wird dann für mich der beste. Billy Talent wirken sehr authentisch und der Sänger hat sichtlich Spaß. Diamond on a Landmine, Devil on my Shoulder, Fallen Leaves, Red Flag, Rusted From The Rain, ich wusste gar nicht, dass ich so viele Songs von denen kenne. Praktischerweise ist die Stimmung auch hinten gut. Überhaupt vertrete ich die Theorie, dass an der großen Bühne hinten mehr Fans sind, weil vorne auf die Headliner gewartet wird. Das ist zwar bei jedem Festival ein bisschen so, aber hier ist es aufgrund der irrsinnig berühmten Headliner noch krasser.

Da Metallica mich so überhaupt nicht interessieren (wofür ich sogar am Vormittag auf dem Campingplatz kurz interviewt wurde), geht's nach Billy Talent auch direkt wieder zurück zur Alterna Stage, wo Keane gerade boygroupmäßig umjubelt werden. Egal, denn anschließend blasen uns The Hives weg, die alleine schon durch das pompöse Bühnenbild beeindrucken. Mit großem Stimmumfang und viel Motivation kriegen wir alte und neue Songs um die Ohren gehauen und um Mitternacht ("werewolf hour!") wird uns gedroht, wenn wir nicht brav mitfeiern, trinkt der Sänger unser Blut zum Frühstück. Zulässige Antworten auf alles sind "Yeah!" und "The Hives!". Irgendwann erzählt der Sänger von einem "law", dass es verbietet, weiter zu spielen, aber mit Begeisterung brechen wir es und zerreißen es in tausend Stücke.

Das heutige Late-Night-Special Skrillex startet später mit Massen an Nebel und einen 5-Minuten-Countdown auf der Leinwand mit sich steigernder Musik. In einer Lichtexplosion am Höhepunkt des Sounds tritt dann Skrillex auf die Bühne - das bedeutet bei ihm, sein Kopf erscheint im Cockpit des gigantischen Raumschiffs, das auf der Bühne aufgebaut wurde. Für Dubstep eine grandiose Kulisse und was dann folgt, ist das abgefahrenste, was ich je gesehen habe. Das ganze Set lang wird literweise Nebel verballert, explodiert die Bühne in Farben und Stroboskopen, werden Laser und alles was sonst noch da ist eingesetzt. Dazu noch die Show auf der Videoleinwand - das der kleine Skrillex mit der Nerdbrille dabei in seinem Cockpit eine Party feiert und wild an Hebeln zieht und Knöpfen dreht, erscheint in dem ganzen Feuerwerk mehr als surreal. Unnötig zu erwähnen, dass wir zu Musik und Show feiern bis zum Ende.



Rückblick auf Rock am Ring - 1. Teil

Größen wie Metallica, Die Toten Hosen und Linkin Park sorgten dafür, dass Rock am Ring schon im Januar ausverkauft war und auch Rock im Park folgte etwas später mit der Meldung: Keine Karten mehr zu haben. Doch neben den begeisterten Massen - jeder tausendste Deutsche fährt zu Rock am Ring - wurden auch die kritischen Stimmen wieder laut: Rock am Ring ist dem Kommerz verfallen, hat außer Headlinern nichts zu bieten.

Nach der Fahrt nach Koblenz, vom Ruhrgebiet aus der nächste Bahnhof, von dem Shuttlebusse fahren, hat uns jedenfalls erstmal die erste Enttäuschung getroffen: Der Shuttlebus war gerade weg, 30 bis 45 Minuten bis der nächste kommt, außerdem sind viele Zeltplätze schon voll. Der Shuttlebus ist nicht im Ticketpreis enthalten, sondern kostet acht Euro pro Strecke, und er fährt über eine Stunde. Als dann der nächste Bus kam und wir nicht mehr reinpassten, war klar, der angenehme Teil der Anreise ist in Koblenz zu Ende.

Irgendwann, als es schon lange dunkel war und wir unterwegs noch ein paar Leute aufgegabelt hatten, die sechs Kilometer vom Campingplatz entfernt parken mussten, kamen wir dann auch mal an. Mit Hilfe der anderen Camper auf unserem Wunschzeltplatz schafften wir es sogar, uns dort zu platzieren, wo Plan B es vorgesehen hatte. Alles außer Essen wurde auf den Freitag verschoben, es war inzwischen nach Mitternacht und wir mit den Nerven am Ende.

Freitag war dann erstmal alles entspannter. Wir holten unsere Bändchen, ließen uns von den Zeltnachbarn verarschen, weil zehn von uns zwölf Vegetarier sind, brachten den Gaskocher zum Laufen (sogar ohne Panzertape) und richteten uns erstmal ein. Mein Konzertplan für Freitag war sowieso entspannt, nur drei Bands, die ich ernsthaft sehen wollte. Aber eigentlich war der Konzertplan für das ganze Festival entspannt, denn von den drei großen Headlinern interessierte mich nur einer wirklich und auch sonst war das Line-Up im Vergleich zu Hurricane und Deichbrand für mich eher uninteressant, obwohl Rock am Ring fast so teuer ist wie die beiden anderen zusammen.

Meine erste Band spielte dann auch direkt auf der Center Stage, der sagenumwobenen, der mit dem neuen Einlasssystem und den drei Zonen, von denen die vorderen zwei beschränkt sind. Es war erst Nachmittag, aber die erste Zone war schon dicht, und während des Festivals würde sich das auch nicht ändern. Wer einmal drin war im vordersten Wellenbrecher, ging nicht mehr freiwillig raus. Ich begnügte mich also mit Zone B und genoss The Subways, die ein bisschen klein wirkten auf der riesigen Bühne, ihren Auftritt aber sichtlich genossen. Party ist bei denen sowieso immer - die Musik ist unglaublich mitreißend, die Band ist live einfach richtig gut und außerdem streuen sie ständig ins Deutsche übersetzte Strophen ihrer Songs ein, zum Beispiel bei "Rock&Roll Queen" und "We Don't Need Money To Have A Good Time".

Ganz im Festivalsinne blieb ich danach zu Cypress Hill, die mit Hiphop ungefähr gar keine Übereinstimmung mit meinem Musikgeschmack haben, aber wo ich eh mal da war, konnte ich auch mal über den Tellerrand schauen. Ganz klischeehaft war ungefähr jedes dritte Wort "fucking" und jeder zweite Satz Eigenlob, aber die Jungs verstehen es das Publikum anzuheizen und am Ende gab es Soli für den Percussionisten und den DJ, was echt cool war. Im Gegensatz zu den darauf folgenden Kasabian, von denen ich nur "Underdog" kannte und die eine lahme Enttäuschung waren. Der Sänger sah aus wie Liam Gallagher, war aber offensichtlich weniger auf Drogen.

Also Gelegenheit etwas eher abzuhauen und einen guten Platz an der Alterna Stage zu ergattern. Zone B war, als ich rauskam, inzwischen auch geschlossen, und überhaupt waren an der Center Stage unheimlich viele Menschen, die unheimlich wenig Spaß hatten. Ganz im Gegensatz zu denen bei Guano Apes, wo es kein Problem war, im zweiten Wellenbrecher nach ganz vorne zu kommen - nach den ersten Songs hörte ich irgendwo neben mir "hier sind wir richtig". Und als "Open Your Eyes" als vierter Song kam, erreichte die Stimmung den Höhepunkt und es gab bis zum Ende des Konzertes ständig Moshpits. So muss das!

Aufgrund einer Zeitplanänderung verpasste ich leider den Anfang von Fiva & Das Phantom Orchester, aber die Stadt gehört trotzdem denen, die da waren. Eins meiner persönlichen Highlights - das Konzert an der Clubstage war mit wenigen tausend Zuschauern vergleichsweise winzig, aber Fiva ist so süß wenn sie sich ständig bedankt weil alle, die da sind, sie einfach nur feiern, und das Publikum war so begeistert, dass schon nach zwei Dritteln des Konzertes Zugaben gefordert wurden, obwohl noch reguläre Spielzeit war. Wunderbar angenehmer, klischeefreier Hiphop beim Ring mit Fiva MC, dem DJ und dem Kontrabassisten.

Planlos was ich bis Evanescence tun sollte ließ ich von den anwesenden Mädels beraten, hörte mir Musik vom Handy an und blieb zu The Koletzkis. Die warteten nicht mit großer Show oder vielen Klängen auf, sondern mit minimalem, tanzbaren Elektro. Das aber in einer Qualität, die das Publikum auch durchweg zum Tanzen brachten. So blieb ich bis zum Schluss - verlasse nie ein gutes Konzert! - und bestaunte Evanescence von weiter hinten, wie sie stimmliche und instrumentale Leistungen brachten, die nur möglich sind, wenn man voll hinter seiner Sache steht. Ein Ohrgasmus quasi, und die Technik tat ihr übriges und ließ den Platz vor der Alterna in Licht förmlich explodieren.

Auf dem Weg zur Center, wo gerade Linkin Park auf die Bühne kamen, verweilte ich noch kurz erneut an der Club Stage, wo gerade Moonbotica auflegten, die mir von diversen Remixes ein Begriff waren. Auch dort großartige Stimmung und ich gewann zunehmend mehr den Eindruck, dass die kleinsten Konzerte hier die besten sind. An der Clubstage ist einfach alles nicht so Overkill wie an den beiden großen Bühnen.

Linkin Park allerdings waren auch nochmal ein Highlight. Leider sah ich quasi gar nichts von ganz weit hinten, da die Videoleinwände ständig ausfielen (was sich im Verlauf des Festivals auch nicht besserte), aber spätestens ab Bleed It Out, wo ich einen Ultrafan in der Menge entdeckte, war Party angesagt, und wen stört es schon, wenn um einen herum eher mäßiges Mitnicken als wildes Springen angesagt ist?!

Als Absacker gab's dann noch Marilyn Manson. Der war, wie man es erwartet - laut, grell, aggressiv und ein bisschen krank. Man kann nicht sagen, dass er nicht feiert, aber es strömten ständig Menschen weg. Auch schien die Technik schlecht zu sein, denn es gab ständig Rückkopplungen. Trotzdem waren Massen vor der Alterna und ich war froh, mit einigen anderen seitlich hinter dem Absperrzaun auf dem erstaunlich weichen Asphalt zu sitzen und das Konzert aus der Ferne zu beobachten, bis ich keine Lust mehr hatte.

Aber apropos Sound. Als ich Richtung Campingplatz lief, platzte mir fast der Schädel, als ich am Zelt der Independent Party Station vorbeikam. Unglaublich dröhnende Bässe und ein irrsinnig lauter Sound drangen heraus - alle drei Bühnen waren ein Witz dagegen. Überhaupt empfand ich den Sound bei Rock am Ring als sehr leise und auch immer wieder als schlecht abgemischt. Bei Cro am Sonntag gab es auch Hinweise darauf, wieso - die Techniker hatten ihre interne Kommunikation auf die PA geschaltet und so konnte jeder Anwesende mithören, dass sie total unter Zeitdruck stehen und nicht fertig wurden bis das Konzert anfing. Zeitplan vor Qualität also. An den Videos der übertragenden Sender habe ich nach dem Festival erstmal gemerkt, wieviel ich tatsächlich aufgrund der schlechten Mischung einfach nicht gehört habe.



The Ting Tings zurück in Deutschland!

Dieser Bericht erschien auch auf {venue}.

The Ting Tings haben sich in den letzten Jahren auf verschiedensten Wegen einen Namen gemacht - sie spielten auf großen Festivals, ihre Musik lief im Radio, die Singles wurden in verschiedenen Werbespots großer Firmen verwendet. Sie haben sich aber darüber hinaus auch rar gemacht - nach dem Debütalbum "We Started Nothing" von 2008 folgte erst vor wenigen Wochen endlich eine zweite Scheibe und seit 2009 waren sie nicht mehr in Deutschland auf Tour. Dafür aber, um einige Songs in einem Berliner Studio aufzunehmen, und mit diesen Songs im Gepäck gab es jetzt drei Auftritte hierzulande, einen in Berlin beim Melt! Weekender, einen im Grünspan in Hamburg und einen bei Rock am Ring. Also packte ich meine Sachen, fuhr ein paar Freunde in Hamburg besuchen und suchte das Grünspan auf.

Das Grünspan fasst zwar nur ein paar hundert Leute, dafür bietet es aber eine wunderbare Atmosphäre und einen genialen Sound. Durch den Konzertraum zieht sich seitlich an der Wand eine schick beleuchtete Bar, obendrüber, ebenso liebevoll in Szene gesetzt, findet sich die Garderobe. Der DJ, der vor dem Konzert auflegte, gehört leider nicht zur Location, sondern wurde vom Veranstalter gebucht. Mit wild gemischter und trotzdem perfekt passender Musik von Yeah Yeah Yeahs über Crystal Castles und M83 bis The Hives wurden wir perfekt unterhalten, bis sich um 20:15 mal jemand zum Soundcheck bequemte. Die Verzögerung ist möglicherweise auch auf die Besucherzahl zurück zu führen - zu der Zeit war es nämlich zwar schon eine Viertelstunde nach planmäßigem Beginn, aber immer noch recht leer und die Abendkasse geöffnet.

Irgendwann wurde es dann aber endlich dunkel, ein Intro erklang und Jules kam an seinen Platz. Das Intro wurde von Drums abgelöst und Fans wussten: Es gibt "Great DJ" direkt als ersten Song. Mit den dadurch ausgelösten Begeisterungsschreien des Publikums kam dann auch Katie auf die Bühne´, haute in die Saiten und spielte das allseits bekannte Riff, das ursprünglich mal aus einem schlecht gespielten Akkord entstand und später zu einem Song wurde - wie einige Titel des ersten Albums. Ganz anders "Hang It Up", das Flaggschiff des neuen Albums. Auch hier dominiert zunächst das Gitarrenriff, diesmal aber ganz gezielt und mit trockener Drummachine, die dann später von dröhnenden echten Drums abgelöst wird.

Dabei zeigt sich auch direkt die unglaubliche Dynamik der Show. The Ting Tings sind nur zu zweit und von einer Verteilung der Instrumente kann man nicht reden, denn ständig werden Instrumente gewechselt, werden synthethische und "echte" Komponenten gemischt, werden Loops verwendet und neue Patterns drüber gelegt. Bei keiner Band rennen so oft Roadies über die Bühne, um Gitarren anzunehmen, wieder anzugeben, Keyboards hinzustellen, Fußpedale und Synthis zu tauschen und alles wieder gerade zu richten. Spielte Jules am Anfang noch die zweite Gitarre, musste die später im Lied dem Schlagzeug weichen. Später werden auch Gitarren, Keyboards und Synthesizer gemischt, mal singt Katie, mal Jules, mal beide, und bei "We Walk" spielt Jules dazu auch noch gleichzeitig Schlagzeug und Gitarre - wozu hat man schließlich zwei Hände und zwei Füße!

Und um nochmal auf die Roadies zurück zu kommen: Nicht nur die Instrumentenwechsel sorgen für viel Bewegung, auch Frontfrau Katie läuft, rennt und springt über die Bühne wie ein Flummi, schmeißt Mikro- und Instrumtenständer um und sorgt überhaupt für ziemlich viel Chaos, ganz zu schweigen davon, dass immer jemand das lange Gitarrenkabel einsammeln muss. Die Technik tut ihr übriges, damit die Bewegung auch optisch zur Geltung kommt. Und als bei einem Lied mal eine dritte Gitarre gebraucht wird, darf der Gitarrenangeber auch mal selber ran.

Während auf der Bühne also von Anfang an wirklich reichlich viel los ist, ist das Publikum nur mäßig begeistert. Die erste Reihe tobt, als Katie sich bei "Hang It Up" zwischen die Fotografen im Fotograben quetscht um so vielen Fans wie möglich die Hand zu schütteln, aber bewegungsfreudig sind die vielleicht 300 Zuschauer nicht. Als Katie nach "Give It Back" und "Guggenheim" meint, jetzt sei aber wirklich genug Zeit zum Ausruhen gewesen und Tanzen angebracht, holen einige ihr Handy raus um zu filmen. Schade, dabei hat sie doch extra eine kleine deutsche Rede geschrieben und auch da nochmal darauf hingewiesen, dass der Spaß das Wichtigste ist: "Meine Deutsch ist scheiße, deshalb halte ich jetzt besser die Klappe und bringe euch zum Tanzen!"

Die Tanzwilligen jedenfalls lassen sich nicht davon abhalten, dass sie in der Unterzahl sind, und feiern mit Katie und Jules zu "Hit Me Down Sonny", das live um einen Gitarrenpart ergänzt wurde, und "Fruit Machine". Als danach "Shut Up And Let Me Go" erklingt, ist dann auch die gesamte Menge begeistert, denn den Song hat wirklich jeder schonmal irgendwo gehört und die "Hey!"-Parts auswendig gelernt. Außerdem haben The Ting Tings ihre riesige Stand-Basedrum wieder dabei, die Katie mit Begeisterung spielt - und hinterher zu Boden wirft und sich draufstellt, darauf inzwischen barfuß tanzt und die Cowbell spielt.

Die meisten Songs machen ja schon vom Album viel Spaß, aber live nochmal deutlich mehr, nicht nur, weil die Band selbst wild feiert, sondern auch, weil viele Songs um zusätzliche Parts ergänzt wurden, zum Beispiel weitere Gitarrenriffs oder "echte" Varianten von eigentlich synthethischen Patterns. Außerdem ist die Abmischung ganz anders, das Schlagzeug kommt viel wuchtiger rüber und auch wenn Jules bei "We Walk" gleichzeitig Gitarre und Schlagzeug spielt, sind doch einige Songs in der Instrumentierung reduziert, so dass die vorhandenen Elemente wesentlich kräftiger rauskommen.

"We Walk" ist dann auch schon der vorletzte Song des regulären Teils, gefolgt von einer acht Minuten langen Version von "Hands", einem in Berlin entstandenen, stark vom Tekkno beeinflussten Song. Vielleicht der mit den meisten Facetten: Als Single kommt er in einer normalen synthethischen Fassung, in Akustiksessions in einer völlig anderen, melodischen Form und in Hamburg ergänzt um ausschweifende, in Richtung Trance gehende Synthi-Samples in einer doppelt so langen, sich ständig steigernden Fassung, die am Ende, nach zwei Breakdowns, mit einem harten Gitarrenriff und scheppernden Drums vollkommen explodiert. Kein Wunder, dass das Publikum lautstark Zugaben fordert.

Nach einer gefühlt ziemlich langen Pause gab es die dann auch. Zunächst "Keep Your Head" - in dem immer nur noch "Ten minutes to go" sind und man einfach die Ruhe bewahren soll, in einer aufgemotzten Liveversion. Und für die weniger eingefleischten Fans danach natürlich noch "That's Not My Name" - als letzten Song, aber nicht mit weniger Emotionen, obwohl längst nicht mehr taufrisch.

70 Minuten dauerte das Konzert damit nur, und wenn man sich die beiden Alben anschaut, die beide nur 10 Tracks umfassen, könnte man meinen, dass sich die Band ganz schön viele Freiheiten rausnimmt. Man kann aber auch ihren Worten Glauben schenken, dass sie einfach anspruchsvoll sind. Schließlich hat das aktuelle Album "Sounds From Nowheresville" deshalb so lange gebraucht, weil die Band einfach mal einen ganzen Haufen Songs verworfen hat, weil sie "nicht funktioniert" haben. Und so grandios wie das Ergebnis der kritischen Auswahl war auch das Konzert. Wer lange aushält, bekommt also auch ein grandioses Ergebnis - und außerdem lebt eine Band ja im Idealfall nicht für die Fans, sondern mit den Fans.