Diesen Monat habe ich meine Ausbildung bei Smartlite begonnen, einem Veranstaltungstechnikdienstleister, der unter anderem Technik für Ü30-Partys, die Cranger Kirmes und das Open Flair-Festival stellt und betreut. So bekam ich kurzfristig die Gelegenheit kostenlos zum Open Flair zu fahren und dort ab Sonntagabend den Technikabbau zu unterstützen.
Irgendwie hatte ich das Open Flair ziemlich kontrastreich in Erinnerung. Grandiose Konzerte auf der einen Seite, darunter das letzte wirklich gute Wir sind Helden-Konzert, und einige organisatorische Pannen und einen sumpfigen Parkplatz auf der anderen Seite. Diesmal war alles etwas entspannter. Wir (meine Schwester und ich) sind erst am Freitag angereist und haben dann, nachdem wir die merkwürdige Führung zu den Parkplätzen verstanden hatten, auch einen gescheiten Parkplatz und einen guten Zeltplatz bekommen.
Letzterer lag quasi am Weg zur Seebühne (der Open Air-Bühne, die nicht auf dem Hauptgelände, sondern näher am Campinggelände liegt) auf einem Ersatzzeltplatz, auf dem nach uns tatsächlich niemand mehr angereist ist, so dass wir nicht nur viel Platz für uns, sondern auch eine freie Fläche hatten. Die hätte man super für Flunkyball nutzen können - wenn denn anständige Festivalcamper da gewesen wären! Aber aus irgendwelchen Gründen war das Durchschnittsalter auf unserem Platz ziemlich hoch und wurde nur durch die Kinder der anwesenden Familien gesenkt. So war es zwar nachts schön ruhig zum Schlafen, aber tagsüber war tote Hose.
Naja. Nachdem wir auf mysteriöse Weise Zeit bei der Anreise verloren hatten und dann noch mehr Zeit verloren, weil die Ticketübergabe meiner Schwester aufgrund des schlechten Mobilfunknetzes so lange dauerte, hörten wir Skindred leider nur und sahen dann Madsen als erste Band. Die waren grandios wie immer und als Zugabe gab's noch ein kurzes Cover von Alex Clares "Too Close", was wohl jeder Festivalbesucher und Radiohörer schonmal gehört hat. Schöne Sache, obwohl die Musikrichtung ja völlig anders ist als sonst bei Madsen.
Aufgewärmt ging's dann direkt zur Seebühne, um dort 5BUGS zu sehen. Da war, wie überhaupt während des gesamten Festivals, ziemlich wenig los, die Stimmung aber kein bisschen schlechter. Überhaupt haben mich 5BUGS ziemlich überzeugt, fast noch mehr als Madsen, vielleicht auch, weil sie viele gute Songs dabei hatten die ich noch nicht kannte.
Da eh nix los war, konnten wir in der Umbaupause zum Zelt laufen und uns vor Fiva noch etwas ausruhen. Zu Fiva und dem Phantom-Orchester würde die Beschreibung "grandios wie immer" auch passen - aber auch wenn ich sie schon so oft gesehen habe wie Madsen, verteilen sich die vier Konzerte nur auf zwei Monate und nicht auf drei Jahre. Es war wieder ein neuer Kontrabassist dabei und es gab ein paar kleinere Verspieler oder Aussetzer, aber die Atmosphäre war großartig und das Konzert insgesamt so gut, dass sich niemand daran gestört hat, so es denn den Leuten überhaupt aufgefallen ist.
Nach einer Esspause, bei der wir eine Gaskartusche versehentlich turboentleerten, ging's dann noch zu Samy Deluxe (mit Tsunami-Band). Nicht ganz so klischeefreier Hip-Hop wie bei Fiva, aber dennoch hörenswert. Und im Gegensatz zum Deichbrand, wo wegen der beschädigten Bühne und der Bauarbeiten die erste Welle gesperrt war konnten wir diesmal weit vorne sein und der Sound war auch gut.
In der Nacht war es wie schon erwähnt sehr ruhig. Keine Generatoren, keine laute Musik, nichtmal sich unterhaltende Nachbarn am Grill unterm Pavillon. Tote Hose, aber erholsam. Den Samstag ließen wir dann auch ganz entspannt angehen und fuhren erstmal zum Edeka um uns fürs Frühstück einzudecken. Das hat das Open Flair wirklich quasi allen Festivals voraus - ein Supermarkt in fußläufiger Reichweite ist unschlagbar praktisch. Zusätzlich gab es diesmal sogar einen gut sortierten Zelt-Supermarkt vor dem Campinggelände, wo es sogar Obst und Gemüse zu kaufen gab (neben allem was man sonst so braucht).
Konzerte gingen dann los mit Sondaschule, die wir vor zwei Jahren auf der Seebühne am Donnerstag Abend gesehen hatten und die nun auf der großen HR3-Bühne spielten. Großartiges Konzert und reichlich Party. Sondaschule sind auch einfach eine coole Liveband. Ebenso wie Zebrahead, die einfach immer einen Besuch wert sind, weil da immer der Bär steppt. Für meine Schwester stand dann Jennifer Rostock an, die hatte ich beim Hurricane schon gesehen, also ging's zu Captain Capa, die ich bei Bochum Total wegen meines Ausflugs zu TEN SING Bad Essen nicht sehen konnte.
Captain Capa sind bei Audiolith unter Vertrag, dem Hamburger Label, bei dem auch Supershirt, Frittenbude und Egotronic sind, und bisher haben alle Bands dieses Labels meinen Geschmack getroffen. Captain Capa gehen in Richtung Tekkno oder, wie Intro mal schrieb, "Hochgeschwindigkeitspop". Wie zuvor schon bei Fiva ging's mit wirklich wenigen Zuschauern los und füllte sich dann, als mehr Leute merkten, dass ein guter Beat und ein paar geschickt platzierte Effekte zum Tanzen reichen. Sympathisch und spontan präsentierten sich die beiden und für mich war das Konzert definitiv ein Highlight. Bei Jennifer Rostock wurde dieweil bei beiden Geschlechtern blank gezogen, was die anwesenden Familien mit kleineren Kindern wohl etwas verstörte...
Ohne Unterbrechung ging's dann weiter zu J.B.O., die gerade auf der kleinen Freibühne spielten und genau das waren, was ich erwartet hatte: Zehn Minuten lustig, dann irrelevant und nervig. "Im Gegensatz zu Bayern München hat der nächste Song einen Titel!" - Sprüche wie die kann man sich mal anhören, muss man aber nicht. Dann lieber die Broilers, die zwar anfangs Probleme mit ihrem Bass hatten, spätestens danach aber eine gute Show hinlegten. Viel besser war aber noch das Publikum - wir waren ziemlich weit vorne, wo die Leute noch sehr locker standen, aber kaum erklangen die ersten Akkorde, kamen von hinten Leute angerannt, schubsten uns zur Seite und ein tobender Moshpit entstand, der sich bis Konzertende kaum beruhigte.
Die im Plan eingezeichnete Platzaktion fiel wohl irgendwie aus, jedenfalls bemerkten wir nix und die nächste Band spielte auch schon, also war's wieder Zeit für's Abendessen (gute Ravioli!) und danach auf zu Egotronic, die genauso betrunken, aber auch genauso gut waren wie schon beim Deichbrand (diesmal ohne technische Unfälle - eigentlich unnötig zu erwähnen, dass auch diese Deichbrand-Panne hier ausblieb). Viele bekannte Songs wurden wieder gespielt, das Set war aber insgesamt etwas anders und unter anderem gab es ein Cover von einem Saalschutz-Song (noch eine Audiolith-Band), der auf Supershirts "8000 Mark" verweist. Netter Zusammenhang. Außerdem lernten wir, dass das Beste, was man nach einer gescheiterten Beziehung tun kann, ist, ein Nazischiff zu versenken, und es war "verhunze fremde Popsongs"-Tag und auch "Zu spät" von den Ärzten blieb nicht verschont.
Nachdem sich dann anschließend herausstellte, dass The Baseballs zwar ähnliche Musik machen wie Dick Brave & The Backbeats, dabei aber nicht halb so gut sind, ging's zurück zur Seebühne und - Überraschung - das Gerücht, das vorher umging, stellte sich als offiziell heraus: Sondaschule spielten nochmal, da Timid Tiger absagen mussten! Mehr als die Hälfte der Songs des Sets wurde ausgetauscht und viele der Zuschauer vom Mittag waren auch nachts um halb eins wieder anwesend. Ein perfekter Abschluss für den Samstag, auch wenn es schade um Timid Tiger war.
Am Sonntag begannen wir den Tag noch später. Das Zelt heizte sich in der Sonne unglaublich auf und so schälten wir uns eigentlich nur aus den Schlafsäcken, um nicht zu schmelzen. Die ersten Bands die spielten kannten wir eh nicht und bei der Hitze waren wir auch recht unmotiviert einfach hinzugehen. Also erstmal schön Festivalfrühstück mit Erdbeerwodka und schonmal Gepäck zum Auto bringen.
Zu Das Pack mussten wir dann aber hin, immerhin spielten die direkt vor Monsters of Liedermaching und einer der Monsters ist auch bei Das Pack. Im letzten Jahr hatte er sich mit nem Schlauchboot auf die gegenüberliegende Bühne tragen lassen. Wir schafften es auch tatsächlich mal pünktlich und bekamen eine ordentliche Portion Pferdeäpfel niveaulosen, aber lustigen Rock. Anschließend kamen die restlichen Monsters auf die Bühne und ließen sich alle in Schlauchbooten rübertragen - und hielten dabei Schilder hoch: "Schlauchboot? Schon wieder?!".
Nachdem das unter großem Gejohle mehr oder weniger klappte, gab's auf der großen Bühne auch die Erklärung dazu: Eigentlich wollte sich die Band diesmal in großen Glaskugeln tragen lassen - aber es gab schlicht keine! Hätten sie mal Deichkind gefragt, die sind schließlich Meister in schrägen Bühnenshows mit den unmöglichsten Utensilien. Das Monsters-Konzert war dann, wie nicht anders zu erwarten, wieder höchst genial. Wir machten vier Refrains lang Sitzpogo und wurden so still, dass man das Xylophon bei "so einem sauguten Refrain" unverstärkt hören konnte.
Da ich ab 19:15 Uhr für den Abbau am Kleinkunstzelt eingeteilt war, machte ich noch ein Nickerchen und ging das Zelt anschließend suchen. Es lag etwas außerhalb im wunderschönen Schlosspark, wo auch das Weinzelt stand. Als ich ankam, war das Liveprogramm auch bereits zu Ende und so ging es direkt los: Kabel einsammeln, unter der Tribühne herkriechen, Molton abnehmen und verpacken, Traversen und Bühne abbauen und andere Utensilien verpacken und dann den LKW beladen. Insgesamt alles ziemlich entspannt und da wir von den Technikern her schon ziemlich viele waren und dazu noch ehrenamtliche Helfer vom Open Flair dabei hatten, ging es auch sehr schnell, so dass wir noch während Kraftklub (21:30 Uhr) zurück zum Hauptgelände liefen.
Dort angekommen wurde noch fix ein LKW fertig beladen und dann durften wir uns Korn ansehen. Leider ließen uns die Securitys nicht auf den FOH-Turm, aber das Publikum stand eh sehr locker, so dass wir erst in der zweiten und später sogar ganz vorne in der ersten Welle standen und feierten. Ich kannte von Korn vorher nur "Word Up" und das mit Skrillex entstandene "Get Up", aber was sie live spielten, überzeugte mich ebenfalls. Außerdem gab es "Another Brick In The Wall" in der vollständigen Version inklusive epischem Gitarrensolo, eigenem eingebauten Schlagzeugsolo und einem absolut schaurigen "Goodbye, Cruel World", an dessen Ende der Sänger nur noch "Goodbye!" ins Mikro keifte und von der Bühne ging. Hätte es statt Zugaben Suizid gegeben, es wäre ein passender Abgang gewesen.
Nachdem anschließend das Publikum weg war, ging's dann an den Abbau der großen Bühne und des FOH-Turms, denn die kleine Freibühne wurde schon während Korn abgebaut. Schwere Kisten wurden mit Radlader von oben herunter transportiert und unter der Bühne wurde sichtbar, wie staubig das Gelände gewesen wäre, hätten die großartigen Securitys nicht immer wieder Wasser über die staubigen Flächen gespritzt. Wir bauten Kabel ab, die pro Stück eine Kiste füllen, die größer ist als ein großer Umzugskarton und zu zweit getragen werden sollten, und liefen über die Bühne, auf der in den letzten Tagen außer Korn auch die Beatsteaks, Madsen und viele andere gespielt hatten.
Viele, viele Scheinwerfer, unendlich viele Kabel und dutzende Meter Traversen später war gegen fünf Uhr morgens tatsächlich schon alles abgebaut. Dankbarerweise ist für die Bühne an sich - also das Hauptgestänge, an dem wir unsere Technik aufgehängt hatten, und das Podest - eine andere Firma zuständig. So ging's dann zurück nach Kamen und morgens um sieben war ich schon wieder in Dortmund auf dem Weg nach Hause, müde, aber bis dahin ohne Energydrinks konsumiert zu haben, und an einigen Erfahrungen reicher.
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