Artikel von

Christian


Metric - "Art of Doubt"-Tour Berlin 2018

In meinem Kopf hatte sich dieses Jahr ein Monat ganz besonders eingenistet - der Konzertnovember. Nachdem ich gefühlt zu lange nicht mehr auf Konzerten war, hatte sich der November ganz mühelos gefüllt. Tatsächlich begann die Reihe jedoch schon am 31. Oktober, und während mir klar war, dass dort in Sachsen Reformationstag gefeiert wird, hatte ich völlig vergessen, dass am 31.10. auch Halloween ist. Nun wird in Berlin, wo das Konzert stattfinden sollte, weder Reformationstag noch Allerheiligen gefeiert, Halloween aber sehr wohl. So besorgte ich in Berlin im Auftrag meines dortigen Gastgebers erst einmal eine halbe Rucksackladung Süßkram für eventuell aufkreuzende Kinder. Spoiler: Es kamen keine. Einziges Zeichen von Halloween waren blutige Gestalten in der Tram.

Für das Konzert von Metric war das natürlich alles völlig irrelevant. In einer überraschend kleinen Location, dem ehemaligen Kesselhaus der Kulturbrauerei, wurde der Abend von einer dreiköpfigen Vorband, deren Frontmann offenbar ein alter Freund von Emily, der Metric-Sängerin, ist, eröffnet. Da sich die Band jedoch nicht vorstellte und auch ansonsten bloß nette Beigabe war, werden sie hier keine weitere Beachtung finden.

Viel interessanter war das Metric-typisch wild gemischte Publikum. Zunächst einmal war der Altersdurchschnitt auffallend hoch - vergleichen mit meinen anderen Konzerten natürlich. Gehöre ich mich mit meinen 28 sonst oft schon zum älteren Drittel, war dies bei Metric definitiv nicht der Fall. Dann gab es da Menschen, die sich erstmal erklären ließen, was denn ein Moshpit sei, und ob es eigentlich noch dunkel werden würde in der Halle. Jemand anders spendierte mir ein Bier, im Gegenzug hörte ich mir seine abstrusen Geschichten an (angeblich werden millionenschwere Headliner bei deutschen Festivals in Bar bezahlt). Geschenkt - getanzt haben sie am Ende alle.

Wie könnte man auch nicht! Ich hatte das neue Album "Art of Doubt" als "gut" abgestempelt, aber nach mehrmaligem Hören gehört es eher in die Kategorie "großartig". Nicht, dass das Konzert nur aus neuen Songs bestanden hätte - ganz alte Kracher wie "Dead Disco", das schräge "Monster Hospital" oder die düstere Ballade "Artificial Nocturne" kamen ebenso vor wie die helleren Songs von Fantasies: "Youth Without Youth", "Gimme Sympathy" oder "Sick Muse", um nur einige zu nennen. Und darunter, an den passenden Stellen eingefügt, eben auch die neuen, bühnentauglichen Songs, wie das ausgesprochen tanzbare "Now or Never Now" oder mein Liebling "Dressed to Suppress", das mit seinen bösen Gitarrenriffs die Halle zum Vibrieren brachte.

Überhaupt machen Metric live nochmal mehr Spaß als zuhause. Der Bassist lebt "Badass" einfach - breitbeinig, Lederhose, wenig Bewegung, aber ein Gesichtsausdruck, der einfach nur "Yeah" sagt. Der Gitarrist holt mit Picking und Verzerrer ebenso böse Soundteppiche aus seiner Gitarre wie mit dicken Akkorden und der Schlagzeuger wird nicht müde, in die treibenden Grundrhythmen verspielte Fills zu basteln. Zu der fantastischen Soundkulisse dann Geschichten authentisch vorgetragen von Frontfrau Emily Haines - einfach ein fantastischer Abend.

Abgeschlossen wurde der Abend traditionell mit einem erstaunlich ruhig vorgetragenen "Help, I'm Alive", das der Band immer noch viel bedeutet und das Publikum wie schon beim letzten Mal in seinen Bann zog. Danach verließen wir die Halle einfach glücklich - mit einem Metric-Konzert hat man auch ohne auslaugende Pogos einfach einen schönen Abend.



Musik-Neuentdeckungen 07/2018 und 08/2018

Wie jeden Monat stelle ich hier die Lieder vor, die ich neu entdeckt habe - weil ich sie zu schätzen gelernt habe, weil sie nach langer Zeit wieder aufgetaucht sind oder weil sie einfach neu sind. Radio, Konzerte, Festivals und Empfehlungen von Freunden und Bloggern bringen immer wieder frischen Wind in meine Sammlung und die hier ausgewählten Titel, oft auch andere Titel der Band, möchte ich als Empfehlung an euch weitergeben. Aufgrund der schwierigen Lage in Deutschland gibt es meistens keine Links, aber über Google, Spotify & Co findet sich alles.

Da ich ein kleines Skript geschrieben habe, das aus meinen last.fm-Statistiken alle Songs raussucht, die ich neu entdeckt habe, werde ich mich hier zukünftig wieder etwas mehr auf die Hits beschränken - ein vollständigeres Logbuch erzeugt mir mein Computer nun automatisch. So kann ich also ruhigen Gewissens sagen: Alle Songs in diesem Blogpost treffen genau meinen Geschmack und werden von mir wärmstens empfohlen.

Fall Out Boy - My Songs Know What You Did In The Dark
Was für eine Hymne! 1a Rockmusik mit energetischem Chor. Muss man nicht beschreiben, muss man anhören.
Meute - The Man With The Red Face (Laurent Garnier Rework)
Es hat einen langen Titel, also muss es elektronische Musik sein (oder von Panic! At The Disco). Meute überarbeiten elektronische Musik anderer Künstler und nehmen sie mit echten Instrumenten, vor allem echten Bläsern, und in eigener Fassung neu auf. Das Ergebnis klingt nicht nur gut, es ist auch sehr tanzbar.
Sigrid - Strangers
Apropos tanzbar: Meine Entdeckung des Jahres! Was für ein Hammer-Popsong. Und was für eine Energie diese Frau ausstrahlt. Von Sigrid gibt es noch gar nicht so viele Veröffentlichungen, aber ich bin jetzt schon ein großer Fan. Sie beherrscht gleichzeitig die große Kunst der Popmusik, massenkompatible, tanzbare Songs zu erschaffen, die aus nahezu nichts bestehen, und schafft doch auch wunderbare Harmonien und großartigen, ungewöhnlichen Gesang. Außerdem gibt es zahlreiche Versionen ihrer Lieder - und ausnahmsweise gefallen sie mir sowohl akustisch als auch elektronisch. Erwähnte ich, dass sie obendrein unfassbar sympathisch und authentisch ist? Ich bin hin und weg.
Maximo Park - Our Velocity
Maximo Park gibt es schon ziemlich lange und da sie immer gehypet wurden, freute ich mich schon auf ihren Auftritt beim Highfield-Festival, bevor ich überhaupt wusste, was sie für Musik machen. Überraschung: Richtig gute! Indiemukke mit kräftig Synthesizer, total großartig.
Thunderpussy - Torpedo Love
Thunderpussy haben das Highfield am Samstag eröffnet und hey, sie waren eine der besten Bands an dem Tag. Einfach eine gute Rockband, der man eine Chance geben sollte.
Red Hot Chili Peppers - Dark Necessities
Ich liebe meine drei RHCP-Alben so sehr, dass ich glatt vergaß, dass sie ja noch mehr haben. The Getaway zum Beispiel, von dem dieser fantastische Song stammt. Stimmungsaufbauendes Intro, zack die Bassline knallt und melodischer Chorus. Mehr!


Vermeintliche Kindergeld-Abzocke ist keine

Zahlreiche Artikel verschiedenster Medien befassten sich mit einer Zahl, die das Bundesfinanzministerium veröffentlichte: Es gibt 268.336 Kindergeldempfänger, die nicht in Deutschland leben. Das ist an sich schon unvollständig. Korrekterweise müsste es heißen: Im Juni 2018 zahlte der Bund Kindergeld für 268.336 Kinder, die in der EU oder im europäischen Wirtschaftsraum leben, jedoch außerhalb von Deutschland.

Interessant daran sind offenbar zwei Dinge. Erstens ist diese Zahl größer als Ende 2017, wo sie bereits größer war als 2016. Zweitens hat offenbar der Duisburger Oberbürgermeister die Theorie aufgestellt, dass es Menschen mit krimineller Energie gäbe, die nach Deutschland kämen, um hier das Kindergeld für ihre im Ausland gebliebenen Kinder zu erhalten.

So eine Theorie klingt natürlich dramatisch. Dabei wird zunächst einmal unterschlagen, dass auch die Menschen, auf die der Duisburger Oberbürgermeister sich bezieht, ein gesetzliches Recht auf dieses Kindergeld haben, da sie in Deutschland arbeiten. Das ist logisch, denn sie müssen ja auch eine Wohnung bezahlen - ohne Wohnsitz und Arbeitsplatz in Deutschland gibt es das Kindergeld gar nicht. Diese Menschen zahlen also auch Sozialabgaben und Steuern in Deutschland. Sie sind also schonmal keine Schmarotzer.

Außerdem ist es keineswegs so, dass es eine große Masse von Menschen wäre, die Kindergeld für Kinder im Ausland erhalten. 2016 waren es 2,6% der Gesamtheit der Kindergeldempfänger.

Diskutieren kann man bei dem Thema möglicherweise über die Höhe des Kindergeldes: Steuern und Sozialabgaben richten sich nach der Höhe des Lohns, dadurch ist beides auf deutschem Niveau. Wonach sollte sich die Höhe des Kindergeldes richten, wenn die Kinder sich nicht in Deutschland befinden? Es ist nicht abzustreiten, dass die Lebenshaltungskosten für Kinder in manchen europäischen Ländern niedriger sind als in Deutschland. Wer jedoch auf dieser Basis eine Kürzung des Kindergeldes in manchen Fällen fordert, muss sich auch die Gegenfrage gefallen lassen, wieso dann trotzdem der volle Steuersatz gezahlt werden sollte - denn schließlich wird vom Bund gezahltes Kindergeld von denjenigen finanziert, die in Deutschland Steuern zahlen. Also auch von EU-Bürgern mit Kindern im EU-Ausland.

Quellen: Spiegel, Statistisches Bundesamt


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Icon For Hire - Konzert mit Herztrigger

Eigentlich recht unüberlegt und spontan kaufte ich Anfang des Jahres eine Karte für Icon For Hire, die im Mai in Berlin spielen würden. Ich hatte sie vor ein paar Jahren mal gesehen, war da sehr begeistert und ohne, dass mir klar ist wieso, waren sie später wieder in den Hintergrund gerückt. Das aktuelle Album jedoch begeisterte mich auf Anhieb, der Sound war exakt das, was ich zurzeit höre, stark elektronisch beeinflusste Rockmusik. Außerdem waren die Tickets günstig.

Bis zum Konzert beschäftigte ich mich dann auch gar nicht weiter mit der Band, entsprechend hatte ich kaum Erwartungen. Ich kam minimal zu spät zur Vorband, Riot Child spielten gerade ihren ersten Song. Selten habe ich so eine gute Vorband erlebt! Die beiden Schwedinnen waren offensichtlich ehrlich begeistert, endlich mal vor ein paar hundert Leuten spielen zu können, und knallten uns einen wütenden, energetischen Song nach dem anderen um die Ohren. Eine wirklich gute Band, die wirklich gut zu Icon For Hire passte.

Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, wie sehr Icon For Hire selbst dann reinhauen würden! Das Konzert eröffnete mit Pulse, zack brannte die Hütte. Unfassbar treibender Beat, perfekte Steigerungen und Breakdowns um gleich am Anfang einzuheizen und diese Frontfrau! Ich habe schon einige gute Bands gesehen, aber diese Energie, mit der sie ihre Songs auf die Bühne bringt, ist unfassbar. Dazu kam, und das steigerte das gesamte Konzert nochmal deutlich, dass der Raum offenbar voller Fans war, alle von der ersten Sekunde total gepackt, textsicher, laut, emotional.

Die ersten vier Songs waren allesamt laut und wütend. Ich hatte mich mit den Texten nicht sonderlich beschäftigt und im Nachhinein bin ich vermutlich auch nicht unbedingt Teil der Hauptzielgruppe, aber mit den Emotionen dahinter kann ich mich allemal identifizieren. Die Menschen um mich herum ebenfalls. Rebellion! Wir kochten und waren gleichzeitig unheimlich aufgewühlt. Wir stellten die Frage, was aus uns werden soll, wenn alles, worauf wir unsere Identität aufgebaut hatten, zerbricht. Wir legten uns mit Leuten an, die mit unserem Lebensstil nicht einverstanden sind. Wir bekamen fürchterlich böse E-Gitarren- und Synthesizer-Riffs in die Ohren geknallt, headbangten so hart, dass unsere Haare zur Waffe wurden und schrien uns die Stimmbänder wund. Too Loud sei an dieser Stelle empfohlen. Gleichzeitig wütend und aufbauend. Großartig.

Mit dem fünften Song, Under The Knife, ging es tiefer in die emotionale Ebene. In diesem Block gab es auch eine kurze Lesung; Sängerin Ariel ist auch Autorin eines Buches, in dem sie ihre persönliche Geschichte mit Depressionen, Frustration und Niederlagen aufgeschrieben hat und wie von dort, trotz aller Rückschläge, nicht nur zur erfolgreichen Künstlerin, sondern zur geistig gesunden erfolgreichen Künstlerin wurde. Ein wichtiger Unterschied, und ein sehr ergreifender Moment.

Icon For Hire-Konzerte sind wirklich geprägt von einer fantastischen Dramaturgie. Wichtiger Punkt: Die Leute niemals am Boden lassen. Also erneut Aufbruchstimmung mit Iodine und anschließend Hope of Morning. Viel Hoffnung, aber auch viel Leid, und wenn du einmal am Boden warst, ist der Weg zurück nicht einfach. In diesem aufgewühlten Zustand erinnerten Band und Zuschauer sich gemeinsam: Depressionen haben auch einen der erfolgreichsten Musiker der Welt das Leben gekostet, Chester Bennington, Sänger von Linkin Park. Nie war ich schneller bereit und konsequenter dabei, meine Handy-Taschenlampe leuchten zu lassen und lautstark Numb mitzusingen, bis mir die Tränen kamen und die Stimmbänder rebellierten. So ein großartiger Song mit einem so finsteren Hintergrund... nicht ohne Grund fast eine Milliarde Mal abgespielt allein auf Youtube.

Ich bin wirklich nicht leicht zu Tränen gerührt, aber in dem Moment war es aus mit mir. Gut, dass wir erneut nicht allein gelassen wurden - es folgte You Can't Kill Us, die ultimative Kampfansage und ein fantastisches Mantra für ein Konzert. Wäre jemand jetzt erst dazu gekommen, wir hätten vermutlich wie ein seltsamer Kult gewirkt. Ich habe noch nie erlebt, dass ein ganzer Saal ausnahmslos so mitgerissen war, so fokussiert, so frei von jeglicher Ablenkung. Gelegenheit, die Faust zu ballen? Alle ballen die Faust. Gelegenheit, Lichter zu schwenken? Alle schwenken Lichter, keiner filmt.

Den Rest des Konzertes rissen wir mit der neu gewonnenen Energie den Saal ab: Ein weiteres Cover, Jump Around, dann Make A Move und in den Zugaben Get Well und Demons. Trotz aller Emotionalität war mein Gehirn unfassbar frei, war ich entspannt, trotzdem energiegeladen, und unheimlich glücklich. Ich hatte gerade nicht nur das vielleicht bisher beste Konzert meines Lebens erlebt, sondern auch Hoffnung und Energie geschöpft für gefühlt alles.


Glasklare Sache, dass ich mir das direkt nochmal geben musste. Vier Tage später spielten Icon For Hire in Prag, was quasi genauso weit weg ist wie Berlin. Ich vereinbarte über Facebook auf Englisch mit einer Prager Schülerin, dass ich ihr am Tag des Konzertes ihre Karte abkaufen würde, da sie nicht gehen konnte. Ich buchte ein Hostel und Zugverbindungen und traf sie am frühen Nachmittag auf einem großen Platz in der Innenstadt. Nach etwas Stadterkundung ging es abends in den Keller einer Bar zum Konzert.

Nun kannte ich die Dramaturgie natürlich und tatsächlich war das Konzert nahezu exakt identisch mit dem in Berlin, jedoch schien auch das zu passen: Die Zuschauer in Prag waren wesentlich mehr körperlich aktiv. Auch sie waren extrem fit mit den Texten (ich inzwischen auch) und sangen sich die Kehle aus dem Leib, jedoch war hier von Anfang an auch viel mehr Bewegung in der Menge. Hatte mir das Mitwippen und Headbangen in Berlin ermöglicht, mich sehr auf die Musik einzulassen, war in Prag Moshpit angesagt. Bei jedem lauten Song. Sofort. Die ganze Zeit. Es war außerdem irrsinnig laut, der Sound auch gar nicht mal so gut, so dass es ebenfalls ein sehr intensives Konzert wurde, jedoch ganz anders. Ich hätte noch nie so gerne eine kalte Bierdusche bekommen wie in dieser Nacht. Am Ende des Konzertes in Prag war ich ähnlich glücklich, jedoch auch körperlich völlig fertig. Fantastisch!

Ein weiterer Grund, warum ich nach Prag fahren wollte, war, dass ich in Berlin versäumt hatte, Merchandise zu erwerben. Die Band verkauft ihr aktuelles Album nur selbst, außerdem haben sie geile T-Shirts. Ich hatte noch relativ viel tschechisches Bargeld übrig, außerdem ließ der Merch-Verkäufer, der mich am Akzent erkannte und fortan Deutsch mit mir sprach, mit sich handeln, so erwarb ich für 1000 Kronen (ca. 45€) die CD, ein T-Shirt und auch das Buch. Yeah! Glücklich und zufrieden ging es zurück zum Hostel. Die abartig frühe Rückfahrt schon wenige Stunden später war es auf jeden Fall wert. Und wenn ihr mit der Musik auch nur halbwegs etwas anfangen könnt - gebt euch eines dieser Konzerte. Ihr werdet es nicht bereuen, und vielleicht werdet ihr auch Teil einer neuen Community dadurch.


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Statement gegen Zweiklassengesellschaft... teilweise.

Statistischer Wohlstand hin oder her, gefühlt haben sich noch nie so viele Menschen über eine Zweiklassengesellschaft in Deutschland beschwert wie im Moment, zumindest nicht zu meinen Lebzeiten. Während größere Aspekte wie ungerechte Bezahlung mancher Berufsfelder oder Lücken im Sozialsystem große Probleme erfordern, für die mir definitiv Kompetenzen fehlen, ärgert mich gelegentlich auch etwas ganz anderes: Es scheint immer noch okay zu sein, sich besser zu fühlen, wenn man mehr Geld hat. Das ist ein Problem, welches durch Verhalten von Individuen ausgelöst wird und dazu kann man schon eher mal was sagen.

Ich schrieb letztens auf Twitter:

Ich diskutiere manchmal mit Menschen über 1. / 2. Klasse im Zug und über Privatpatienten-Privilegien. Werde dann gefragt warum ich gegen beides bin. Ganz einfach: Erkauf dir soviel Besitz wie du willst, aber bei allem, was du und ich teilen, sollte Gleichberechtigung herrschen.

Das fasst es schon sehr gut zusammen. Die meisten Menschen, die ich treffe, die offensichtlich wohlhabender sind als ich, können da vermutlich nicht direkt etwas für. Sie haben Karriere gemacht, sind besser ausgebildet, arbeiten in einem prinzipiell besser bezahlten Beruf oder vielleicht profitieren sie auch einfach von irgendeinem unfairen System. Nichts von alledem ist prinzipiell verwerflich, und dafür, dass es Studenten finanziell im Allgemeinen scheiße geht, können diese Menschen vermutlich auch nichts. Sollen sie also mit ihrem Geld machen, was sie für richtig halten.

Aber.

Ich erwarte keine Almosen von Menschen, die mehr Geld haben als ich, so schlecht geht es mir zum Glück nicht. Ich erwarte aber Respekt. Die ganze Geschichte funktioniert nämlich auch andersherum: Vielleicht hat mein Gegenüber gar nichts dafür tun müssen, mehr Geld zu haben. Vor allem aber ist es nicht meine Schuld, dass ich permanent pleite bin. Es ist großartig, dass Studieren in Deutschland kostenlos ist, trotzdem ist es eine enorme Herausforderung, die trotzdem anfallenden Ausgaben zu bewältigen. Chancen, Reichtum anzuhäufen, bestehen da nahezu nie, und auch alles an Sonderrechten für Studenten beschränkt sich, sofern überhaupt vorhanden, auf die Ermöglichung der reinen Existenz.

Trotzdem muss ich manchmal zum Arzt, und trotzdem will ich natürlich ab und zu meine Freunde sehen, auch wenn die weit weg wohnen. Dabei möchte ich gerne mit dem Zug reisen, damit es nicht absurd langsam oder absurd umweltschädigend ist, und ich würde dabei gerne keine Rückenschmerzen bekommen und auch nicht stehen müssen. Wer also über entsprechend Geld verfügt, darf sich gerne eine Villa bauen und mit einem dicken Auto durch die Gegend fahren, aber wenn wir beide Zug fahren, haben wir das gleiche im Sinn, nämlich bequem von A nach B kommen und uns dabei vielleicht etwas entspannen. Darauf hat keiner von uns beiden ein größeres Anrecht - nicht aufgrund des Geldes.

Ich räume gerne einen Platz nah am Eingang für jemanden, der schlecht laufen kann. Ich bin auch bereit, meinen Platz am Tisch jemandem zu überlassen, der unterwegs arbeiten muss, weil er einen stressigen Job hat. Ich werde allerdings sicher nicht einen beliebigen Platz räumen, weil die Bahn sich gedacht hat, sie müsse ein paar Sitzplätze für gut zahlende Kunden reservieren. Und vor allem finde ich es absurd, in rappelvollen Regionalzügen (und auch weniger vollen Fernzügen) einen Bereich für Erste-Klasse-Kunden freizuhalten, falls sich denn mal ein solcher dorthin verirrt. Das hiesige Zugsystem ist grundlegende Infrastruktur und sollte für jeden gut funktionieren - es ist keine luxuriöse Dienstleistung für Wohlhabende.

Aus ähnlichen Gründen stört mich auch das Privatpatienten-System in der medizinischen Versorgung. Darauf möchte ich nun nicht auch noch eingehen, da es sich doch deutlich komplexer verhält (andere Abrechnungsarten, Personen, die zwangsweise privatversichert sind usw.), jedoch sollte auch hier aus den gleichen Gründen wie oben gelten: Medizinische Versorgung steht jedem zu. Wenn ich das Pech habe, in einer Stadt mit schlechter Arztabdeckung zu leben, oder einen speziellen Facharzt benötige, ist es unfair, wenn meine finanzielle Situation meine Chancen auf eine gute Behandlung noch weiter verschlechtert.

Also... jedem seinen Wohlstand, aber nicht, wenn wir uns dabei in die Quere kommen.


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Plastikverpackungen bei Kaufland, Fortsetzung

Kaufland hatte mir tatsächlich schon am nächsten Tag auf meine Mail geantwortet:

Wir können Ihnen versichern, dass wir bei der Verpackungsgestaltung generell möglichst umweltfreundliche sowie gesundheitsverträgliche Verpackungsmaterialien nutzen und auf deren Wiederverwertbarkeit achten.

Neben Produkten in kompostierbaren Kunststoffverpackungen finden Sie zudem Produkte in umweltschonenden Verpackungen, wie beispielsweise FSC-zertifizierte Getränkekartons und Faltschachteln. Im Drogeriebereich bieten wir unseren Kunden zum Beispiel zahlreiche Produkte in Nachfüllpackungen. Auch bei der Gestaltung unseres Getränkesortiments setzen wir bewusst auf Mehrwegflaschen. Hier verfügen wir im deutschen Handel über eines der größten Sortimente im Glasbereich. Wir sind stetig darum bemüht, das Verpackungsmaterial insbesondere Plastik soweit wie möglich zu reduzieren. Aber auch ökologischer Mehrwert und Nutzen für den Kunden sind abzuwägen.

Die Mehrzahl unseres Obst- und Gemüsesortiments wird schon heute ohne Vor- und Umverpackung angeboten.

Leider ist es jedoch bei vielen Produkten nicht möglich, auf den Einsatz von Verpackungsmaterial bzw. Kunststoffverpackungen zu verzichten, weil dadurch oftmals die Anforderungen bezüglich Sicherheit und Hygiene des verpackten Produktes nicht gewährleistet werden können. Zum Beispiel werden unsere Bio-und Fairtrade-Produkte im Obst- und Gemüsebereich vorverpackt angeboten, um sicherzustellen, dass unsere Kunden diese Ware eindeutig von konventioneller Ware unterscheiden können und keine Vermischung stattfindet. Die etikettierte Ware ist bereits abgewogen und bietet den Vorteil der genauen Rückverfolgbarkeit. Darüber hinaus werden bei bestimmten Artikeln Einzelverpackungen je nach Saison notwendig, um den Schutz und die Frische der Ware zu gewährleisten.

Da das natürlich etwas mau ist, habe ich nochmal nachgebohrt, darauf jedoch leider bisher keine Antwort erhalten. Allerdings fiel mir bei meinem nächsten Einkauf auf, dass tatsächlich an den Verpackungen gearbeitet wird, denn neuerdings gibt es Bio-Bananen ohne Plastik-Umverpackung.

Hier noch meine zweite Mail:

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für Ihre Antwort. Mir ist bewusst, dass Kaufland in vielen Bereichen bereits Vorbild in Sachen Plastikvermeidung ist. Doch was wären wir ohne ständigen Drang zur Verbesserung?

Sie schreiben, dass Bio- und Fairtrade-Produkte verpackt angeboten werden, um sie von konventionellen Produkten unterscheiden zu können und Vermischung zu vermeiden. Wäre es nicht naheliegend, dann stattdessen die konventionellen Produkte zu verpacken? Sicher gibt es eine große Schnittmenge zwischen Kunden, die Bio- und Fairtrade-Produkte kaufen und Kunden, die unverpackte Produkte bevorzugen.

Außerdem interessiert mich der Aspekt der Rückverfolgbarkeit. Könnten Sie hierfür bitte Beispiele nennen? Mir ist nicht bekannt, dass z.B. bei den von mir angesprochenen Möhren irgendeine Rückverfolgung möglich ist.

Zuletzt möchte ich Sie bitten, das von mir genannte konkrete Beispiel noch einmal zu betrachten. Hier werden sowohl konventionelle als auch biologisch produzierte Möhren in Plastik verpackt. Ich bin sicher, mindestens in einem der beiden Fälle könnte man darauf verzichten.

Ein anderes Beispiel sind Äpfel. Zahlreiche Apfelsorten werden in meinem Kaufland Chemnitz-Sachsenallee lose angeboten, die zurzeit einzige verfügbare Apfelsorte aus Deutschland jedoch nur in einer festen Papp-Plastikverpackung mit 6 Äpfeln. Auch hier würde ich mir mehr Ganzheitlichkeit wünschen.

Ich danke Ihnen, dass Sie sich mit dem Thema befassen, und verbleibe mit freundlichen Grüßen.



Musik-Neuentdeckungen 5/2018 und 6/2018

Normalerweise jeden Monat, diesmal gesammelt von Mai und Juni, stelle ich hier die Lieder vor, die ich neu entdeckt habe - weil ich sie zu schätzen gelernt habe, weil sie nach langer Zeit wieder aufgetaucht sind oder weil sie einfach neu sind. Radio, Konzerte, Festivals und Empfehlungen von Freunden und Bloggern bringen immer wieder frischen Wind in meine Sammlung und die hier ausgewählten Titel, oft auch andere Titel der Band, möchte ich als Empfehlung an euch weitergeben. Aufgrund der schwierigen Lage in Deutschland gibt es meistens keine Links, aber über Google, Spotify & Co findet sich alles.

Franz Ferdinand - Feel The Love Go
Franz Ferdinand haben in veränderter Besetzung ein neues Album veröffentlicht, da dessen erste, titelgebende Single "Always Ascending" mich aber nicht so angesprochen hat, blieb es lange ungehört. "Feel The Love Go" klingt aber sehr nach Franz Ferdinand, wie ich sie gewohnt bin, groovy-rockig, ein bisschen schräg und ein bisschen badass.
Leslie Clio - And I'm Leaving
Leslie Clio hatte ich, bevor ich Sing meinen Song schaute, kaum wahrgenommen. Ein Fehler! Was für eine Frau! Witzig, sympathisch, talentiert, aber auch hart an sich arbeitend, und was für eine Vielfalt! Von ihren Covern bei Sing meinen Song bin ich tatsächlich noch ein bisschen mehr beeindruckt als von ihrer eigenen Musik, da sie auf den Alben dann natürlich doch einigermaßen einen Stil verfolgt, aber selbst da überrascht sie gelegentlich. "And I'm Leaving" ist mein Lieblingssong von ihrer aktuellen Scheibe "Purple", ein fetziger, leichtfüßiger Song mit Fuck You-Attitude. den Rest des Albums kann ich auch sehr empfehlen.
Riot Child - Never Enough
Und während Leslie Clio ja doch bereits recht bekannt ist, sind die beiden Schwedinnen, die Riot Child formen, erst unten auf einem aufsteigenden Ast. Als Vorband für Icon For Hire waren sie eine großartige Wahl und jeder, der auf moderne Musik steht, sollte sich die beiden mal anhören. Fetter Sound, Rap- und Rock-Einflüsse, Anleihen aus dem Hip-Hop und reichlich Punk-Attitüde. Außerdem: Frauen am Schlagzeug! Fantastisch. Für mehr Groove Dogs Of War anhören, für mehr Badass-Pop Liar und im Idealfall direkt bei ihrer ersten Europa-Tour live anschauen.
Judith Holofernes - Oder an die Freude
Judith Holofernes ist mir als altem Wir sind Helden-Fan natürlich ein Begriff, aber die Anfänge ihrer (erneuten) Solokarriere hatten mich nicht so mitgerissen. Allerdings hat sie nun ein ganz wundervolles neues Album, das auch mich anspricht. Bekanntermaßen kann ich ja nicht so gut mit Musik, die vor allem vom Text lebt, aber auch musikalisch macht die neue Scheibe Spaß und besonders schön finde ich "Oder an die Freude".
Courtney Barnett - City Looks Pretty
Ladyhawke ohne Synthesizer. Hilft niemandem, der Ladyhawke nicht kennt, ist aber das treffendste, was mir einfällt. Hört beide.


Sommerzeit oder Winterzeit?

Die EU hat gemerkt, dass ein großer Teil der Bevölkerung ein Problem mit der zweimal im Jahr erfolgenden Zeitumstellung hat. Daher holt sie nun unsere Meinung ein. Ernste Empfehlung, über das Thema mal kurz nachzudenken und dann abzustimmen. Eine schöne Hilfe beim Nachdenken ist diese Simulation, die zeigt, wann es in eurer Stadt hell ist, in Abhängigkeit vom Modell - so wie jetzt, immer Sommerzeit oder immer Winterzeit: zeit.de - Zeitumstellung / Sonnenstunden

Eure Meinung könnt ihr dann hier kundtun: EU Survey Summertime Arrangements

Ich habe für eine Abschaffung der Umstellung und dauerhafte Sommerzeit gestimmt. Meine Begründung dazu:

The typical work days moved; while it was common to start your work day at 7am years ago, today, lots of companies use work days beginning at 9am, resulting in the work day ending not before 5pm. With the current time system, there are lots of days where you have only few or no light hours left when you return from work to home, which is depressing. Therefore, I voted for permanent summertime, which will move the light hours in the same direction as the working hours moved.