Alle Artikel zu #gesellschaft


Bits, Bytes und Baumwolle

Diese Welt ist viel zu sehr von Geld abhängig.

Vorhin war ich einkaufen. Nein, falsch - ich ging in einen Supermarkt, packte Ware in meinen Wagen, ging zur Kasse und brachte die Ware anschließend zurück in die Regale. Die Kasse akzeptiert keine Kreditkarten.

Während die Miete bereits abgebucht und mein Konto dadurch im Minus ist, kam die eingehende Zahlung bisher nicht an. Der übliche Engpass am Monatsanfang eben. Kein Problem, dafür hat man ja die Kreditkarte, mit der man immer erstmal bezahlen und später über die Deckung nachdenken kann. War in diesem Fall leider nix.

Und warum bietet Netto keine Kreditkartenzahlung an? Weil es Geld kostet. Weil man dafür teurere Lesegeräte braucht und dann auch noch Gebühren bezahlen muss, die höher sind als die für die EC-Zahlung mit PIN-Eingabe. Und warum spart Netto bei sowas, Edeka aber nicht? Weil Netto ein Discounter ist (naja). Die wollen ihre Ware billig verkaufen und trotzdem Mercedes fahren. Und die Leute kaufen's, denn billig ist geil. Außerdem sind wir alle pleite und auf billige Ware angewiesen, denn - wir müssen ja die Miete bezahlen.

Die Manager von Netto wollen gerne Mercedes fahren dürfen, weil sie Verantwortung für viele Menschen tragen. Wenn der Manager einen Fehler macht, kostet das viele Menschen ihren Job. Wenn die Kassiererin den Pfandbon klaut (Miete!), wird sie gefeuert. Ups.

Die Makler und Immobilienbesitzer, die jetzt ihre Miete haben, wollen auch gerne Mercedes fahren und Urlaub auf den Bahamas machen, denn... ja, warum sollte man sonst so einen nervigen Job machen. Dafür kann man dann mit den Interessenten auch im offenen Cabrio durch die Stadt heizen, die kalte Herbstluft mit der Heizung wegblasen und sie dabei vollquatschen, um noch Sympathiepunkte zu gewinnen (die Konkurrenz!).

Aber Makler sind super, denn sie wissen, was wir wollen, und können uns deshalb schnell passende Wohnungen vermitteln (oder auch nicht). Und was wäre die Welt ohne große Supermarktketten, die gemanaget werden müssen, da könnten ja die ganzen linksalternativen nicht mehr containern gehen, weil wieder mal überschüssige Ware in den Müll geworfen wurde.

Und weil die Welt so super ist, gibt es heute eben Spagetti zum Frühstück. Und in der Vorlesung überlege ich mir, wie ich an Ersatzteile für's Fahrrad komme. Immerhin hat die Chemnitzer Uni eine Fahrradselbsthilfewerkstatt, in der man kostenlos Werkzeug und tatkräftige Unterstützung bekommen kann. Und das ohne Studiengebühren!



Gute Welt, böse Welt?

Beim Anblick der Nachrichten könnte man meinen, es gäbe nur noch Schlechtes in der Welt. Jeden Tag lesen wir von Naturkatastrophen, Kriege, Missachtung von Menschenrechten, Ausnutzung von Macht. Lichtblicke gibt es aber auch und ich finde, wir sollten uns daran festhalten und die Welt nicht immer nur schwarz sehen.

  • Politisch: Deutschland ist auf einem ernsthaften Weg zum Atomausstieg. Ein Problem, für das nie eine Lösung gefunden wurde, als solches zu erkennen und Konsequenzen zu ziehen - das hätte manch einer der Regierung nie zugetraut.
  • Ebenso politisch, aber schon älter: Wer erinnert sich noch an Zensursula? Nach einer erfolgreichen Petition hat der Bundestag eingesehen, dass es besser ist, Websites mit illegalen Inhalten löschen zu lassen statt sie nur zu verstecken.
  • Thema Verbraucherverarsche: So schlimm ist es gar nicht. Akkulaufzeiten bei Notebooks (Lenovo), Spritverbrauch bei Autos (VW) - dort wird gar nicht immer übertrieben. Die Sache mit den Chipstüten und der Luft ist sowieso Blödsinn, wer sich von der großen Verpackung täuschen lässt, hat selber Schuld, und die Luft schützt obendrein die Chips vor dem Zerbrechen. Und mein Waschmittel schafft sogar deutlich mehr Waschladungen als angegeben.
  • Service über die Pflicht hinaus: Bilora tauscht Fotozubehör aus Kulanz (zumindest gelegentlich) sogar nach Ablauf der Garantiezeit und ohne Rechnung, und für meine defekten Lautsprecher erhalte ich gerade anstandslos Ersatz - ohne Rücksendung der defekten Ware.
  • Und auch bei den ach so verhassten Managern gibt es Lichtblicke. In der Finanzkrise haben mehrfach Top-Manager auf ihre Bonuszahlungen verzichtet und bei Lenovo ließ der Vorstandschef seinen Bonus an die Mitarbeiter auszahlen.


Das Strickzeug da? Müll!

Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln etwas verliert, ist die Chance, es zurück zu bekommen, ziemlich gering. Meistens schiebt man das dann auf die böse, böse Gesellschaft und manche Leute gehen schon gar nicht mehr zum Fundbüro - was übrigens ein Fehler ist, denn es werden sehr wohl gefundene Gegenstände abgegeben, manchmal nach langer Zeit noch. Ich werde nie das Gesicht des Polizisten vergessen, der mir freudig mein Portemonnaie präsentierte, woraufhin ich total baff erzählte, wie ich es vor einem Jahr verlor...

Oft genug jedoch tauchen Sachen nicht wieder auf, selbst dann, wenn sie für niemand anderes als den Besitzer von Wert sind. Dafür muss nicht unbedingt die böse Gesellschaft die Schuld tragen. Im Zug zum Beispiel gibt es viele Wege, den so ein vergessener Gegenstand nehmen kann.

Zugtickets zum Beispiel wurden schonmal vom Putzteam in den Müll geräumt. So geschehen auf unserer Kursfahrt nach München... sehr spaßige (und glücklicherweise ziemlich folgenlose) Sache.

Toll war auch der Schaffner, den ich auf einen vergessenen Strickschal hinwies, damit er den mit ins Fundbüro nimmt. Die beiden wesentlichen Kommentare dazu waren "sowas schafft mehr Aufwand als es Wert hat" und "sowas gibt doch keiner ab". Letzteres hatte ich gerade widerlegt und zu ersterem fällt mir schon kaum noch was ein. Es ist schließlich nicht die Schuld der Fahrgäste, dass das Fundsystem bei der Bahn so komplex ist.

Außerdem war der Fundbüro-Mensch, den ich zuletzt kontaktierte, ausgesprochen gelangweilt und geradezu genervt, dass ich ihn gleich zwei Mal gestört habe (bei was auch immer). Da ging es darum, dass ich meine Sonnenbrille im IC-Reisebus vergessen hatte. Für das Umsteigen in den Zug hatte ich ziemlich genau eine Stunde Zeit und der Bus hatte an meinem Ausstiegsbahnhof Endstelle, trotzdem kam die Sonnenbrille nicht rechtzeitig an. Und bei 25€ Versandkosten für's Nachsenden und teilweise mehrstündigen Fahrten zum nächsten Bahnhof mit Fundbüro verstehe ich auch, warum so wenig Leute ihre Sachen abholen...



Australier, Inder und die deutschen Nachrichten

Neulich war ich mal wieder auf einer Party, auf der ich kaum jemanden kannte, dafür aber umso mehr Leute kennen gelernt habe. Zwei davon waren in Australien für Work & Travel und auf dem Rückweg ein paar Tage in Dubai, eine war mal in Indien. Alle drei hatten eine Menge zu erzählen...

...von dem Typen im Bus in Indien, der sich einfach einen runtergeholt hat an zwei Mädels im Bus, auch nachdem sie ihn entdeckt hatten noch bis zum Ende.
...von dem Australier, die nach einwöchiger Geschäftsreise zu seiner Frau nach Hause gefahren ist - um fünf Minuten später mit Werkzeug wieder zu verschwinden, um zwei wildfremden Work&Travellerinnen das Auto zu reparieren und sie dann für mehrere Tage zu sich nach Hause einzuladen.
...von den Aborigenes, die von den Australiern als Säufer und Spielsüchtige gesehen werden - und es anscheinend tatsächlich sind und aufgrund biologischer Veranlagungen auch leichter werden als wir.
...von australischen Rinderkastrationen, für die ein Taschenmesser völlig ausreicht, und von aggressiven Kälbern.
...vom 99-Jahre-Vertrag, der den Aborigenes nach 99 Jahren ihr Land zurück verspricht, das inzwischen von Australiern mehrere Generationen lang fruchtbar und wertvoll gemacht wurde.
...von den verheirateten jungen Frauen, die ihren Mann um Erlaubnis fragen müssen, um an den Strand zu gehen - und davon, dass ein paar keine Erlaubnis bekommen haben.
...von den 4-Sterne-Hotels mit superfreundlichen Dienern, wo drei Nächte 60€ kosten, in einem Land, das vergewaltigte Frauen wegen außerehelichem Sex vor Gericht stellt.
...von dem Verkäufer in Dubai, der keinen Spiegel hatte und seine Kundinnen daher fotografiert - und dann dazu masturbiert.

Natürlich sind das einzelne, subjektiv erlebte Ereignisse. Aber sie geben einen kleinen, authentischen Einblick in Welten, die wir sonst nur aus den Nachrichten und dem Schulunterricht kennen - und teilweise in einer ganz anderen Darstellung. Dass die australischen Ureinwohner nicht nur Opfer sind ist eine Idee, auf die man in Deutschland nicht unbedingt kommt. Was es mit dem 99-Jahres-Vertrag auf sich hat, muss ich mal gründlicher recherchieren - auf den ersten Blick scheint es dazu nicht besonders viele Informationen zu geben... aber es gab uns einen Anstoß, über die Problematik alter Geschichten und Probleme eines Landes nachzudenken. Auch meine Generation wird immer noch gelegentlich im Ausland als Nazi beschimpft. Auch das Gedankenspiel, wie wir wohl über die Massenvernichtung von Juden und Ausländern denken würden, wenn Deutschland den zweiten Weltkrieg gewonnen hätte, hat uns schwer zu schaffen gemacht.

Bei den Erlebnissen aus Dubai und Indien hat sich für mich außerdem gezeigt, wie abgehärtet wir längst sind durch die vielen Nachrichten, die uns ständig erreichen. Ich lese wirklich nicht viele Nachrichten - an manchen Tagen gar keine, sonst meist nur die taz und verschiedene empfohlene Onlineartikel. Ein paar Minuten persönliche Erzählung haben die Vorstellung, wie in manchen asiatischen Ländern 2013 mit Menschenrechten umgegangen wird, so konkret werden lassen, wie es kein Zeitungsartikel schaffen würde.

Diese Erkenntnis finde ich frustrierend, denn sie bringt nur noch mehr negative Einsichten mit sich, keine Wege der Besserung. Sie lässt mich höchstens glauben, dass ich das Lesen der Zeitung auch noch weiter einschränken kann. Oberflächlich von etwas zu lesen gibt mir weder echte Einblicke, noch ändert es etwas. Selbst vor Ort zu sein und selbst mit den Menschen zu sprechen ist vielleicht das Einzige, das überhaupt etwas bewirkt - in Bezug sowohl auf die Erfahrung als auch auf die Mitwirkung.



Eigenschaften

[...] wissenschaftliche Studien verfolgen oft das Ziel, nur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern herauszuarbeiten. Wir ha­ben alle gelernt, das Männer diese, und Frauen jene Eigenschaften haben. Ich denke, Menschen haben bestimmte Eigen­schaften. Und die sind dem gesellschaft­lichen Verständnis nach dann eher weib­lich oder männlich. Ich sehe es so, dass jeder Mensch diese Eigenschaften in sich trägt; aber wir haben gelernt, bestimmte Eigenschaften nicht zu zeigen oder auszu­bilden, weil sie nicht der Rolle des eigenen Geschlechts entsprechen.

Selten so etwas Kluges gehört zum Geschlechter-Gesellschaftsstreit.



Nutella und Marmelade

..."Vorsicht bei der Einfahrt." Der Wind steht passend, der Straßenlärm ist noch nicht da, bei offenem Fenster kann ich die Bahnhofsansagen hören. Dabei wohne ich fast zehn Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt - das ist nicht weit, aber weiter als bei meiner letzten Wohnung. Generell hört man hier ziemlich viel, dafür, dass das Haus locker vierzig Jahre jünger ist als das in Herne. Aber heute nicht, heute ist Sonntag und es ist acht Uhr morgens, da sind die Nachbarn ausnahmsweise mal noch nicht wach. Nur ich habe seit langem mal wieder die Nacht durchgemacht und gehe jetzt erstmal Brötchen holen.

Die Bäckerei hat allerdings geschlossen, dafür ist der SB-Backshop geöffnet. Die Brötchen sind gut, sie haben eine dünne knusprige Haut und sind ansonsten ganz weich. Ich gönne mir vier verschiedene Beläge und Orangensaft aus einer Flasche, aus der man nur reichlich eingießen kann. Wir sollen es uns gut gehen lassen, sagt sogar die Bibel. Die sagt allerdings auch, dass wir denen helfen sollen, die das alleine nicht schaffen. Ich habe keine Ahnung, wo hier in der Nähe jemand sich nicht leisten kann, ständig Nutella, Käse, Honig und zwei Sorten Marmelade vorrätig zu haben, vielleicht schon hier im selben Haus.

Ich weiß ja nichtmal, wie der Nachbar heißt, der mir schon dreimal angeboten hat, seine SAT-Schüssel mitzunutzen. Dabei habe ich gar keinen Fernseher. Ich weiß generell zu wenig von meinen Nachbarn und den anderen Menschen die hier wohnen. Das ist uns auch letztens im Kloster aufgefallen, als wir überlegt haben, wieso wir eigentlich so wenig mit unseren Menschen über Religion reden: Vor allem, weil wir generell so wenig mit unseren Mitmenschen reden. Wenn sie dann auch noch wie die Zeugen Jehovas direkt mit der Tür ins Haus fallen, sperren wir uns erst recht. Ist eigentlich jemals bei jemandem die evangelische Kirche aufgekreuzt, um das Evangelium zu verkünden?

Auch die großen Kirchen in unserem Land sind eben mit der Zeit gegangen und damit mit dem Trend zu weniger Kommunikation mit Fremden. Aber Deutschland ist auch schon länger kein christlicher Staat mehr, auch wenn die zurzeit stärkste Partei im Bundestag ein 'C' im Kürzel trägt. Ein Grund mehr, dass ich neugierig bin, wie das Leben in religiös geprägten Ländern aussieht. Unser Workshopleiter im Kloster hat eine Zeit lang in Israel gelebt... seinen Erzählungen nach kann man kaum begreifen, warum die Menschen dort so leben, wie sie leben, aber eine Reise wert ist es auf jeden Fall. Vielleicht schaffe ich es ja mal dort hin zu reisen. Der Flughafen ist ja auch nur wenige Minuten von hier entfernt.



Wenn man Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten

Spiegelreflexkameras sind zu billig und zu populär geworden. Das ist eine mögliche Begründung dafür, warum alle sozialen Netzwerke von Fotos überschwemmt werden, die von den meisten nicht für gut gehalten werden.

Den meisten? Die Blitzlichtfotos meiner Freunde von der letzten Party erhalten auf Facebook eine Menge positives Feedback. Und auch die arrogante erwachsene Fotografin, die letztens bei einem Konzert mit externem Blitz und Vollautomatikmodus rumrannte und mich nicht nur einmal blendete, hat sicherlich Lob erhalten für ihre Publikumsaufnahmen mit weißen Gesichtern vor im Schwarzen abgesoffenem Hintergrund.

"Die meisten" sind wohl eher diejenigen, die nicht nur für sich selbst fotografieren. Die mehr können als den Automatikmodus, wissen, was der Unterschied zwischen Tiefenschärfe und Schärfentiefe ist und was man mit Blende und Belichtungszeit anstellen kann. Die, die sich darüber aufregen, dass jeder zum Saturn rennen und sich irgendein Spiegelreflexkit kaufen kann. Auch ich gehöre dazu. Ich hasse Blitzlichtfotos.

Aber warum regen wir uns eigentlich auf? Die Berufsfotografen sagen, die Amateure nehmen ihnen die Aufträge weg und sorgen für Dumpingpreise. Ich wage zu behaupten, dass das nur die Berufsfotografen trifft, die sowieso nicht so richtig von ihrem Beruf leben können. Die kleine Konzerte oder private Veranstaltungen fotografieren, wo es dem Auftraggeber nicht so wichtig ist, dass die Fotos sowohl knackscharf als auch farblich originalgetreu und obendrein druckbar sind. Denn die eingangs erwähnten Greenhorns nimmt eh niemand ernst, der für Fotos Geld bezahlt (und alles andere ist egal, denn einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul). Und wer für eine relevante Summe Geld einen Auftragsfotografen bucht, wird erwarten, dass dieser Fotograf auf jeden Fall zum vereinbarten Termin vereinbartes Material liefert. Deshalb würde auch ich solche Aufträge nicht bekommen, obwohl ich - soviel Selbstbewusstsein muss sein - durchaus anständige Fotos mache, weil ich gar keine Lust habe, unter Druck zu fotografieren.

Aber auch die ernsthaften Hobbyfotografen jammern rum. Die Masse an Fotos zerstöre den Wert des einzelnen. Außerdem sei irgendwann alles fotografiert worden. Ganz ehrlich? Räumt halt mal eure Streams auf. Wenn ihr die amateurhaften Fotos nicht sehen wollt, filtert sie aus. Gebt euch halt nicht mit denen ab. Blockiert Leute auf Facebook, folgt weniger Leuten in Fotocommunitys.

Oder respektiert, dass eine Menge Leute gar nicht fotografieren, um Fotos zu produzieren, die druckbar und Geld wert sind. Man kann nämlich auch fotografieren einfach nur um etwas für sich persönlich und vielleicht noch ein paar Freunde festzuhalten. Deshalb darf man sich auch auf Facebook feiern lassen, wenn man ein Foto mit dem Lieblingskünstler ergattert hat, auch wenn es fehlfokussiert ist oder aufgrund des Blitzes die Farben nicht schön sind - denn es hilft, sich an einen schönen Abend zu erinnern.

Und die meisten dieser Leute behaupten auch gar nicht von sich, gute Fotografen zu sein. Viele bezeichnen sich gar nicht erst als solche. Unter Druck gesetzt werden sie erst, wenn die, die sich für gute Fotografen halten, anfangen, rumzumotzen. Dabei macht sich dann aber nur eine Seite lächerlich - und die fotografiert nicht mit Blitz.



Dokumentation ist langweilig, Show ist gefragt

Die obige Aussage stammt aus einem Kommentar zu diesem Artikel. Es geht dort darum, dass man im Internet immer mehr krass bearbeitete Fotos findet und immer weniger pure Aufnahmen, an denen nicht viel geschraubt wurde. Das sehe ich soweit erstmal auch so, aber die obige Aussage hat mich nachdenken lassen.

Als erstes ist mir eine Parallele aufgefallen: Das Fernsehen. Wie sehr schlagen sich die Privatsender um die beste Unterhaltung, während ich immer wieder höre, dass Dokumentationen nicht gerne gesehen werden. Ich habe selbst keinen Fernseher, denke aber, dass das durchaus ein Trend ist. Bei der Fotografie ist das mit der Motivauswahl nicht ganz so einfach, dafür kann man dort aber z.B. mit HDR-Aufnahmen beeindrucken.

Der "Gigantismus", wie der Autor des Artikels es nennt, findet sich auch in anderen Bereichen. Jahrelang habe ich mich intensiv mit technischen Dingen beschäftigt, besonders mit PC-Hardware, konnte jeden beraten und für jeden Wunsch einen PC zusammenstellen. Inzwischen bin ich da ausgestiegen, weil die Entwicklung in manchen Bereichen stagniert und in anderen dafür rasend weitergeht, es muss immer schneller gehen und wenn nicht schneller, dann wenigstens mehr, bunter oder "echter".

Bei der Fotografie merkt man, dass der Drang nach Perfektion ein allgemeiner Trend ist, wenn man selbst unbearbeitete Fotos macht und die herumzeigt. Ich treibe mich gar nicht viel in irgendwelchen Communitys herum, aber auch von Bekannten kriege ich immer wieder mal zu hören, was ich eigentlich für schlechte Aufnahmen machen würde. In Bearbeitung war ich nie gut und ich weiß auch gar nichts über Photoshop, es hat also schon ganz pragmatische Gründe, dass ich meine Fotos quasi gar nicht bearbeite. Außerdem fotografiere ich überwiegend Konzerte, bei der Fotomasse, die dabei entsteht, ist eh kein Platz für mehr Bearbeitung als automatische Helligkeit und zuschneiden.

Bei der Hardware muss man gar zu den anderen gehen. Das Konkurrenzdenken, wer den fettesten PC hat, hat inzwischen selbst in meiner Lanpartytruppe weitgehend aufgehört. Aber es gibt ja Microsoft und andere Softwarehersteller, die meinen, wo ja jeder einen modernen PC hat, kann man sich ja bei den Ressourcen bedienen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich Windows ME benutzte, was vom Betätigen des Einschalters bis zum nutzbaren Desktop 8 Sekunden brauchte. Windows 7 braucht heute mehr als eine Minute, bis ich mich überhaupt anmelden kann, obwohl der Rechner in allen Bereichen mehr als doppelt so gut ausgestattet ist wie der damals.

Da mich das ähnlich nervt wie den Autor des eingangs verlinkten Artikels, gehe ich bei der Fotografie gerade zwei Wege, um davon Abstand zu gewinnen. Erstens fotografiere ich analog. Das verhindert Bearbeitung (für mich), produziert Fotos, bei denen niemand erwartet, dass ich sie bearbeite, und hilft mir gleichzeitig noch, außerhalb von Konzerten nicht auch ständig den Auslöser gedrückt zu halten und jedes Motiv zehnmal zu fotografieren.

Zweitens sichte ich alte Fotos nochmal. Ich fotografiere seit sieben Jahren, seit drei mit einer Spiegelreflex, und anfangs habe ich wirklich gar nichts gemacht mit den Fotos. Beim nochmaligen Sichten fliegen erstens nochmal viele dieser Mehrfachaufnahmen des gleichen Motivs raus, das stellt schonmal die guten Fotos besser dar. Dann werden die, die über bleiben, teilweise zugeschnitten - dafür habe ich schließlich ein Dutzend Megapixel. Und während ich das mache, merke ich erstmal, wie viele gute Fotos ich eigentlich schon gemacht habe. Und daran sehe ich: Es ist gar nicht so ein Wunderwerk, beeindruckende Fotos zu machen, wie man sie auf diversen Websites findet. Man findet sie bloß immer direkt zu Hunderten - dass man das alleine nicht in ein paar Jahren anhäuft, ist doch vollkommen normal. Das muss einem nur erstmal bewusst werden.

Bei Konzerten werde ich weiterhin 300 Fotos machen, 250 löschen und 50 so behalten wie sie sind. Das ist der Dokumentationsteil. Wenn da etwas nicht schön ausgeleuchtet oder nicht ganz scharf ist, ist das halt so, das Wichtige sind eh die Erinnerungen, die an dem Foto hängen. Und für Fotos, die wirklich gut aussehen, muss ich mal wieder mehr unterwegs und draußen fotografieren. Dann ergibt sich das schon. hahahah