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Alerta, Alerta

Der 5. März ist der Jahrestag der Zerstörung von Chemnitz im größten Bombenangriff auf die Stadt im zweiten Weltkrieg und heute auch der Chemnitzer Friedenstag. So wie die Neonazi-Szene in Chemnitz diesen Tag nutzt, um für ihre Politik zu demonstrieren, nutzen ihn auch zahlreiche Gegendemonstranten, um ein Zeichen zu setzen, dass braune Ideologien hier im 21. Jahrhundert nicht mehr erwünscht sind.

Auch die Uni hatte anlässlich des Friedenstages zur Demonstration aufgerufen und so versammelten wir uns am Nachmittag vor der Mensa. Mit Bildern aus Hamburg, Frankfurt und Istanbul vor Augen wirkte der Platz reichlich leer - mit den ersten Meldungen von 20, 30 gesichteten Nazis nicht mehr. Etwa zehn Mal so viele Studenten zogen dann mit lauter Musik und Seifenblasen die Hauptstraße hinunter bis zum Südbahnhof, wo wir auf die im Zentrum gestartete Demo trafen und in Richtung der angemeldeten Nazi-Route abknickten. Die Musik war gut, die Moderatorin extrem entspannt und so war der Fußmarsch zum Kundgebungsort sehr entspannt.

Mit mehr lauter Musik positionierte unser Wagen sich dann am seeehr frühen Abend am Kundgebungsort, wo sich nach einer Weile die Anzeichen verdichteten, dass nichts Großartiges mehr passieren würde. Wir standen hinter den Gittern, die die Nazi-Route sichern sollten, aber an anderer Stelle hatte sich bereits eine Sitzblockade gebildet, so dass mit dem Eintreffen der rechten Demonstranten nicht mehr zu rechnen war. Also schlossen wir uns bei nächster Gelegenheit dem Aufruf an, die Sitzblockade zu unterstützen.

Nun hat so eine Sitzblockade zunächst einmal sehr viel mit Sitzen zu tun und dann auch mit Warten. Vielleicht 200 Menschen, ein Großteil von der DGB1-Jugend, verstopften dort eine Kreuzung, bewacht von ausgesprochen friedlicher Polizei. (Radio Chemnitz spricht von 700 Personen, bezieht dabei aber die anderen Demonstranten entlang der Naziroute mit ein.) Die gab uns dann nach und nach zu verstehen, dass wir kein Recht auf die Blockade haben, sondern im Gegenteil die Nazis als angemeldete Demo ein Recht darauf haben, den Weg zu passieren. Passend dazu gab's natürlich entsprechende Kommentare von den Sprechern der DGB-Jugend - Verhalten im Fall einer Räumung und natürlich die Aufforderung, nicht einfach abzuhauen.

Als dann durchsickerte, dass es vielleicht doch 200 und nicht 20 Nazis sind und die Hundertschaft der Polizei in schwarzen Schutzanzügen und Helmen anrückte und auf und ab patroullierte, kam auch langsam die Frage auf, ob wir wohl tatsächlich von uniformierten Beamten von der Straße entfernt werden würden, und ob es wohl Eskalationen mit den Nazis geben würde. Da es in den letzten Jahren aber Schlägereien und Überfälle gegeben hatte, war schnell klar, dass letzteres auf jeden Fall vermieden und die NPD-Demonstration auch nicht über dunkle Seitengassen umgeleitet werden würde. Also saßen wir weiter auf Zeitungen, Decken und aufeinander, warteten und brüllten Parolen, bis die Anwohner aus dem Fenster guckten.

Und wie wir so warteten, rätselten, warum die Polizisten wohl Kreuze auf der Uniform tragen, und wilde Schätzungen über Anzahl der Polizisten und der Nazis und den Einsatz von Schlagstöcken und rechter Gewalt anstellten, passierte - nichts. Bis es irgendwann hieß, dass die Nazi-Demo umgekehrt sei - auch auf deren Seite bestand wohl kein Bedarf an Eskalationen, so dass die rechte Szene schlicht und ergreifend umgekehrt und nach Hause gefahren war. Unsere Sitzblockade war inzwischen vollständig eingekesselt, aber bevor die ersten Leute ernsthaft schlechte Laune bekamen, durften wir geordnet in Richtung Hauptstraße abreisen.

So unspektakulär wie die Aktion damit im Vergleich mit ausartenden Demonstrationen in anderen Städten verlaufen war, so erfolgreich kann sie bewertet werden. Ich fühle mich jedenfalls an eine Demo im Westen erinnert, bei der es regnete und die zwei Dutzend Nazis sich unter einer Bushaltestelle unterstellten, während hunderte Gegendemonstranten unterwegs waren. Und während es dort zu scharfer Kritik am Vorgehen der Polizei kam, kann man hier nur Respekt zeigen für die ruhige Sachlichkeit der Beamten. Deren bewusste Neutralität war zwar zuweilen seltsam oder nervig, aber als Hüter der Ordnung und Sicherheit haben sie heute einen guten Job geleistet.

Damit ist 2014 das zweite Jahr, in dem die Gegendemos den Aufmarsch der Neonazis in Chemnitz massiv behindert haben. Ein schönes Zeichen für eine Stadt im Umbruch, die nicht nur auf Häuserruinen, sondern auch auf braune Politik keine Lust mehr hat.

  1. Deutscher Gewerkschaftsbund


Größenwahnsinn

Wenn man weiß, dass man im Recht ist, sollte man nicht klein beigeben.

Da die Wohnung in Dortmund bereits meine zweite war, musste ich auch vor meinem Umzug nach Chemnitz wieder auf Wohnungssuche gehen, denn auf meine Küche und mein Bett will ich nicht mehr verzichten. Nun gibt es keine Gegend in Deutschland mit niedrigeren Mitpreisen als den Osten und Chemnitz als ehemalige Karl-Marx-Stadt hat wirklich kein Wohnraumproblem. Ich saß also zuhause vor den Wohnungsanzeigen auf den einschlägigen Internetportalen und mein größtes Problem war, aus der Masse welche auszusortieren, denn 40m² warm für unter 300€ zu finden, war wirklich keine Herausforderung. Auch schlechte Gegenden gibt es in Chemnitz eigentlich nicht.

Straße in Chemnitz Einen Monat vor meinem Umzug fuhr ich dann 8 Stunden quer durch Deutschland, um mir in drei Tagen 15 Wohnungen anzusehen. Ich lief mir auf dem Kopfsteinpflaster die Blasen meines Lebens, couchsurfte, lernte nette und merkwürdige Einwohner, ein süßes kleines Programmkino, merkwürdige Imbissbuden und die Zentralhaltestelle kennen. Und eine Menge Immobilienmenschen.

Makler, die im Cabrio mit Heizung durch die Gegend heizen. Da ich zu Fuß unterwegs war, um die Stadt nebenbei kennen zu lernen, wurde ich öfter mal von Maklern durch die Gegend gefahren, wenn mehrere Wohnungsbesichtigungen in Folge anstanden. Der Typ mit dem Cabrio war einer der Selbstständigen und kaum älter als ich, aber schon super darin, seine Wohnungen wie das Beste der Welt anzupreisen.

Selbstständige Makler sind auch gerne mal supergehetzt. Wer auf Provision arbeitet, muss viele Termine abreißen, damit auch ein paar Vertragsabschlüsse dabei rumkommen. Zeit für Fragen? Fehlanzeige. Ausmessen der Räume? Wo kommen wir denn da hin?! Wird schon alles passen und sonst muss man halt ein paar Möbel zuhause lassen.

Wer nicht unter Druck arbeitet, ist entspannter. Da wird dann auch schonmal verschlafen, ein Kunde sitzen gelassen und ach ja, die Wohnung ist eh nicht mehr zu haben. Absolut seriöses Verhalten. Auch schön: Der Vertreter, der total schockiert war, als ich mal die Toilette einer seiner Wohnungen benutzen wollte. "Sowas hab ich in all den Jahren noch nie erlebt!" Ja, was denn. Dass man nach 8 Stunden Wohnungsbesichtigungen mal einen Ort der Ruhe braucht? Schockierend.

Nach den Maklern kamen dann die Vermieter. Ach, sie möchten die Wohnung gerne anmieten? Übrigens, die Mindestvertragsdauer ist jetzt doch 3 Jahre. Welcher Student soll denn solche Konditionen hinnehmen? In 3 Jahren kann sich alles ändern.

Für den Vertragsabschluss brauchen wir dann außer der Schufa-Auskunft und all ihren Kontaktdaten auch noch eine Personalausweiskopie, beidseitig, ungeschwärzt, eine Bürgschaft ihrer Eltern - Sie sind ja selbstständig, da weiß man ja nie! -, ein paar Bescheinigungen von Ihrem Vermieter und zusätzlich bitte eine Kaution. Ach, Sie wollen uns Ihre Seele nicht verkaufen? Ja, wollen Sie denn die Wohnung nicht? Unterzeichnen Sie hier, das Ausfüllen des Formulars war freiwillig.

Ja, leckt mich doch alle am Arsch.

Im Endeffekt habe ich keine der Wohnungen genommen, sondern drei Tage vor dem Umzug eine Wohnung des größten örtlichen Vermieters, der alleine hunderte Studentenwohnungen vermietet, ungesehen angemietet. Unkompliziert, auf Empfehlung von bereits umgezogenen Studenten hin, bei einer sehr verständnisvollen Frau, die es total nachvollziehbar fand, dass ein Umzug über 600km für einen Studenten ohne ernstzunehmende Geldmittel schwierig ist.

Wenn der Markt groß genug ist, muss der Kunde nicht den Ausbeutern sein Geld in den Rachen werfen. Das sollten sich auch die Immobilienfirmen mit den protzigen Namen zu Herzen nehmen, die ihre Wohnungen gleich von sechs (!) Maklern gleichzeitig verwalten lassen, so dass die Wohnungsmärkte von Dopplungen überflutet werden.



Dunkel wie die Nacht

Da steht man mit dem Handy in der Hand im Wohnzimmer und bekommt gleich Besuch und plötzlich ist außer dem Handy alles aus. Bei den Nachbarn poltert es, in den Fenster tauchen langsam Kerzen und Taschenlampen auf. Die Erwachsenen fluchen, die Kinder freuen sich. Stromausfall in der gesamten Straße bis runter zur Querstraße. Das konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Wegen Stromausfalls unbeleuchtete Straße

20 Minuten später hatte ich gerade noch an der Haustür mit der Taschenlampe geleuchtet, um das Schlüsselloch zu finden, als ich die Wohnung aufmachte und alles wieder lief als wäre nie was gewesen. Nur der Gefrierschrank beschwerte sich über die leicht gesunkene Temperatur.



Chemnitz III

Fix zu Hellweg.
Den Berg raufquälen.
Die Strecke ist doch länger als erwartet.
Der Baumarkt ist menschenverlassen, aber ich bekomme was ich brauche.
Den Berg runter rasen.
Eine alte Frau guckt mir entgegen.
Ihr Hund findet die Bushaltestelle interessanter.
Plötzlich läuft die alte Frau auf den Radweg. VORSICHT!
Panisch werden, weil keine Ausweichmöglichkeit da ist (der Hund! die Leine! der Bordstein! die Autos!), soweit wie es geht nach links ziehen und bremsen, die alte Frau geht wieder ein paar Schritte zurück, die neuen Bremsbeläge tun ihre Wirkung, der Berg ist zu Ende, rechts abbiegen, zuhause.

Raus aus der Stadt.
Über die kaputte Straße, dann über die Brücke.
Ein aufgeschreckter Fuchs flüchtet vor dem Scheinwerferlicht.
Der massigen Krone eines vom Sturm entwurzelten Baumes ausweichen.
Die für diesen Fall eingerichtete Radwegumleitung merken, falls man sie mal braucht.
Am Fluss entlang, am Kraftwerk vorbei, eine Straße kreuzen, ein weites Feld.
Durch die Schranke, dem Sicherheitsdienst freundlich zuwinken.
Mit dem Rad vorbei an den LKW, vorbei am Zoll.
Nacht am Stadtrand.



Chemnitz II

Ich geb's zu: Die ersten Wochen in Chemnitz habe ich die Augen bewusst offen gehalten, um DDR-Klischee-Bestätigungen und Unterschiede zum Westen zu finden. Spoiler: Man muss sich schon sehr Mühe geben, um was zu finden.

Der "Edeka Aktiv-Markt" um die Ecke ist ein getarnter Rewe. Der Besitzer räumt schon die Wursttheke leer, bittet mich aber herein, als ich zögere; ich komme mir trotzdem so vor, als wäre ich unerwünscht. Tatsächlich stimmen die Ladenöffnungszeiten nicht mit denen aus dem Internet überein. Für die Einkaufswagen braucht man keine Münze. Die Gestalten draußen lassen den Laden auch eher wie einen getarnten Drogenumschlagpunkt wirken. Der Verkäufer fragt immer wieder mal etwas nervös, ob ich alles finde, was ich brauche.

Bei Lidl ist die Kasse unbesetzt. Nach einem Moment kommt jemand und kassiert. Als ich das kurz anspreche, werde ich auf die zahlreichen Kameras hingewiesen.

Kameras vermuten manche alteingesessene Bewohner der Stadt auch in und an den mit Brettern vernagelten Gebäuden. Manche beschweren sich über gestiegene Mietpreise, beruhigen sich aber wieder, wenn sie sich daran erinnern, dass es früher dafür auch kein fließend Warmwasser gab. Meine Nachbarn beschweren sich auch über zu hohe Nebenkosten, lassen aber den Schlüssel in der Wohnungstür von außen stecken.



Chemnitz I

Bei meinem ersten Besuch in Chemnitz war ich auf Wohnungssuche und habe vor allem Makler getroffen, die auf viele verschiedene Weisen nervtötend waren. Zum Glück sind die Makler aber nicht repräsentativ für die Stadt.

Gablenz, Mittwochabend. Unterwegs auf der Suche nach einem Imbiss. Nach ein paar Kilometern entdecke ich eine offenstehende Tür einer Pizzeria. Ich gucke hinein, anscheinend ist schon geschlossen, aber der Besitzer winkt mich herein. Ich bestelle, er macht fix nochmal Pizzateig. Man kann nicht mit Karte zahlen, ich hole Bargeld. Der Chef ist immer noch hinten, sein Kollege hängt wortlos vorne bei mir rum. Irgendwann kommt ein unangenehm wirkender Typ herein, der aber Stammgast zu sein scheint. Der Chef weiß, was er will, holt ein Bier und macht nochmal Teig. Meine Pizza ist ohne Peperoni, kostet aber mehr als wenn welche drauf gewesen wären.

In Herne haben freie Imbissbuden auch manchmal ihre Preise je nach Kunde und Tageszeit gewürfelt. Manchmal verschwand der Besitzer ein paar Tage später spurlos.



Sonnenaufgang in Heinersdorf

Früh morgens am Probenraum.

Sonnenaufgang Heinersdorf Gewerbegebiet verkleinert.jpg

Sonnenaufgang Heinersdorf Chemnitz verkleinert.jpg



Klassischer Jahresrückblick

Dieses Jahr ohne kreative Idee, einfach, weil es auch mal schön ist, einfach zu schauen, was passiert ist. Vor allem, wenn es so viel ist wie dieses Jahr. Jedes Jahr hat besondere und einmalige Erlebnisse, 2013 war vor allem auch von entscheidender Bedeutung für die Zukunft.

Das Projekt TEN SING RheinRuhr kam bereits 2012 ins Rollen. 2013 ging es dann richtig los - im Januar fuhr ich vom Ruhrgebiet nach Hamburg, um am offiziellen gemeinsamen Kirchentags-Vorbereitungstreffen für Mitwirkende teilzunehmen. Eine spannende Erfahrung, wenngleich die Teilnahme nicht obligatorisch war. Nebenbei lernte ich TEN SING Hamburg-Bramfeld kennen, eine kleine, aber sehr liebe Gruppe.

Im Februar ging es dann erneut nach Norden, meine seit längerem geplante Radtour in Ostfriesland nachholen. Ich erfror einmal fast, traf dafür aber viele wundervolle Menschen, die ich teilweise vorher noch nie getroffen hatte - darunter auch meine ersten Couchsurfing-Bekanntschaften. So grausam wie der Wind auf dem flachen Land, so herzlich und hilfsbereit empfingen mich die Menschen dort.

Nebenbei arbeitete ich immer wieder als Stagehand und baute Technik bei kleinen und großen Konzerten auf. Einige Aufträge machten wirklich Spaß, viele waren echt nervig. Die Krönung war We Will Rock You, die schlechter organisiert waren als mein eigener Umzug. Ich kündigte und begann im April, als Webprogrammierer für rent-a-guide zu arbeiten, was mich nebenbei in die Selbstständigkeit führte.

Kurz darauf führten wir unser äußerst erfolgreiches Probenwochenende von TEN SING RheinRuhr durch und fuhren nochmal zwei Wochen später mit 70 Leuten zum Kirchentag nach Hamburg. Ich bin immer noch stolz auf und glücklich über das, was wir dort vollbracht haben. Es waren nicht nur großartige Auftritte, für die wir sehr gefeiert wurden, sondern vor allem auch die Aktion an sich, die TEN SINGer aus verschiedensten Gruppen zusammen brachte.

Im Sommersemester belegte ich einen Gebärdensprachkurs und lernte die Grundzüge einer spannenden und absolut ernst zu nehmenden Sprache kennen. Parallel startete die Festivalsaison. Nach den großen Festivals im Vorjahr besuchte ich diesmal vor allem kleinere Events. Es sei auf die nahezu vollständige Liste meiner besuchten Konzerte verwiesen, die gegen Jahresende die 300er-Marke überschritt. Die Berichte dieses Jahres findet ihr bei den Festivalhoppern. Auf dem AStA-Fest in Paderborn lernte ich eher zufällig Claire kennen, nun eine meiner absoluten Lieblingsbands und die Entdeckung des Jahres überhaupt.

Außerdem ging es im Sommer erneut nach Ostfriesland. Diesmal war es angenehm, ich traf erneut viele liebe Menschen und diesmal auch etliche TEN SINGer. Eine Aktion, die nächstes Jahr sicher wiederholt wird. Und noch weiter auf Reisen ging es nach Amsterdam, um nach vielen Jahren des Wartens endlich Yeah Yeah Yeahs live zu erleben. Unfassbar gut!

Auch auf die andere Seite von Deutschlands ging es, nämlich nach Prag. Als ich zum YMCA-Festival fuhr, ahnte ich noch nicht, dass ich bald öfter im Osten sein würde. Auch dort lernte ich wieder viele neue Menschen kennen, diesmal aus ganz Europa und sogar den USA. Ich arbeitete als Volunteer in einem großartigen Team und lernte ein bisschen Dänisch. Die zwischenmenschlichen Erlebnisse, die ein Sturm verursacht, der die Evakuation des Geländes erfordert, während man selbst versucht, eines der Zelte zu retten, sind unbeschreiblich. Ich werde mich wohl immer wieder daran erinnern, wie wir immer wieder aus dem Zelt schauten, um Schutzlose vor dem Regen zu retten, während wir es davor schützten, vom Wind zerfetzt zu werden - und hinterher festzustellen, dass ganz in der Nähe ein Blitz einen Baum umstürzen ließ.

Nur einen Monat später war ich erneut im Osten, um mich in Chemnitz nach Wohnungen umzusehen. Ich hatte mich für ein erneutes Studium entschieden: Sensorik und kognitive Psychologie. Die Wohnungssuche war wenig erfolgreich und überhaupt war die ganze Reise Verschwendung. Die Makler waren nervtötend und / oder unverschämt, die Vermieter dreist und überheblich. In einem Ort wie Chemnitz, wo günstige Wohnungen nahezu im Überfluss vorhanden sind, hätte ich nicht mit so absurden Forderungen gerechnet. Auch musste ich erleben, dass man als Selbstständiger keinerlei finanzielles Vertrauen genießt.

Letztlich half ein Tipp von zukünftigen Komilitonen, an einen vernünftigen Vermieter zu geraten, und unglaublich kurzfristig ungesehen eine Wohnung zu mieten. Mithilfe einer Profi-Tetris-Software und tatkräftiger Unterstützung von Freunden, Familie, Bekannten und Mitstudenten gelang es in einer total irrwitzigen Aktion, meine gesamte Wohnung in einen viel zu kleinen LKW zu stopfen und heil nach Chemnitz zu transportieren, wo ich mich inzwischen gut eingelebt habe.

Im November ging es dann das erste Mal wieder zurück in den Westen. Mehrere Konzerte, Familie und Freunde besuchen. Ich ergatterte einen Platz in der ersten Reihe bei Claire und lehnte ein Angebot, für 20€ den Platz mit jemandem hinter mir zu tauschen, ab. Während ich mit Mitfahrgelegenheiten sehr schlechte Erfahrungen machen musste, erwiesen sich die in diesem Jahr massiv gewachsenen Fernbusangebote als äußerst angenehme Reisemöglichkeit. So ging es auch im Dezember zu Weihnachten mit dem Bus wieder nach Gelsenkirchen, wo ich nun in dem Haus, aus dem ich vor dreieinhalb Jahren auszog, diesen Text schreibe.

In meinem Alter mag jedes Jahr wichtig erscheinen. In diesem habe ich auf jeden Fall besonders viele Freundschaften geknüpft und wichtige Entscheidungen für meine Zukunft getroffen. Ich betrachte Entscheidungen nicht mehr nur unter der Frage nach richtig oder falsch, sondern vor allem unter dem Einfluss auf mein Leben, den sie haben werden. Dieses Studium wird mir eine Menge bringen, egal, ob ich es mit Bachelor, Master oder gar nicht abschließe und unabhängig davon, welchen Beruf ich danach ausübe. Mein Lebenslauf hat dieses Jahr ein paar mehr Knicke bekommen, aber es ist nicht wichtig, welche Form er hat, sondern nur, was drinsteht, und welche Menschen daran beteiligt waren. Vor allem, welche Menschen blieben, als der nächste Knick kam. Und diesen Menschen möchte ich danken, dass sie an diesem erlebnisreichen Jahr beteiligt waren, egal in welcher Form und egal wie nahe sie mir stehen. Ihr seid mir alle wichtig. Danke!