Verhältnismäßigkeit


Duisburg HBF (3).jpgWer für das Studium weit weg gezogen ist und hin und wieder seine Familie oder Freunde in der alten Heimat besuchen fährt, kommt nicht umhin, ein seltsames Phänomen zu bemerken: Es ist hierzulande ein Leichtes, 600 Kilometer für 20€ zurück zu legen, aber vorneweg noch 18€ für 60km zu zahlen und hintendran nochmal über 5€ für die letzten 20km.

Die Rede ist natürlich von dem Preisirrsinn im öffentlichen Nahverkehr, der seit dem stark wachsenden Fernbusangebot noch viel deutlicher geworden ist. Das obige Beispiel trifft unter Umständen auf diejenigen zu, die mich vom Ruhrgebiet aus in Chemnitz besuchen wollen: Die paar Kilometer von Gelsenkirchen nach Dortmund kosten zum dortigen Verbundstarif 5,30€, für 20€ kommt man mit dem Bus bis Leipzig (schwankt leicht, meist nach unten) und wenn man dann von Leipzig mit dem Zug nach Chemnitz fährt, fällt der normale Bahntarif an, der mit 17,40€ zu Buche schlägt.

Noch absurder wird es, wenn man es bis Gelsenkirchen schafft. Dann nämlich kostet bereits die Fahrt vom Hauptbahnhof zum Haus meiner Mutter 2,50€ (zum Vergleich: ein äquivalentes Ticket in Chemnitz kostet 2,00€).

Da ich eine Bahncard besitze und in Sachsen die Züge mit dem Uniticket kostenlos benutzen kann, trifft mich das Preischaos nicht so hart, trotzdem ist es absurd, dass bei einer Fahrt nach Hause 3% der Strecke 20% des Preises ausmachen. Auch wenn man nur die Deutsche Bahn nutzt, stehen die Preise in keiner nachvollziehbaren Relation: Der Normalpreis für die Strecke beträgt 101€, mit Sparpreisen mit schlechten Stornobedingungen und langen Vorlaufzeiten schafft man es runter bis 29€ und selbst die 1. Klasse ist als Sparpreis billiger - 89€. Die Bahn hat also längst verstanden, dass die Fahrgäste nicht immer den Normalpreis zahlen wollen, auch die mit Bahncard nicht.

Daher werden Sparpreise auch rabattiert, sodass mich eine Fahrt von Dresden nach Prag oder auch noch deutlich darüber hinaus (z.B. nach Hradec Kralove) mit Bahncard 25 nur noch 14,25€ kostet, eine Strecke, die halb so lang ist wie die nach Hause. Vergleicht man die Sparpreise, scheint das Verhältnis sogar zu stimmen, allerdings sind die Sparpreise nach Tschechien viel länger verfügbar als die ins Ruhrgebiet und bei 39€ für Paris - Chemnitz (knapp 1000km) ist eh alles wieder durcheinander.

Der VRR1 macht bei dem Gehampel nicht mit. Dort ist einfach (wie auch in vielen anderen Verbundgebieten) immer alles teuer. Fahrten innerhalb der Stadt pauschal 2,50€, in die Nachbarstadt und gelegentlich auch etwas weiter 5,30€ (besonders toll, wenn man nah an einer Stadtgrenze wohnt), die nächste Stufe kostet 11€ und von Gelsenkirchen bis zum Rand des Verbundraums im Süden, Düsseldorf (47km) sind es 13,10€. Damit kann man immerhin auch Züge im Verbundraum benutzen, wochentags kommt man jedoch spätestens ab Mitternacht nirgendwo mehr hin und je nach Wohnlage auch am Wochenende nicht. Manche Linien fallen sonntags gar vollständig weg. Auch Mehrfachtickets lohnen sich nicht immer, denn regelmäßig zum Jahresanfang werden die Preise erhöht und angebrochene Tickets verfallen oder müssen umgetauscht werden.

Also doch auf zum Fernbus, damit alles gut wird? Funktioniert natürlich so auch nicht. Fernbusse bieten längst kein so dichtes Streckennetz wie die Bahn, wodurch Absurditäten wie die im ersten Absatz erst entstehen. Auch die zeitliche Verfügbarkeit ist bei Bussen noch viel schlechter und je nach Strecke muss man erheblich längere Fahrzeiten in Kauf nehmen. Also wäge ich weiterhin jedes Mal sorgfältig ab, welche Kombination der Verkehrsmittel sich anbietet. Diesmal habe ich Glück: Für Hin- und Rückfahrt ist noch ein Sparpreis der Bahn zu einer akzeptablen Uhrzeit verfügbar, zusammen 43,50€ und dank Bahncard ist auch die Anschlussfahrt im VRR enthalten, die Überlegung, aus Protest lieber vom Bahnhof nach Hause zu laufen, entfällt also. Zweimal Umsteigen und auf der Strecke gibt es Bauarbeiten, aber wenn alles klappt, dauert es nur 7 Stunden, eine weniger als mit dem zwei Euro billigeren Bus, und da hätte ich auch zweimal umsteigen müssen, weil der Bus nur ab Leipzig und nur bis Dortmund fährt.

Und während ich hier überlege, wie ich möglichst billig quer durchs ganze Land fahre, treten die Lokführer der GDL schon wieder in Streik. Von den teuren Fahrpreisen kommt anscheinend nicht viel bei denen an, die mich aktiv von A nach B bringen. Die Bahn klagt über steigende Kosten für Ressourcen und Instandhaltung, aber die Preisanstiege werden stets an den Kunden weiter gegeben - es muss also etwas grundlegend falsch laufen.

An mangelnder Auslastung kann es jedenfalls nicht liegen. Denn während im VRR auch abends leere Gelenkbusse durch die Städte fahren und ich mich bei manchen Fernbusanbietern frage, wie man mit drei Fahrgästen zu 6€ in einem Bus von Berlin nach Leipzig Geld verdient, sind Züge stets einigermaßen bis sehr ausgelastet. Selbst morgens um 3 habe ich schon Züge erlebt, bei denen der Großteil der Sitzplätze belegt war. Sitzplatzreservierungen für 4,50€ je Strecke rechtfertigt das jedoch nicht. Auch dazu könnte man ganze Artikel verfassen - die verrückten Eigenarten des Zugfahrens was verfügbare Sitzplätze angeht, wer wo bevorzugt wird und was passiert, wenn die Wagen 20 bis 29 heute leider fehlen.

Das Thema Reisen ist einfach viel zu kompliziert. Im Jahr 2014 ist es ein so essentielles Bedürfnis, dutzende und hunderte Kilometer zurück zu legen, dass viel mehr in Massenverkehrsmittel investiert werden sollte - Geld, aber auch Zeit, um bestehende Systeme zu überarbeiten. Ein gut funktionierendes, bezahlbares öffentliches Verkehrssystem würde letztlich auch die Zahl der notwendigen Autofahrten reduzieren und damit wenig erfolgversprechende und umstrittene Forschungen an Elektroautos zur Schadstoffreduzierung überflüssig machen, wodurch wiederum Gelder frei werden würden. Aber vermutlich sehe ich die Welt einfach viel zu einfach.

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  1. Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, erstreckt sich von Düsseldorf bis Dortmund