Von Gewohnheit und Toleranz


Das Haus, in dem ich wohne, ist letztes Jahr hundert Jahre alt geworden. Im Winter zieht es, im Sommer kann man im Keller noch Getränke kühlen. Kommt ein Erdbeben, bleibt es stehen, kommt der Elektriker, wird es zwangssaniert. Und wenn nachts irgendwo jemand im Bad ist, kriege ich das mit. Und darum geht's heute.

In diesem Haus wohnen acht Parteien auf vier Ebenen; ein junges und ein altes Ehepaar, vier Erwachsene, davon eine Rentnerin, eine Auszubildende und ich. Zwei davon haben einen Hund, einer hört laute Musik und ich spiele Schlagzeug. Und seit ich hier wohne, forsche ich daran, wie hellhörig dieses Haus unter welchen Umständen ist.

Nun könnte man meinen, das sei ein Haus, kein Lebewesen. In der Folge müsste man annehmen, es sei immer gleich hellhörig. Aber die Aussagen sind so widersprüchlich, dass ich da nicht von ausgehen mag. Für's Folgende einige Infos: Ich wohne im zweiten Stock, die beiden Ehepaare im Erdgeschoss und der Typ mit der lauten Musik im ersten Stock. Mein Schlagzeug steht im Keller.

Zum Schlagzeug habe ich bisher aus dem Erdgeschoss die Beschreibung "Schlagzeug halt" und "leise ist es nicht". Im ersten Stock hört man wohl gar nichts mehr davon. Die Aussagen von dort sind ohnehin komplett widersprüchlich. Bei einer Lanparty gab es Beschwerden, dass wir die Stühle so laut rücken würden, und dazu die Aussage, man würde ja eigentlich nichts hören, außer "vielleicht mal wenn einer rumläuft" (wtf? Hier trägt keiner Absatzschuhe). Bei einer anderen Party bei mir hingegen, bei der ich mit E-Schlagzeug, Monitorbox und Freunden mit E-Gitarre und Verstärker und Keyboard hier gerockt habe, hieß es von unten (nein, nicht ironisch), man wüsste ja gar nicht, wovon ich rede - niemand hatte was mitbekommen. Es war ein Höllenlärm in meinem Schlafzimmer.

Die Musik aus dem ersten Stock konnte ich mir schon direkt in der Wohnung unter mir anhören, meiner Meinung nach höre ich dafür, dass es gar nicht so laut ist, ziemlich viel davon in meiner Wohnung. Im dritten Stock hört man die Musik aber angeblich auch noch, was ich wiederum nicht glaube, zumal beide Parteien im dritten Stock sagen, dass sie von mir absolut nichts mitkriegen, und ich bin teilweise auch recht laut.

Einer der Hunde wohnt über mir, das kriege ich mit, aber nur, wenn er bellt. Dafür höre ich ständig von irgendwo her Fernseher, auch nachts; das könnte auch aus dem Nebenhaus kommen. Was man dort mitkriegt, steht sowieso in den Sternen, genauso, woher die anderen Geräusche kommen, die ich nachts so höre.

Mein bisheriges Fazit daraus ist, dass sich die, die hier schon länger wohnen, an die Hellhörigkeit gewöhnt und damit ihre Toleranzgrenze erhöht haben. Vermutlich hört man hier eigentlich eine ganze Menge; ich höre z.B. auch manchmal jemanden telefonieren und irgendeine Art von Wasserleitung ist auch hörbar - nicht aber jede, es sei denn, niemand außer mir duscht hier. Wenn man hier jahrelang wohnt, überhört man es aber vermutlich irgendwann. Nur bei denen im Erdgeschoss habe ich wenig Hoffnung, dass die irgendwann überhören, wenn ich übe.