Vom Kornfeld zum Sumpf


Oder: Gedankensammlung statt Festivalbericht
Eine Woche ist es jetzt her und es wird Zeit, einige Eindrücke in Worte zu fassen. Mein erstes Festival - die verrückteste Reise in meinem Leben, als angemessene Feier zum bestandenen Abitur. Das Hurricane-Festival 2009 - 70000 Zuschauer, über 60 geniale Bands, drei Tage in Scheeßel bei Bremen.

Wenn man von einem Festival berichtet, gibt es wahrscheinlich drei wesentliche Punkte, von denen man erzählen kann: Wetter, Partys und Musik. Das Wetter war beschissen. Erster Punkt abgehakt ;) Es ließ sich sehr schön beobachten, wie aus dem abgeschnittenen Kornfeld erst ein Acker ohne Ähren und dann recht flott ein Sumpf wurde, dessen flüssige Anteile vermutlich zum Teil aus dem bestanden, was dort mal gewachsen war...

Was Partys angeht, habe ich (leider) nicht viel mitbekommen, da ich alleine dort war - was den interessanteren Teil nach den beiden öden Absätzen da oben einleitet. Mangels Mitfahrern aus meinem Freundeskreis hatte ich nämlich einfach mal ins StudiVZ geschrieben bzw. die Beiträge in der dortigen Hurricane-Gruppe verfolgt; so waren zumindest schnell Begleiter für die Autofahrt gefunden. Etwas später fanden sich auch nette Leute, die schon erfahrener, aber auch recht alleine waren, mit denen man dann vor Ort hätte feiern können. Finden wäre gut gewesen - hätte mit mehr Zeit vielleicht auch noch geklappt, die Beschreibung "bei der Allemania-Aachen-Flagge gegenüber von den Duschen bei der Reihe grüner Dixiklos" war immerhin überdurchschnittlich präzise. Mangels Handynetz (normalerweise weiden dort Kühe, die brauchen sowas nicht) und Zeit (viele geile Bands) ist dann aber nichts draus geworden. Soviel dazu, warum ich alleine war.

Anreise
Am Freitag vormittag ging es also los, eine Mitfahrerin aus Gelsenkirchen und ein Päärchen aus Münster einsammeln und dann ab nach Scheeßel. Dank Navi hat's auch super geklappt, sogar staufrei. Der Parkplatz war mal eine Wiese, ungewohnt, aber völlig in Ordnung. Die Einweiser waren etwas genervt, weil wir beim Ausladen ständig im Weg standen, aber gegen den Regen, der uns auf dem Weg zum Zeltplatz bereits komplett durchnässt hat, war das nix. Einen großen Fehler, den ich da (beim Ausladen) gemacht habe, werde ich nie wieder machen: Isomatte und Schlafsack zurück lassen. Die Mitfahrerin aus GE hatte soviel Kram mit, dass wir "später" nochmal zum Auto wollten und ihren und meinen Rest holen. Da wir aber ständig auf Konzerten waren, war "später" dann nachts um 1, wo wir im Dunkeln mit ner Funzel verzweifelt das Auto gesucht haben, vor allem ich, weil es wirklich eisekalt war und alles langärmlige sowie genannte Schlafutensilien im Auto waren. Ich war noch nie so froh, ein langärmliges Shirt über's T-Shirt ziehen zu können.

Was die Zelte angeht, war ich gegenüber meinen Mitfahrern im klaren Vorteil - die drei mussten im strömenden Regen und reißendem Wind noch auf dem brechend vollen Zeltplatz ein Zelt hinquetschen, meins war gemietet und stand längst. "Mein Zelt steht schon" habe ich hier schonmal erwähnt, die machen die Anreise echt wesentlich entspannter. In dieser Hinsicht also nicht viel zu erzählen... aber meine Mitfahrer sollten noch für erzählenswerten Stoff sorgen.

Die beiden aus Münster wollten nämlich auch mit mir wieder zurück fahren. Weiterer fataler Fehler: Kein Ort und keine Zeit ausgemacht - "wir telefonieren dann mal". Telefonieren auf einem Festival ist nicht! Es ist überall laut (ach!) und Netz gibt es eh nie. E-Plus schien mir da noch am Besten zu sein, ich habe zumindest recht oft SMS empfangen können. Dritter fataler Fehler: Aufs Handy verlassen, Nummern nicht auf Papier aufgeschrieben! Mir ist am Sonntag der Akku verreckt - und dann ging's los. Wie erreiche ich meine Mitfahrer, wenn ich weder deren Nummer noch ein funktionierendes Handy habe?

Das Mitfahrer-Dilemma
Plan A. Handy laden - ich habe ja ein Ladekabel mit.
Jo - das funktioniert aber nur am PC. Der Autosteckdose-USB-Konverter funktioniert zwar und meinen MP3-Player kann ich damit auch laden - beim Handy tut sich nix.

Plan B. Handy laden - es gibt ja eine Handyladestation.
Ja, richtig, bei T-Mobile - die ist total überlaufen, man muss ewig lange warten und für den Pleite-Geheimtipp Benq-Siemens gibts kein Ladegerät. Mit mitgebrachtem Ladegerät am Infozelt laden entfällt auch, siehe oben.

Plan C. Erstmal die Nummer rausfinden und dann irgendwie anrufen.
Okay, also die Mitarbeiterin am T-Mobile-Stand belatschen dass ich ihr Handy benutzen darf (die war wahnsinnig geduldig und gleichzeitig zu Recht total genervt), Freund anrufen, Passwort fürs StudiVZ durchgeben, damit der dort die Handynummer meines Mitfahrers nachgucken kann. Passwort falsch. wtf? Kann nicht. Egal. Passwort vergessen-Funktion benutzen, Mails abfragen. Passwort falsch. wtf? Kann nicht!! Ok. Freund zuhause anrufen lassen und Mutter am PC die Mails abrufen lassen. Passwort für den PC falsch. wtf? Kann nicht!!!!
Hinterher ging's dann über einen ungesicherten Account und die Firefox-Passwortverwaltung, besagter Freund hat meinen Mitfahrer sogar irgendwann erreicht und ihm die dumme Situation erklärt (ich hatte inzwischen vier verschiedene Telefone benutzt, um immer wieder in Gelsenkirchen anzurufen), das habe ich aber erst hinterher zuhause erfahren - denn die beiden sind nicht aufgetaucht, ich bin alleine zurück gefahren. Sorry - 9 Uhr am Infozelt sollte bei euch angekommen sein, ich war von 8:30 bis 9:30 da und danach bis 10:45 am Parkplatz, niemand kam. Tja. Fail. :|
Beim Passwort war übrigens doch ein Fehler drin, den ich nie bemerkt hätte, da ich das Passwort blind und ohne nachzudenken tippe...

Festivalkonzerte für Anfänger
Ich habe eine Menge lernen können auf dem Hurricane. Drei fatale Fehler habe ich schon genannt, aber auch bei Konzerten gab's noch Nachholbedarf.

  • Festivals haben Headliner. Headliner haben Fans. Headliner-Fans sitzen ab mittags vor der Bühne und ignorieren andere Konzerte. Headliner-Fans, die andere Konzerte ignorieren, sind verdammt nervig, wenn man sich für diese anderen Konzerte interessiert!
  • Allgemein ist der Anteil an "einfach nur so da"-Fans viel höher. Wenn man die richtig gute Stimmung mitbekommen will, muss man viel weiter nach vorne als bei normalen Konzerten.
  • Wenn man beim Pogen einfach mitmacht, kriegt man viel weniger blaue Flecken, weil es nicht so schlimm ist in der Luft geschubst zu werden wie auf dem Boden, man landet dann einfach woanders, stolpert aber nicht.
  • Pogen macht eh Spass.
  • Es geht immer noch lauter!

Die Konzerte beim Hurricane fanden auf drei Bühnen statt, zwei draußen, eine im Zelt. Das Zelt hieß Coca-Cola-Soundwave-Tent und war relativ winzig, für vll 1000-2000 Leute geeignet. Dadurch musste man dann auch mal draußen warten; die Einlasskontrollen waren fragwürdig und viel kritisiert, aber sie waren halt da. Immer nur rein, wenn auch welche rausgehen. Nicht nur bei Culcha Candela, auch bei Lykke Li musste man dann mal ne halbe Stunde des Konzertes von draußen anhören. Der Name rührte daher, dass dort die Gewinner des Coca Cola Soundwave Clash auftreten würden; für die bereits bekannten Bands, die dort untergebracht wurden, war das aber eher doof, und die Bands, die wirklich vom Bandcontest dort auftraten, wurden nicht wirklich bekannt gegeben, so dass ich nur von einer einzigen einen Flyer bekam. Wegen der Geschichte mit den verlorenen Mitfahrern konnte ich die dann nichtmal sehen.

Ansonsten waren die Konzerte aber eigentlich recht gut organisiert, es kam selten vor, dass auf zwei Bühnen Bands einer ähnlichen Musikrichtung gleichzeitig gespielt haben. So kam es bei mir auch nur am Freitag dazu, dass ich ein Konzert nicht komplett sehen konnte. Eine Gesamtübersicht über die Konzerte wo ich war gibt es unten als Bild (großklicken), einige möchte ich aber besonders herausheben, der Einfachheit halber in chronologischer Reihenfolge.

Ein paar Worte zu den Auftritten
Da wären zunächst The Ting Tings, die nicht nur meine liebste Neuentdeckung sind, sondern auch das für mich beste Konzert gegeben haben. "Bestes Konzert" ist nicht nur vom Auftreten der Band, sondern auch wesentlich vom Publikum abhängig; das Publikum bei den Sounds bekommt den Negativpreis des langweiligsten Publikums, das ich je erlebt habe. Selbst ganz vorne mittig absolut keine Stimmung. Schade, sehr schade, und umso besser, dass ich bei den Tings bis zum Ende geblieben bin (um danach springender- und über-am-Boden-liegende-Personen-trampelnderweise zu den Sounds zu sprinten). Moby fand ich interessant, weil er (Moby) selbst kaum Leadstimmen in seinen Liedern hat. Und Kraftwerk... naja... ein Pressebericht nannte deren Konzert "das faszinierendste" - ich sage: ja, weil man die ganze Zeit wartet, dass etwas passiert - aber es passiert nichts.
Drei weitere sind mir besonders in Erinnerung geblieben - Keane, weil der Sänger so unglaublich selbstverliebt immer wieder um Applaus gebettelt hat. Lykke Li, weil ich noch nie ein SO fasziniertes Publikum gesehen habe (da war Kraftwerk nix gegen!!). Tausende vollkommen gebannte Menschen, das ganze Zelt voll und draußen stauten sich die Menschen vor den Eingängen. Die Techniker müssen die Krise gekriegt haben, als sie mit nem Megaphon ans Mikrofon ging, ein Hohn, dass die Presse da von "technischen Schwierigkeiten" berichtet... als ich noch draußen war, hat man schon eklige Rückkopplungen gehört. Und dann waren da noch The Whip, wo ich eher zufällig reingeraten bin und sicher nicht hingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet. Es hat mir gefallen, das ist sicher! Aber ich habe noch nie freiwillig Ohrenstöpsel benutzt und ich habe mich nich nie freiwillig weiter nach hinten drängen lassen, weil vorne zu viel los war. Einfach heftig - ich kam mir vor wie auf Drogen. Eine irrsinnige Lightshow, wahnsinnig lauter Sound und extrem harte Musik, die ich als Elektrorock bezeichnen würde. Bemerkenswert übrigens auch, dass The Whip eine Schlagzeugerin haben. Eine sehr coole obendrein.

Was es sonst noch zu sagen gibt

  • Ich habe ein Dixi von innen gesehen, ohne es aufzumachen. Im Hurricane-Forum heißt es, die Dinger sind die Vorhölle; ich mochte es nicht testen, aber sie brennen wohl gut, jedenfalls war von denen, die ein paar Idioten angezündet haben, nicht viel bis gar nichts übrig. Die übrigen Sanitäranlagen brannten nicht und waren auch ansonsten ganz gut in Schuss...
  • Die Ärzte haben die Aktion von Viva con Agua (bepfandete Becher spenden für bessere Trinkwasserversorgung) unterstützt, in dem sie sich mit eben den geforderten Bechern bewerfen ließen; sah lustig aus hahahah
  • Trotz des beschissenen Wetters, was nur ganz am Anfang vor meinem ersten Konzert wohl zu einem Ausfall der Technik geführt hat, gab es zahlreiche Videoaufnahmen. Sehen kann man die Ergebnisse davon beim ZDFtheaterkanal (2., 5. und 7. August) und auf ARTE (26. November).
  • Die A1 hat total genervt, weil sie voller elender Baustellen ist, auf denen keiner arbeitet, wo man aber dennoch nur langsam fahren darf. Es ist echt geil, auf einer frisch ausgebauten dreispurigen Autobahn fahren zu können.
  • Sonne macht auch Sonnenbrand, wenn es mehr regnet als sonnenscheint. Mücken mögen beide Wetterlagen, Regen vor Sonne und Regen nach Sonne.
  • Man muss echt dumm sein, um ein Festivalbändchen zu verlieren. Ich habe ewig versucht, das ab zu bekommen ohne es zu zerschneiden, es geht einfach nicht. Selbst das Zerschneiden hat etwas gedauert, da der Stoff sehr fest ist.

Ich werde sicherlich irgendwann wieder auf ein Festival fahren - allerdings nicht nochmal alleine. Wenn man sich vorher von allen auftretenden Bands mal was anhört und dadurch auf irre viele Konzerte geht, ist man zwar meist auf Konzerten (ähm...ja), aber irgendwann möchte man ja auch mal was essen, ne Pause machen oder es ist einfach abends Ende, aber niemand schläft und man selbst wird dadurch auch daran gehindert. Da ist es einfach cooler, wenn man auch jemand dabei hat, mit dem man noch grillen kann. Gerade wenn man sein Zelt selbst aufbauen muss ist es sicher ätzend, wenn man das alleine machen muss.

Überlebt habe ich - Spass hatte ich auch. Viele geile Konzerte gesehen und viele neue Bands entdeckt. Und ich habe vier Tage lang von Milchbrötchen und Wasser gelebt - ist aber nicht die empfehlenswerteste Methode. Man wird nicht krank, aber dünn ;) Dafür freut man sich total, wenn man auf der Rückfahrt an einen riesigen Autohof kommt, wo es u.a. Macces und Subway gibt...

Grafik Hurricane Timetable

Grünes Kreuz = planmäßiger Besuch

Rotes Kreuz = Besuch geplant, aber nicht getätigt

Grüner Haken = spontaner Besuch