Statement zum Geschmacksstreit


Es ist kein Geheimnis, dass Musik Geschmackssache ist, und eigentlich ist das auch gar nicht diskussionswürdig. Trotzdem stoßen mir einige Dinge immer wieder sauer auf, zuletzt mehrfache Kritik aus dem Projekt Hörsturz, bei dem ja allerlei Musik vorgeschlagen und von Leuten mit verschiedenen Geschmäckern bewertet wird. Die meisten haben allerdings gemeinsam, dass sie eher kein Freund "mainstreamiger" Musik sind.

Ich gehöre da nicht so ganz zu und habe auch schon schlechte Kritiken einstecken müssen für meinen Musikgeschmack. Das ist ja erstmal auch okay; ich beschimpfe selbst ja auch immer wieder Screamo-Parts bei Metal-Stücken oder Rap. Was mich aber nervt, ist das immer wieder auftauchende Geschrei danach, dass die Sänger(innen) ja alle gar nicht singen können.

Es geht dann meist um eine Technik, die sich Autotune nennt meist Auto-Tune genannt wird1. Ob man denn gar nicht mehr ohne auskommen könnte, das sei ja alles Kommerz-Scheiß und total billig. Und jetzt stelle ich mich hier hin und sage: Na und?

Lasst die Leute doch ihre Stimmlage korrigieren. Erstmal tun sie das gar nicht immer nur, den Effekt kann man wohl auch für andere Klangveränderungen nutzen. Und ganz im Ernst, seit ich selbst in einer Band spiele, fällt mir immer mehr auf, wie primitiv manche Songs doch sind. Erster Gegenkritikpunkt wäre also schonmal: Wenn schon, dann teilt gefälligst an alle aus, auch an die Band.

Aber auch bei der Band bzw. dem PC / Synthesizer sage ich: Na und? Viele dieser primitiven Lieder gehen gut ins Ohr, bleiben dort, sind tanzbar oder verursachen gute Laune. Eingängige, simple Melodien sind doch nichts neues. Das Geniale an der Musik ist doch, dass für jeden etwas dabei ist. Es gibt momentan wohl (mal wieder) eine Zielgruppe, die auf primitive Musik mit eingängigen Beats und gepimptem Gesang steht. Na und?

Es ist nicht so, dass diese Musik alles andere verdrängt. Es ist nicht so, dass es nur noch Schrott gibt auf dem Musikmarkt. Es ist nicht so, dass jetzt alles elektronisch ist. Die Charts zeigen nur den kommerziellen Erfolg. Viele Titel tauchen da kurz mal auf und verschwinden dann wieder, weil sie nicht oft genug gekauft werden. Radio funktioniert größtenteils genauso - was mehr gekauft wird, bleibt länger in der Playlist. Aber großer kommerzieller Erfolg ist eben nicht alles und gerade auch die Projektteilnehmer sollten das wissen.

Es gibt Musik, deren Beat sich nie ändert und deren Gesang gepimpt ist. Es gibt Musik, die daraus besteht, dass man etwas altes genommen und neu abgemischt und Samples drunter gemischt hat. Es gibt deutsche Schlager. Es gibt Hip-Hop, Poprock und Europop2. Es gibt die Indie-Sachen, denen jetzt auch Mainstreamismus vorgeworfen wird (schonmal davon gehört, dass der Mainstream sich ändern kann?), und es gibt das, was neuerdings Singer-Songwriter heißt, was meiner Meinung nach eine Berufsbezeichnung und keine Musikrichtung ist und früher Liedermacher hieß.

Es gibt aber auch immer noch anständigen Rock, der einem E-Gitarrenklänge um die Ohren pfeffert. Es gibt Metal, bei dem man sich fragt, wie viele Beater das Basepedal wohl hat und was der Sänger da mit seiner Stimme macht, ganz ohne Effektgerät. Es gibt Elektrosongs, die aus mehr als Beat bestehen und bei denen sich niemand beschwert, wenn die Stimme des Sängers bis zur Unkenntlichkeit verzerrt ist und alle Instrumente synthethisch sind. Es gibt Indiepop, der musikalisch und textlich überzeugen kann. Auch deutsche Produktionen weisen immer wieder mal Qualität auf.

Man müsste einfach nur mal mehr hören als Charts und Radio. Und vor allem, wenn man das schon tut, daran denken, dass man zwar nicht alles mögen, aber zumindest vieles tolerieren sollte, denn Musik ist Geschmackssache - und über Geschmack zu streiten lohnt sich nicht.

Und zusammen mit dem Gedanken, dass aktuelle Musik ja noch lange nicht alles ist und auch die vergangenen Jahrzehnte schon gute Musik hervor gebracht haben, gebe ich euch jetzt mal noch einige wild gemischte Bands mit auf den Weg, die ich persönlich hörenswert finde. Alle Bands sind verlinkt, ich habe jeweils eine Quelle heraus gesucht, bei der man sich einige Lieder anhören kann. Wer mehr möchte, sollte größtenteils im Netz fündig werden. Teilweise sind es mehrere Links zu einzelnen Songs.

  • The Kills und Blood Red Shoes, zwei zweiköpfige Rockbands, die ohne technisches Brimborium richtig einheizen.
  • Wir sind Helden, eine deutschsprachige Band, die außer Rock und Indiepop noch ein paar merkwürdige Ideen hat und von Anfang an bis heute durch ausgefeilte wie intelligente Texte überzeugt.
  • The Gaslight Anthem, die dadurch auffallen, dass sie nicht auffallen, und mit ihrem entspannten Indierock eigentlich immer hörbar sind.
  • Eileen Q, eine leider ziemlich unbekannte Folkrockband, die nicht immer durch Tiefgang, dafür aber umso mehr durch Partypotenzial besticht, besonders live. Freue mich schon darauf sie beim Kirchentag wieder zu sehen. Bei dem verlinkten Konzert war ich dabei, eins der geilsten auf denen ich je war. JEDER hat gefeiert.
  • Daft Punk, die vermutlich vielen bereits bekannt sind. Elektroband, von der ich selber noch nicht so viel kenne. Soviel ich bisher mitbekommen habe, verstehen sie sich darauf, aus wenig viel zu machen.
  • Grossstadtgeflüster, die nicht nur riesige Konzertpartys schmeißen und einem mit elektronischen Klängen die Ohren zerfetzen können, sondern auch richtig gute (deutschsprachige) Texte drauf haben, die durchaus Tiefgang aufweisen können.
  • Yeah Yeah Yeahs, bei denen sich jedes Album anders anhört. Können (Alternativ-/Indie-)Rock, gerne auch gemischt mit Synthis, und experimentieren ab und an. Funktionieren am besten laut und können durchaus auch mal abschreckend wirken. Die Stimme der Sängerin ist purer Sex.
  • The Sounds aus Schweden, die mit Garage-Rock gestartet sind, dann Synthi-Klänge vermehrten, mit Beats um sich warfen und aktuell mit Dance-Sachen spielen. Alle Varianten tanzbar, mit Frust-Abbau-Potenzial und live der absolute Wahnsinn.

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  1. Achtung, ich glänze jetzt mit Halbwissen aus einem Wikipedia-Artikel, dessen Diskussion um ein Vielfaches länger ist als der Artikeltext.
  2. Europop: Das, was jeder irgendwie toleriert.