Düsseldorf - Leipzig


Ich sitze im Nacht-Fernbus und habe gerade eine Szene erlebt, die meinen Glauben an das Gute im Menschen wieder festigt. Ein junger Mann wollte mitfahren, bettelte den Fahrer an, er sei aus Dresden, Student und Freunde dort könnten für ihn bezahlen, er hat 35€ dabei, aber die Fahrt kostet 49€. Daraufhin hat doch tatsächlich jemand den Rest für ihn bezahlt oder zumindest ausgelegt, damit er mitfahren kann und nicht in Düsseldorf festsitzt. In Düsseldorf festsitzen ist nicht lustig, ich spreche da aus Erfahrung...

Ich lese In Plüschgewittern von Herrndorf und bin mir noch nicht sicher worum es geht, obwohl ich schon mehr als die Hälfte gelesen habe. Nach Tschick habe ich mir alles unter den Nagel gerissen, was in der Bücherei zu kriegen war, er schreibt einfach unglaublich gut.

Der Fahrer spricht vermutlich eigentlich gut deutsch, hat aber Probleme damit, die Vorschriften abzulesen. Immer wenn er improvisiert ist es flüssig. Bei den Regeln atmet er schwer, macht lange Pausen und lässt die Artikel weg.

Im Buch findet der Protagonist heraus, dass sein Date mit sexuell inkompatibel nicht gemeint hat, dass sie lesbisch ist, sondern dass sie Fetische hat. Man erfährt aber nicht, wie er das findet. Ich erlebe die Reise in Sprüngen, wie der Protagonist, der zuviel trinkt, sein Leben.

Wir sind in Bochum, gerade war Fahrerwechsel und der neue heißt Alex, duzt uns und sagt bei seiner Durchsage so alberne Sachen wie "wenn du zwischendurch Durst hast und vielleicht ne Cola willst oder ne Sprite, komm einfach zu mir, dann möchte ich dir diesen Traum gerne erfüllen", und natürlich freut er sich auch sehr das wir heute mal das Vergnügen miteinander haben. Eigentlich sagt er viel weniger als sein Kollege, aber er braucht dafür genauso viele Worte.

Bei Marsberg wache ich auf, werde nachdenklich, da hatte ich mal eine gute Freundin, die irgendwann verschwand. Gegen halb 2 bin ich fast wieder eingeschlafen, da fängt einer das Schnarchen an. Zeit für den MP3-Player. Der hilft nicht beim Einschlafen, aber immerhin bin ich dann nicht genervt.

Als Ruhen bezeichnen Psychologen einen Zustand, in dem das Gehirn ähnlich arbeitet wie im Schlaf, die übrigen Körperfunktionen aber nicht so weit herunter gefahren werden. Diesen Zustand erreicht man bei Nachtfahrten wesentlich leichter als richtigen Schlaf. Dummerweise ist man dann irgendwann so ausgeruht, dass man weder weiter ruhen noch wirklich einschlafen kann.

Wir stehen. Die Polizei steht auch, aber dann bekommt sie grün, und dann wir. Sonst ist hier keiner um viertel vor vier. Ich sehe die Flippothek, aber der Schnee von der Hinfahrt ist weg. Immerhin müssen wir den Bus nicht verlassen. Das bedeutet allerdings auch, dass der schnarchende Typ einfach weiter pennt. Vielleicht gehe ich doch mal raus.

Der Bus hat die gleiche Heimat wie ich, er kommt von Grafs Reisen aus Gelsenkirchen. Viele Klassenfahrten wurden von denen durchgeführt. Alex sieht aus, als wäre er jünger als ich. Ob McDonald's mehr Umsatz macht, seit es so viele Fernbusse gibt, von denen viele an dieser Raststätte halten? Eine Laterne, die wohl mal von einem LKW getroffen wurde, schwankt im Wind.

Vor uns schert gerade ein Wagen aus Glauchau ein. Verrückt, wie oft ich unterwegs Glauchauer Kennzeichen sehe, Chemnitz dagegen nur selten. Der schnarchende Typ atmet Rotz und klingt jetzt nur noch widerlich.

Das Buch ist fast zu Ende, ich habe jetzt raus worum es ging, es war so simpel, dass ich es nicht gemerkt habe. Draußen liegt Schnee, wir sind gleich in Leipzig. Der Busfahrer rammt fast einen Transporter beim Auffahren auf die Bundesstraße, zumindest sieht das für mich so aus, bestimmt war es harmlos. Ich lese fix weiter.

Leipzig Hauptbahnhof. Ich sitze auf einer dieser Holzbänke, auf denen ich schonmal übernachtet habe, in Frankfurt. Das Buch nimmt kurz vor Schluss noch eine überraschende Wendung. Wieviele dieser Bänke es wohl gibt? Der Bahn-Mitarbeiter grüßt nicht zurück. Vermutlich wirke ich ziemlich herunter gekommen. Jeder wirkt so nach einer Reise über Nacht. Aber das ist okay, denn obwohl ich bis 23 Uhr in Duisburg war, sind es noch fünf Stunden bis zur Vorlesung und nur noch vier Vorlesungen in diesem Semester.