Müll


Deutschland muss ganz schön verwirrend sein, wenn man aus einem fernen oder auch gar nicht so fernen Land kommt. Schon wenn man vom Land in die Stadt zieht, kann das ein ziemlicher Schock sein; selbst Chemnitz mit seinen etwa 200.000 Einwohnern wirkt mit seinen Straßenschluchten und Plattenbauten einschüchternd auf manche Besucher. Auf meinen Reisen lerne ich viele Menschen kennen, einige davon kommen von anderen Kontinenten, um Europa zu erleben. Aber man muss gar nicht weit weg gehen, um Menschen zu treffen, die unser Land anders sehen.

In meiner Zeit in Dortmund habe ich in der Nordstadt gewohnt, also nördlich vom Bahnhof, einer Gegend, in der kaum jemand deutsche Wurzeln hat. In meinem Haus gab es immer wieder Probleme mit Mülltrennung. Es gab neun Wohnungen, acht bewohnt, eine leerstehend, letzter Mieter unbekannt verschwunden. Nur zwei Bewohner waren in Deutschland geboren, der Rest teilweise vor längerer Zeit, teilweise erst kürzlich zugezogen.

Mülltrennung also. In Dortmund gibt es zu jedem Haus eine Papiertonne, eine gelbe Tonne, in die nur Verpackungen mit grünem Punkt dürfen, eine Biotonne, in die rohe, aber keine gekochten Lebensmittel gehören, sowie Haare und Kehricht, aber keine Pflanzen, und eine Restmülltonne. Glas muss zu Sammelcontainern gebracht werden.

An besagten Sammelcontainern sammelt sich regelmäßig Sperrmüll, Restmüll, Verpackungen, Kartons, Kleidung, eigentlich alles, was man sich vorstellen kann, vielleicht mit Ausnahme von Elektrogeräten. Schon die Tatsache, dass Sammelcontainerplätze keine allgemeinen Müllsammelplätze sind, überfordert selbst einige unserer hier aufgewachsenen Mitbürger, von den oben genannten Feinheiten bei den Mülltonnen ganz zu schweigen. Man muss nicht von besonders weit gekommen sein, um eine Infrastruktur zu kennen, in der es nur "Müll" gibt. Kein Wunder also, dass in unseren vier Mülltonnen stets alles wild durcheinander war.

Woher aber soll man sowas als eingewanderter Deutscher auch wissen? Meine Mietunterlagen enthalten eine Broschüre zu korrektem Lüften zur Schimmelvermeidung, aber keine Informationen zu Mülltrennung. Jetzt in Chemnitz stehen in unserem Hof mehrere Mülltonnen und einige Container, ich habe eine Weile gebraucht, um mir zu merken, welche zu meinem Haus gehören (nicht, dass ich nachvollziehen könnte, warum das wichtig ist). Wenn dann etwas falsch sortiert ist, kommt vielleicht mal ein böser Brief vom Vermieter, der von der Entsorgungsfirma eins drauf gekriegt hat - nicht etwa eine aufklärende Information, dass man in Deutschland Müll sehr genau trennt, ganz zu schweigen von einer Erklärung warum wir das tun.

Deutschland ist in so vielen Punkten so anstrengend, kompliziert, spießig und schwer zu verstehen. Über viele weitere Dinge könnte man ganze Artikel verfassen: Warum regen sich die Menschen auf, wenn im Lidl mal wieder eine bulgarische Großfamilie mit Fünf-Cent-Stücken bezahlt? Warum ist der britische Tourist schockiert, dass eine Zugfahrt von Berlin nach München zum Normalpreis 130€ kostet? Wieso tut sich der Europareisende aus Qatar so schwer damit, ein EU-Rail-Ticket zu kaufen?

Letzterer hat mich besonders beeindruckt. In einem Land, in dem man sich im Sommer am meisten Sorgen darüber macht, ob das eigene Haus wohl hitzeabweisend genug ist, um nicht bei 50°C einfach zu sterben, ist es nicht möglich, verschiedene Transportsysteme mit einer irrsinnigen Anzahl verschiedener Fahrkarten zu verstehen - das gibt es dort einfach nicht. "We have the capital, Doha, that's it", war in etwa seine Aussage. Ich hoffe, er hat der französischen Eisenbahngesellschaft erklären können, was er vor hat, und viele europäische Städte gesehen. Und ich hoffe, dass wir den Menschen, die sich das harte Ziel gesetzt haben, ein deutsches Leben zu führen, mehr Respekt und Verständnis entgegen bringen können.