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Albumrezension: M83 - Hurry Up, We're Dreaming

Diesen Artikel habe ich ursprünglich für venue.de geschrieben.

M83, eine Dreampop-Band aus Frankreich, gehören wohl nicht zu den Bands, die mit jedem Album wieder etwas völlig neues erfunden haben. Das müssen sie aber auch gar nicht. Das kürzlich erschienene fünfte Album “Hurry Up, We’re Dreaming” klingt nach einem Widerspruch: Der Titel ist eine Aufforderung, sich zu beeilen, und redet gleichzeitig vom Träumen, was sonst Anlass für Langsamkeit ist. Betrachtet man die Worte des Bandleaders Anthony Gonzalez, der vor der Produktion des Albums nach L.A. umgezogen war, geht es eher um Erinnerungen, an denen man hängt, während das Leben einen auffordert schneller zu leben.

Umzüge in andere Städte bringen Aufregung und Abwechslung mit sich, und während “Hurry Up, We’re Dreaming” viel Bewährtes beibehält, ist es doch abwechslungsreich. Einige Tracks erinnern mit ihren verträumten Synthi-Klängen und dem weichen Gesang an den Vorgänger “Saturdays = Youth”, andere sind viel lauter und treibender. Dazwischen finden sich immer wieder kurze, ruhige, rein akustische Stücke wie “Where the Boats Go” oder “Trains to Pluton”. Auch hier wieder ein verspielter Widerspruch – die Titel wirken als Ruhepause zwischen den lebendigeren Stücken, tragen aber alle Namen, die mit Bewegung in Zusammenhang stehen.

Bis auf das von einer Akustikgitarre geprägte und mit Streichern untermalte “Soon, My Friend” sind dann allerdings doch alle Titel stilistisch unverkennbar M83-Songs – wenig Gitarren, dafür umso mehr Synthesizerklänge, Reverb-Effekte und elementare, aber nie hervortretende Schlagzeugpatterns. Neu ist der kräftigere Gesang. Frontmann Gonzalez begründet das mit der Tour von 2010, wo M83 mit Kings Of Leon, The Killers und Depeche Mode auf Tour waren: “Wenn man alle diese Frontmänner so selbstbewusst vor einem großen Publikum auf der Bühne sieht, gibt einem das auch Selbstvertrauen, das Gleiche zu versuchen”.

“Hurry Up, We’re Dreaming” kommt als Doppelalbum mit zweimal elf Tracks, die insgesamt 73 Minuten lang sind. Ich werde allerdings den Eindruck nicht los, dass Gonzalez bloß gerne ein Doppelalbum produzieren wollte – ein Konzept ist dahinter nicht erkennbar, nach den ersten elf Tracks geht es auf der zweiten CD genauso weiter. So bekommt man ein etwas überdurchschnittlich langes Album mit gewohnt solidem Indie- und Dreampop, bei dem sich die Band sicher nicht neu erfunden hat.



Grossstadtgeflüster: Bis einer heult!!!

Grossstadtgeflüster, eine (inzwischen) dreiköpfige Elektropunk-Band aus Berlin, haben vor einiger Zeit eine recht steile Karriere hingelegt, als sie mit "Ich muss gar nix" quasi überall eingeschlagen sind wie eine Bombe. Als Quasi-Headliner beim Open Flair sind sie dabei auch bei mir angekommen und seitdem musste ich feststellen: Geplant war das wohl nicht, die Sache mit dem kommerziellen Erfolg. Das erste Album, "Muss laut sein", von dem auch der genannte Track stammt, ist völlig vergriffen und nur noch zu Mondpreisen von Privathändlern zu bekommen. Die Konzerte finden zu Niedrigpreisen in kleinen Hallen und Clubs statt. Sehr angenehme Umstände.

gsgf-bis-einer-heult.jpgAlben sind es mittlerweile drei geworden und das zweite, 2008 erschienene und auch nahezu vergriffene, "Bis einer heult!!!" konnte ich letztens endlich ergattern. Zweimal hatte ich GSGF live gesehen und nachdem beide Konzerte einfach der totale Wahnsinn waren, musste ich unbedingt auch etwas davon zuhause haben. Einige Titel kannte ich schon von Konzerten, andere von Youtube und ein paar gar nicht.

Das Album umfasst 16 Tracks, die, ich spoilere, allesamt reinhauen. Es beginnt mit den fordernden Titeln "Kümmer dich" und "Komm schon", wird dann mit dem kritischen "Lebenslauf" kurz etwas poppiger und schlägt dann die elektronisch-tanzbare Richtung ein, die eine ganze Menge Titel prägt. Bei manchen Titeln bleibt da außer den elektronischen Sounds und dem Beat nicht mehr viel Musik, so bei "IchBinHuiDuBistBuhDuBistSchubiIchBinDu", andere lassen den Punk so richtig raus, wie in dem zum wilden Abreagieren perfekten "Haufenweise Scheisse".

Durch alle Tracks, egal welche musikalische Richtung sie gerade einschlagen, ziehen sich die genialen Texte. Mal eher offen, mal eher subtil kritisch, mal eher rotzig, mal relativ diplomatisch, mal mit mehr und mal mit weniger Niveau. Vorm offenen Äußern von Meinungen, vor Fäkalsprache, Sex und Drogen wird hier nicht zurück geschreckt - nur vor abgegriffenen Themen. Dabei sind alle Titel so gehalten, dass man über den Text und die Botschaft nachdenken kann, wenn man mag, man kann aber stattdessen auch wild durch die Gegend tanzen, denn tanzbar sind die allermeisten Titel. Dazu trägt auch bei, dass nicht alle Songs einen üblichen Aufbau von gesungenen Strophen und Refrains haben, sondern auch mal ihre Basis auf ständig wiederholte Zeilen oder aneinander gereihte Worte oder Parolen bauen.

Hinter der Anordnung der Titel steckt wohl kein richtiges Konzept, allerdings sind sie zumindest so sortiert, dass man das Album durchhören kann, ohne einen Hänger zu kriegen, aber auch ohne nach der Hälfte Ärger mit den Nachbarn zu kriegen weil man die Wohnungseinrichtung zerlegt hat. Am Ende möchte man es dann direkt nochmal hören - oder auf ein Konzert gehen.

{rating90} Die Texte sind nahezu nie nervig, langweilig oder niveaulos.
{rating90} Die Musik ist häufig tanzbar und über das Album verteilt recht abwechslungsreich.
{rating90} Sehr gutes Album insgesamt. Schade nur, dass man es nicht mehr zu normalen Preisen kaufen kann - beim ersten Album ist es allerdings noch schlimmer.