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Warum fallen Motorräder in Kurven nicht um?

Irgendwie hatte ich im Kopf, Fahrräder oder zumindest Motorräder könnten in Kurven nicht umfallen, auch nicht, wenn man es darauf anlegt, und das sei bei Motorrädern ausgeprägter wegen der höheren Geschwindigkeit. C. und ich haben das mal geprüft.

Die Haftreibungskraft der Reifen auf der Straße ist die Kraft, die dafür sorgt, dass der Reifen auf dem Boden bleibt und nicht wegrutscht. Soweit offensichtlich. Nun kann man schonmal ausrechnen (wir haben dafür etwas länger gebraucht als ich nun brauche, um diesen Satz zu tippen), was bei optimaler Reibung der maximal mögliche Winkel ist - das ist 45°. Da ist gleich klar: Das ist eh schon mehr, als man sich vermutlich trauen wird. Außerdem kommen einem beim Fahrrad die Pedale in die Quere, die aufsetzen, bevor man den Winkel erreicht - das ist Teil 1 der Erklärung. Der Teil mit der Geschwindigkeit trifft nicht zu.

Bei Motorradrennen sieht man nun aber noch extremere Winkel. Was passiert da? Es treten andere Effekte hinzu, nämlich Mikroverzahnung durch weiche Reifen und Adhäsion (molekulare Anziehung bei extremer Nähe). Ohne weiter erläutern zu wollen, was es damit auf sich hat, sei gesagt: Dafür ist das Material der Reifen relevant, Teil 2 der Erklärung. Für die Mikroverzahnung müssen die Reifen eine gewisse Temperatur erreichen, das könnte mit der Geschwindigkeit zusammenhängen, aber das ist an dieser Stelle Spekulation.

Betrachtet man Bilder von Motorradrennen, stellt man fest, dass irgendwann auch der Körper des Fahrers auf der Straße aufzusetzen droht. Das verursacht natürlich auch einen Sturz - jedoch nicht durch Wegrutschen der Reifen. Also erneut Erklärung Teil 1.

Bei größerer Beladung kann sich all das ändern. Außerdem gelten die vorher genannten 45° bei optimalen Bedingungen. Gute neue Reifen auf trockenem Asphalt sind sicherlich optimal, es wird aber auch klar, dass bei ungünstigen Verhältnissen nicht mehr abschätzbar ist, bei welchem Winkel noch Haftung gegeben ist. Bei Regen, Glätte und allem ähnlichen gilt die Aussage, man könne nicht umfallen, also definitiv nicht mehr.

Ergebnis: Es ist nicht physikalisch unmöglich, durch Wegrutschen der Reifen umzustürzen. Es ist jedoch bei geeignetem Untergrund und trockener Witterung faktisch nicht machbar, den physikalisch theoretisch möglichen Punkt des Wegrutschens zu erreichen. Wohl aber ist ein Sturz aus anderen Gründen möglich. Innerhalb der Grenzen dessen, was man sich als durchschnittlicher oder zumindest nicht-professioneller Fahrer traut, kann man jedoch auch das nahezu ausschließen.

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Quelle: Physikunterricht online

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Studium und Alltag 2

Das Schwierigste beim Studium ist, den Bezug zur Realität zu finden. Physiker stellen viele Ideale auf, damit sie Berechnungen durchführen können, und Psychologen arbeiten mit Theorien, die oft schwierig zu prüfen sind. Daher möchte ich in loser Folge festhalten, welche Alltagsphänomene mir begegnen, die mit den Themen meines Studiums tatsächlich erklärbar sind.

  • Physikalisches Praktikum: Auch wer Physik nicht verstanden oder nicht bestanden hat, wird im Praktikum zurecht kommen, denn Probieren geht auch an der Uni über Studieren. Neben besserem Verständnis für grundlegende physikalische Prinzipien nehme ich dabei vor allem auch den vernünftigen Umgang mit Messdaten mit. Niemand sollte der digitalen Küchenwaage die Präzision glauben, die sie mit zwei Nachkommastellen vorgaukelt. Und ob die 3€-Messschieber aus dem Baumarkt vernünftig geeicht sind, wage ich auch zu bezweifeln - aber immerhin weiß ich nun, wie man damit Zehntelmillimeter messen kann.
  • Evolutionstheoretische Gedanken zu Präferenzen bei der Geschlechterwahl: Was wir als attraktiv ansehen, steht für hohe Fitness, also für Vorteile gegenüber anderen beim Kampf ums Überleben. Aber auch wer stark gezeichnet ist, wirkt attraktiv, weil er damit eine hohe Resistenz gegen Angriffe / Feinde zeigt (denn er lebt ja trotz Verletzungen / Narben / usw. noch). Und weil wir uns gegen immer neue "Angriffe" verteidigen müssen, können wir es uns nicht leisten, über Generationen hinweg nur unser gutes Aussehen zu vererben - deshalb gibt es nicht nur unglaublich attraktive Menschen. Letzteres Phänomen wird als Lek-Paradox bezeichnet.
  • Wärmeaustausch: Ich verwende gelegentlich extrem heißes Wasser zum Spülen. Nach einiger Zeit ist es allerdings immer kalt - gemessen an der Ausgangstemperatur sogar recht schnell. Das liegt daran, dass ich immer eine ähnliche Menge Geschirrteile spüle - und dieses Geschirr Wärme aus dem Wasser aufnimmt. Nun ist die Wärme definiert als die Bewegungsgeschwindigkeit der Moleküle im Wasser; diese bewegen sich also schneller, wenn das Wasser heißer ist. Sich schneller bewegende Moleküle treffen öfter auf andere Körper (Geschirr) und übertragen dabei Energie (Wärme). Das Geschirr wärmt sich also auf (das war offensichtlich) - und zwar schneller, wenn das Wasser heißer ist. Deshalb lässt sich mit heißerem Wasser die gleiche Menge Geschirr schneller spülen (oder es lösen sich größere Verschmutzungen), aber keine größere Menge Geschirr spülen.


Studium und Alltag 1

Das Schwierigste beim Studium ist, den Bezug zur Realität zu finden. Physiker stellen viele Ideale auf, damit sie Berechnungen durchführen können, und Psychologen arbeiten mit Theorien, die oft schwierig zu prüfen sind. Daher möchte ich in loser Folge festhalten, welche Alltagsphänomene mir begegnen, die mit den Themen meines Studiums tatsächlich erklärbar sind. Außerdem ist es gleichzeitig eine Antwortensammlung für die immer wieder gestellte Frage "Was hat denn Physik mit Psychologie zu tun?!".

  • Gas und Druck: Mit meiner Fahrradpumpe kann ich auch Autoreifen aufpumpen. Da aber der Druck sinkt, wenn das Volumen größer wird, muss ich das durch eine größere Gasmenge ausgleichen - also mehr Luft reinpumpen, um den gleichen Druck wie im Fahrradreifen zu erzielen. Ausgehend davon, dass ein Autoreifen etwa 30mal so viel Volumen hat wie ein Fahrradreifen, aber nur etwa ein Drittel des Drucks braucht, muss ich trotzdem 10mal so viel pumpen... zum Vergleich: Der Luftdruck an der Erdoberfläche auf dem Boden beträgt etwa 1 Bar, in einen Autoreifen kommen 2 bis 3, in einen Fahrradreifen 4 bis 6 und beim Tauchen in 50m Tiefe muss man etwa 5 Bar aushalten.
  • Nach einem verwandten Prinzip funktioniert übrigens auch das schnellere Kochen in Töpfen mit Deckel: Druck und Volumen hängen auch mit der Temperatur zusammen. Durch den Deckel verhindern wir das Entweichen von Wasserdampf und verringern das Volumen. Letzteres sorgt dafür, dass wir weniger Energie zum Erhitzen benötigen. Und wir erhalten eine bessere Kontrolle über den Kochvorgang - verteilt sich der Wasserdampf nämlich in der Küche, statt im Topf wieder zu kondensieren, steigt die Temperatur ebenfalls schneller und wenn wir nicht aufpassen, brennt etwas an. (Das heißt natürlich auch, dass wir weiter Energie sparen können, wenn wir nur so viel Wasser verwenden wie nötig.)
  • Psychophysik: Wenn ich mit dem Messbecher Waschmittel aus der Packung nehme, kann ich relativ gut schätzen, ob ich die richtige Menge vom verklumpten Waschmittel abgekratzt habe, ohne auf die Maßeinheit zu schauen - wenn ich mit einer geringen Menge anfange. Fange ich mit einer großen Menge an, fällt es mir schwerer, die richtige Menge wieder zurück zu schütten. Das liegt daran, dass die Empfindlichkeit für Gewichtsunterschiede abhängig vom Anfangsgewicht ist. Wir können 10 von 20 Gramm unterscheiden und 1 Kilo von 2 Kilo, aber nicht 1 Kilo von 1010 Gramm. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Reizen, zum Beispiel Licht - deshalb erblinden wir auch nicht direkt, wenn wir in die Sonne schauen, obwohl die Sonne nicht nur 3 oder 4 Mal so hell ist wie das Licht in unserem Zimmer, sondern viele tausend Mal so hell.
  • Psychoakustik: Wenn ich in meinem Bett liege, bin ich ziemlich nah dran an der rechten Box und ziemlich weit weg von der linken. Der Subwoofer ist irgendwo dazwischen. Während ich die rechte Box, die softwareseitig sogar etwas leiser eingestellt ist, sehr laut und den Subwoofer auch sehr deutlich höre, bemerke ich die linke Box gar nicht. Dahinter stecken zwei Phänomene: Zum einen wird die linke Box von der rechten überstrahlt. Unser Gehirn lokalisiert unterschiedliche Schallquellen anhand von Lautstärke, Frequenz und zeitlichem Abstand, aber wenn wir zwei Schallsignale empfangen, die zeitlich nur minimal versetzt eintreffen (mein Wohnzimmer ist nicht so groß) und die gleiche Frequenz haben (gleiches Lied aus beiden Boxen), kann dazwischen nicht mehr unterschieden werden und wir haben den Eindruck, nur aus einer Richtung etwas zu hören.
    Der Subwoofer hingegen gibt ganz andere Frequenzen wieder. Außerdem spielt dort auch ein physikalischer Effekt mit - während die höheren Klänge kurze Schallwellen ergeben, sind die Wellenlängen beim Subwoofer sehr lang. Bei den kurzen Wellenlängen können wir, da wir zwei Ohren haben, die unterschiedlichen Positionen der Welle an den Ohren nutzen um die Herkunft zu identifizieren. Die langen Basswellen schaffen aber nichtmal einen vollständigen Durchgang vom linken bis zum rechten Ohr, sodass es zwar einen zeitlichen Unterschied gibt, aber keinen relevanten Unterschied des Pegels. Dadurch fällt uns die Lokalisation von Bässen sehr schwer.


Zufallswissen: Sehen

  • Der Visus gibt an, wie gut man im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung sehen kann. Er ist die Zahl, die man vielleicht genannt bekommt, wenn man den typischen Führerschein-Sehtest mit den Ringen mit Loch macht. Die kleinste Öffnung, die der Durchschnittsmensch bei diesem Test noch erkennen kann, beträgt eine Winkelminute: V = 1 / α mit α = 1 ergibt den Durchschnittsvisus 1.
  • Da Optiker typischerweise mit abgestuften Standardtests arbeiten und nicht wie Physiker genaue Winkelwerte bestimmen, erhält man Werte wie 0,7, 1, 1,3 oder 1,6 - oder: 100%, 130%, 160%.
  • Bei manchen Menschen kann, so wie bei mir, auch eine starke Sehschwäche so gut ausgeglichen werden, dass ein überdurchschnittlicher Visus erzielt wird. So trage ich zwar Kontaktlinsen, die 8 Dioptrien ausgleichen, erreiche aber dennoch einen Visus von über 160%.
  • Kurzsichtigkeit bedeutet: Linse und Retina liegen in meinem Auge zu weit auseinander, so dass der Fokuspunkt vor der Retina liegt - das Licht also zu kurz ins Auge hinein reicht, da es, gemessen an der Distanz, zu stark gebrochen wird. Daher auch minus 8 Dioptrien - das Licht wird erst etwas nach außen geleitet, um dann durch die natürlich Brechkraft des Auges passend fokussiert zu werden.
  • Weitsichtigkeit funktioniert umgekehrt (Linse und Retina liegen zu nah beieinander). Altersweitsichtigkeit hingegen kommt zustande, wenn die Brechkraft der Linse im Auge nachlässt (das Licht wird nicht weit genug vorne fokussiert).
  • Beim "Lasern" der Augen wird zur Korrektur des Fokuspunktes die Brechkraft des Auges selbst verändert, indem Teile der Hornhaut abgetragen werden. Dieser Effekt ist nicht umkehrbar. Außerdem kann es, wie manche Infoseiten mit einem Sternchen andeuten, auch nach der Operation wieder zu Fehlsichtigkeit kommen, da sich das Auge ständig verändert.

Bis auf den letzten eher medizinischen Aspekt ist all das übrigens Bestandteil unserer Kognitionsvorlesung - und es zeigt wunderbar, wieso Physik und Psychologie sehr wohl zusammen passen: Die oben beschriebenen Dinge basieren auf physikalischen Phänomenen, beeinflussen aber die Wahrnehmung, die von der Psychologie untersucht wird. Eine typische potenziell psychologische Frage, die sich aus der Liste ergeben könnte, ist: Wieso sehen manche Menschen besser als andere?

Leider ist mir immer noch nicht gelungen, mit Fotos nachzustellen, wie eine Fehlsichtigkeit von acht Dioptrien aussieht. Nur so viel: Ohne Sehhilfe ist eine Teilnahme am normalen Leben unmöglich. Dennoch gibt es noch wesentlich stärkere Korrekturen; Brillen schaffen 10, Kontaktlinsen 15 Dioptrien.

Danke an meinen Optiker Herrn Jerono, unseren Kognitionsprofessor Dr. Krems und unser aller Lieblingslehrbuchautor E. Bruce Goldstein PhD.